Raser-Urteil - Das Auto als Waffe

Die Urteile für die beiden Kudamm-Raser sind endlich ein richtiges Zeichen. Denn Autos sind schon lange nicht mehr nur Vergnügungsmittel, sondern dienen ebenso als Waffe. Damit sind sie Teil einer im Extremfall mörderischen Event-Kultur

Raser gefährden nicht nur ihr eigenes Leben, sondern setzen die öffentliche Sicherheit wissentlich in Kauf / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Das Berliner Landgericht hat am Montag zwei junge Männer wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie hatten in der Nacht zum 1. Februar 2016 in der Berliner Innenstadt ein Autorennen veranstaltet. Einer der beiden rammte beim Überfahren einer roten Ampel mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h einen Jeep, dessen 69-Jähriger Fahrer verstarb. Das Gericht sah bei der nächtlichen Raserei einen „bedingten Tötungsvorsatz" und somit ein Mordmerkmal als gegeben an. Die Männer hätten zwar niemanden vorsätzlich töten wollen, aber mögliche tödliche Folgen billigend in Kauf genommen, um zu gewinnen. „Es ging um den Kick und das Ansehen in der Raserszene.“, so das Gericht bei der Urteilsverkündung. Ihre Autos hätten die Angeklagten dabei als „gemeingefährliches Mittel“ eingesetzt.

Ob das Urteil Bestand hat, muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Doch die Debatte geht weit über den konkreten Fall hinaus. Es geht um Formen einer im Extremfall suizidalen und mörderischen „Event-Kultur“, die das Risiko schwerer oder gar tödlicher Verletzungen bewusst in Kauf nimmt. Es geht ferner um die Terrorisierung des öffentlichen und halböffentlichen Raums durch Individuen und Gruppen, die elementare zivilisatorische Regeln des Zusammenlebens negieren. Und nicht zuletzt geht es um die Frage, wo die Grenzen der persönlichen Freiheit gezogen werden müssen.

Rasertourismus in Deutschland

Möglichst grenzenlose Automobilität genießt in Deutschland einen wohl weltweit einmaligen Stellenwert. Noch immer unterliegen hierzulande Teile des öffentlichen Straßennetzes keinerlei Geschwindigkeitsrestriktionen. Seit vielen Jahren sind deutsche Autobahnen eine touristische Attraktion für Raser aus allen Teilen der Welt, die nur hier die Gerschwindigkeitspotenziale ihrer übermotorisierten Maschinen legal ausreizen können. Getragen wird dieses deutsche Phänomen von einer mächtigen Allianz aus Automobilkonzernen und -clubs und auch einigen Politikern, die sich unter der Losung „Freie Fahrt für freie Bürger“ bislang erfolgreich als Bollwerk positioniert haben. Die Parallelen zur US-amerikanischen Waffenlobby sind augenfällig, denn auch dort mischt sich eine libertäre Form der „Freiheitsliebe“ mit den Interessen der Produzenten von Gerätschaften, die sich ohne weiteres in tödliche Waffen verwandeln können.

Illegale Autorennen in Innenstädten sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Überhöhte Geschwindigkeit ist nach wie vor die häufigste Ursache für tödliche Verkehrsunfälle. Nur in extremen Fällen müssen die Verursacher mit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung rechnen. Raserei ohne Unfallfolgen – und das gilt bisher sogar für illegale Autorennen – wird dagegen meistens als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit Geldbußen und temporärem Führerscheinentzug geahndet. Das tragische Geschehen in Berlin bietet daher die Chance, die Frage eines bedingten Tötungsvorsatzes bei extremer Fahrweise generell neu zu bewerten. 

Event-Kultur der Extreme

Kaum zu übersehen ist allerdings auch der Zusammenhang zwischen gesellschaftlich geächteten Auswüchsen wie der innerstädtischen Raserei und gesellschaftlich akzeptierten Formen der Event-Kultur. Sportliche Ereignisse wie Formel-1-Rennen, bestimmte Ski-Abfahrtsrennen oder „Free Fighting“-Kämpfe beziehen ihren Reiz in starkem Maße aus dem Risiko schwerer, bisweilen tödlicher Zwischenfälle. Ähnliches lässt sich wohl auch für Flugshows behaupten.

Die Gladiatoren dieser Sparten heizen diese Empfindungswelten an, indem sie kaum eine Gelegenheit auslassen, den  „Adrenalinkick“ zu verherrlichen, den sie bei der Ausübung ihrer Profession regelmäßig erleben. Manch einer, dem derartige Kicks im Alltag eher verwehrt bleiben, sucht sie dann halt auf brachiale Art in seiner Freizeit in Form einer bewussten Regelverletzung. Und das sind nicht nur Raser auf dem Kurfürstendamm und auf Skipisten in den Alpen, sondern auch Hobby-Pyromanen in Fußballstadien oder Spontan-Schläger in U-Bahnhöfen.

Öffentlicher Raum wird zur Gefahrenzone

In all diesen Fällen wird die Gefährdung bis hin zur schweren oder gar tödlichen Verletzung von arglosen Opfern, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten haben, bewusst in Kauf genommen. Der öffentliche Raum wird auf diese Weise zur Gefahrenzone, und das eben nicht nur an sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten oder durch die wachsende Gefahr terroristischer Anschläge.

Doch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung dieser Phänomene ist einer merkwürdige Schieflage zu beobachten. Besonders augenfällig ist das beim Umgang mit der Begrifflichkeit von „Autos als Waffen“. Diese tauchte in der hiesigen Debatte erst auf, als Terroristen zunächst in Nizza und im Dezember 2016 auch in Berlin jeweils einen LKW in eine Menschenmenge steuerten. Übrigens unweit der Stelle, an der gut zehn Monate zuvor ein zufällig anwesender Rentner die Suche von zwei jungen Männern nach dem ultimativen Adrenalinkick mittel Autorennen über rote Ampeln mit dem Leben bezahlen musste. Doch schon lange bevor der IS und andere Gruppen die Nutzbarkeit von Automobilen für ihre mörderischen Zwecke auch in Deutschland erkannten, gab es Opfer krimineller Raserei auf deutschen Straßen und Plätzen.

„Ich will Spaß, ich geb Gas“-Ideologie

Die Geschehnisse in Berlin und das jetzt gefällte Urteil fallen in eine Zeit, in der ohnehin um die Zukunft der Automobilität gestritten wird. Das Zeitalter der Verbrennungsmotoren neigt sich dem Ende zu. Der „persönlichen Freiheit“, sich mit einem Diesel-Fahrzeug unbehelligt in überlasteten Innenstädten bewegen zu dürfen, steht das Recht der Bevölkerung auf Schutz vor vermeidbaren gesundheitlichen Belastungen gegenüber. Die „Ich will Spaß, ich geb Gas“-Ideologie ist der Soundtrack für besonders sozialschädliche Formen des Individualismus, nicht nur auf dem Fahrersitz von sinnlos hochgezüchteten Autos.

Die Erkenntnis, dass Autos eben nicht nur Fortbewegungsmittel mit bisweilen hohem Befriedigungsfaktor sind, sondern auch das Potenzial für den Einsatz als tödliche Waffen haben, ist wohl gerade in Deutschland ziemlich bitter. Aber eben auch bitter nötig.

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