Presseschau zur Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz - Das Kanzler-„Wumms“

Eine Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz war wahrscheinlich, aber umstritten. Auch nachdem die SPD die K-Frage beantwortet hat, bricht die Debatte nicht ab. Wir haben uns angeschaut, wie die Presse die Entscheidung einschätzt.

Galten lange als Gegner: Scholz und die SPD-Doppelspitze / picture alliance/dpa
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Autoreninfo

Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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Die SPD könnte Scholz zum Verhängnis werden

„Scholz wird sicher kein Kandidat sein, der mitreißt. Nüchterne Sachlichkeit ist sein politisches Kapital, Angela Merkel immerhin ist damit seit mehr als 14 Jahren im Amt. Erfahrung macht bei Scholz den Unterschied, jedenfalls zu allen derzeit bekannten Kandidaten der Union und der Grünen, die samt und sonders noch kein Regierungsamt in der Bundespolitik hatten - mit Ausnahme von Norbert Röttgen, den die Kanzlerin am Ende feuerte. Scholz' größte persönliche Schwächen sind ein gewisser Hang zu Besserwisserei und Überheblichkeit sowie ein Humor, den manchmal nur er versteht. [...]Die größere Gefahr aber droht ihm aus der eigenen Partei. [...] Dass Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Wochenende in konzertierter Aktion ein Linksbündnis favorisierten, liest sich nun so, als dürfe Scholz zwar vorangehen, aber in eine Richtung, die die Parteichefs vorgeben. Olaf Scholz und die SPD werden einander erst noch finden müssen.“ (Süddeutsche Zeitung)


Die männliche Merkel?

„Die SPD hat zwar einen großen Fehler der Vergangenheit vermieden, indem sie keine verstolperte Kandidatur verkünden muss. Aber die Partei, oder zumindest ein Teil von ihr samt den Vorsitzenden, ist gleich im Verteidigungsmodus gegen die Kritiker aus dem linken Parteispektrum. [...]Der konservative Scholz war immer nah dran, für den Geschmack vieler Sozialdemokraten zu nah – aber genau das könnte ihm nun sogar zum Vorteil gereichen. Denn dieser Wahlkampf ist besonders, weil die Amtsinhaberin nicht mehr antritt. Und irgendwann würden die Wähler merken, dass Merkel nicht mehr da sei, so hofft die SPD. Scholz aber schon. Quasi als männliche Merkel.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)


Es geht um mehr als nur die K-Frage

„Man traut Scholz zu, dass er das Land gut und verantwortungsvoll regiert, und er selbst glaubt das sowieso. [...] Doch Scholz ist nicht in der CDU, sondern in der SPD und die ist in den Wahlumfragen von kanzlerfähigen Mehrheiten derzeit so weit entfernt wie der HSV vom Wiederaufstieg. Die entscheidende Frage ist also nicht: Kann Scholz Kanzler, sondern: Kann Scholz die SPD wieder attraktiv machen? [...] Angesichts der Neuaufstellung nach der Ära Merkel wäre die Nominierung eines Linkskandidaten der falsche Schluss gewesen. Das bedeutet nicht, dass Olaf Scholz die SPD auch tatsächlich aus der Krise führen wird. Aber im Moment gilt: Wenn nicht er, dann keiner.“ (Die ZEIT)


Eine Frage der Rückendeckung

„Während die Zustimmungswerte der SPD tief im Keller bleiben, ist Scholz im Zuge der Corona-Krise in seiner Rolle als tatkräftiger Bundesfinanzminister zu einem der beliebtesten Politiker der Nation geworden. Es wird nun extrem schwierig, die Popularität der Person Scholz auf die Partei zu übertragen. Zwingt die SPD den Vizekanzler, seine Kampagne entgegen der eigenen Überzeugung mit einem linken Programm zu bestreiten und gar mit einem Linksbündnis zu werben, ist das Scheitern vorprogrammiert. Doch wenn die Partei sich wieder an breitere Bevölkerungsschichten wendet und dies in einem klugen, auf Scholz zugeschnittenen Wahlprogramm zum Ausdruck bringt, kann eine Überraschung gelingen. [...] Aber steht die SPD auch wirklich hinter Scholz? Es ist fraglich, ob es ihr gelingen kann, den Deutschen zu erklären, warum der Mann, den sie als Parteivorsitzenden für falsch hielt, nun doch der richtige Kanzler sein soll.“ (Augsburger Allgemeine)


„Endlich einmal Erster“ 

„Auch das Scholz-Lager muss aus der verlorenen Parteivorsitz-Bewerbung lernen. Erfolg kann der Kanzlerkandidat nur haben, wenn er das linke Lager einbindet, etwa beim Programm. Das dürfte allerdings ein ziemlicher Drahtseilakt werden. Denn Scholz und seine Leute müssen zugleich darauf achten, ein Angebot für die Mitte zu machen, um Merkel- und Grünen-Wähler zurückzugewinnen. [...] Wie es um die Strategiefähigkeit und Geschlossenheit der SPD wirklich steht, dürfte sich erst noch zeigen.“ (Der Spiegel)


Alternative zum „Weiter so“ oder Merkelismus mit anderem Parteilogo?

„Es wird sich zeigen, welche inhaltlichen Zugeständnisse die beiden Linken an der Parteispitze dem künftigen Kandidaten abgerungen haben oder noch abringen werden. Einstweilen gibt es hier keinen Grund für eine positive Prognose. Das Schlimme daran ist nicht so sehr, dass die SPD dafür womöglich auch bei der nächsten Wahl wieder bestraft werden wird. Das Schlimme ist: Wieder droht die notwendige Alternative zum Weiter so, deren Notwendigkeit doch spätestens seit Corona auf der Hand liegen sollte, hinter der Ideologie der Mitte zu verschwinden.“ (Frankfurter Rundschau)

Führungsduo muss sich nun in Zurückhaltung üben

„Die größte Gefahr für die Kandidatur von Olaf Scholz besteht darin, dass seine Partei ihm nun ein Wahlprogramm verpasst, das nicht zu seiner Person passt. Das war schon bei Kandidaten Peer Steinbrück schief gegangen. [...] Die Sozialdemokratie steht in Wirklichkeit vor der Aufgabe, sich dem Kandidaten anzupassen, sich seinem Anspruch auf Führung zu beugen, seiner Verteidigung des starken Staates in Sicherheitsfragen und seiner Seriosität das Wort zu reden. Gibt sie aber der Versuchung nach, ihn in ein enges linkes Korsett zu zwingen, macht sie alle Hoffnungen auf einen Zuwachs an Stimmen zunichte.“ (Der Tagesspiegel)
 

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