Prozess: Necla Kelek gegen Lamya Kaddor - „Wenn Sie jemanden zitieren, müssen Sie das richtig tun"

Jahrelang hielt sich das Gerücht, die Soziologin Necla Kelek habe muslimischen Männern einen Hang zur Sodomie unterstellt. Jetzt hat ein Gericht bestätigt, dass dieser Satz so nie gefallen ist. Verbreitet hat das Gerücht Lamya Kaddor. Dahinter steckt viel mehr als ein Streit unter Akademikern

Ein gefälschtes Zitat als Waffe: Das Landgericht Berlin verurteilte Lamya Kaddor wegen Rufschädigung/picture alliance
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Autoreninfo

Jörg Metes, geboren 1959 in Düsseldorf, aufgewachsen bei Stuttgart. Mathematikstudium in München. Redakteur und Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ in Frankfurt/Main. Seit 1988 freier Autor u.a. für Manfred Deix, Thomas Gottschalk, Dieter Hallervorden, Piet Klocke, Werner Koczwara und Richard Rogler. Lebt in Berlin. Durch seine Recherchen für das Blog „Ruhrbarone“ kam der Rechtsstreit Kelek/Kaddor vor einem Jahr ins Rollen. Foto: Alexander Stübner

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Ein Urteil, das letzte Woche vom Landgericht Berlin gesprochen wurde, wirft ein merkwürdiges Licht auf eine Szene, die gegen Vorurteile gegen den Islam kämpft. Ein Gerücht, das in dieser Szene seit acht Jahren kursiert, ist dem Landgericht zufolge falsch und rufschädigend. In Umlauf gebracht wurde das Gerücht von der Publizistin Lamya Kaddor, im Umlauf gehalten haben es Journalisten wie Patrick Bahners von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Wissenschaftler wie Wolfgang Benz und Politiker wie Ruprecht Polenz. 

Opfer der Rufschädigung ist die Soziologin Necla Kelek. In einem Fernsehinterview habe, so das Gerücht, Kelek „allen muslimischen Männern pauschal eine Neigung zur Sodomie unterstellt.“ Lamya Kaddor hat diese Falschbehauptung nicht nur immer wieder neu verbreitet, sie hat sogar, um es glaubhafter zu machen, eine Äußerung Keleks verfälscht und die Verfälschung als wörtliches Zitat ausgegeben. Die Verhandlung vor dem Landgericht Berlin war kurz, der Fall war klar. Lamya Kaddor droht, sobald das Urteil rechtskräftig ist, eine Ordnungsstrafe von bis zu 250.000 Euro, wenn sie dies noch einmal tut.

Das Produkt einer Szene der Selbstbestätigung

Die Szene, in der Lamya Kaddor mit ihrem Gerücht auf Glauben gestoßen ist, hat noch keinen richtigen Namen. Nennen wir sie die Islamophobie-Szene: das Gerücht begegnet einem vor allem in Texten, die von Vorurteilen gegen Muslime handeln. Es gibt viele solcher Texte. Der Kampf gegen das, was man in der Islamophobie-Szene unter Islamophobie versteht, ist ein Geschäft. Das Gerücht begegnet einem – als Tatsachenbehauptung wohlgemerkt – insbesondere auch in wissenschaftlichen Texten: in Artikeln, Aufsätzen, Vorträgen und sogar Doktorarbeiten. 

Das Gerücht, Necla Kelek habe „männliche Muslime im ZDF pauschal als Sodomisten verunglimpft“ (so etwa auch Thorsten Gerald Schneiders, Ehemann Lamya Kaddors und Redakteur beim Deutschlandfunk, in einem Beitrag für die Deutsche Welle), ist ein typisches Produkt der Islamophobie-Szene. Es ist Verleumdung und Fake News. Doch es kursierte, anders, als man es von Fake News gemeinhin denkt, acht Jahre lang nicht so sehr in den neuen sozialen Medien als vielmehr in den klassischen, vermeintlich vertrauenswürdigen. Es stand, in der einen oder anderen Version, etwa auch in der FAZ, im Spiegel, in der taz, in der Welt oder in der Zeit zu lesen. Die Qualitätsmedien zitierten es aus der wissenschaftlichen Literatur, die wissenschaftliche Literatur zitierte es aus den Qualitätsmedien. Die Szene beglaubigt sich durch gegenseitiges Zitieren gewissermaßen selbst.

Warten auf Entschuldigung 

Das Urteil des Landgerichts Berlin ist für die Islamophobie-Szene zwar peinlich, doch erschüttern wird es sie kaum. Dass das Gerücht über Necla Kelek nicht stimmte, war schon lange vor dem Urteil bekannt. Die Szene wusste es, seit im Dezember 2017 eine ausführliche Dokumentation über den Fall erschienen ist. Bereits diese Dokumentation hätte für den einen oder anderen Beteiligten Anlass sein können, seinen Irrtum einzugestehen und sich bei Necla Kelek zu entschuldigen. Doch keiner hat es getan, und keiner wird es je tun. Die Beteiligten wissen genau: So viele Prozesse, wie Necla Kelek gewinnen würde, kann sie gar nicht führen. 

Der Kampf der Islamophobie-Szene gegen das, was sie unter Islamophobie versteht, wird weitergehen. Kritik, wie sie am Christentum seit Jahrzehnten Alltag ist, soll es am Islam nicht geben. Islamophobieforscher forschen nach vermeintlich belastendem Material über Islamkritiker und tauschen ihre Funde in Artikeln, Aufsätzen, Vorträgen und Büchern untereinander aus. Islamophobieforschung ist zu einem guten Teil Denunziationskunde. Muslimen, die aufgrund ihres Glaubens tatsächlich Probleme haben, ist mit Büchern wie „Wegbereiter der modernen Islamfeindlichkeit“ (Thorsten Gerald Schneiders 2014) natürlich nicht geholfen. Aber den Autoren ist geholfen; aus Texten werden Fördergelder, und aus Fördergeldern wieder neue Texte.

Kaddor zeigt sich uneinsichtig 

Ob Lamya Kaddor eingesehen hat, dass man so wie sie nicht zitieren darf? Vor Gericht berief sie sich auf die Meinungsfreiheit; für den Vorsitzenden Richter lag dagegen eine Falschbehauptung vor, die von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist. Kaddor wollte auch die Schwere des Falls nicht einsehen; sie habe, erklärte sie – wahrheitswidrig –, die besagte Äußerung doch ohnehin schon „jahrelang nicht mehr erwähnt.“ Das Urteil des Berliner Landgerichts scheint sie aber akzeptiert zu haben; zwei besonders verleumderische Artikel hat sie gleich am nächsten Tag aus dem Netz genommen. Für Necla Kelek ist die jahrelange Verfolgung durch Kaddor, deren Ehemann und andere Kritiker jetzt hoffentlich beendet; sie hat lange gezögert, rechtlich dagegen vorzugehen, und wenn man sich die Schar ihrer Kritiker so ansieht, dann versteht man auch, warum. „Wenn Sie jemanden zitieren“, erklärte der Vorsitzende Richter an einem Punkt der Verhandlung in den einfachsten Worten, die er nur finden konnte, „müssen Sie das richtig tun.“

 

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