Cicero-Affäre - Pressereaktionen

Caesar gegen Cicero: Otto Schilys letzte Affäre

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Schily darf gehen

Die deutsche Demokratie erlebt heute einen ihrer erhebendsten Augenblicke seit längerer Zeit: den hoffentlich letzten relevanten Auftritt Otto Schilys (SPD) als Bundesinnenminister. Gäbe es keinen anderen Grund, Gerhard Schröder für die mutwillig vorgezogenen Neuwahlen und den dadurch bewirkten Regierungswechsel zu danken – der Abgang Schilys ist es ganz bestimmt. Ein Verfassungsminister, dessen Verhältnis zur Pressefreiheit nur mehr als Kriegszustand beschrieben werden kann, ein Innenminister, der unter dem „Recht des Staates, seine Gesetze durchzusetzen“ vor allem offenbar versteht, sie gegen grundgesetzlich verbürgte Freiheitsrechte durchzusetzen, ein Träger eines hohen öffentlichen Amtes schließlich, der besorgte Kritiker als „Hanseln“ und die Kritik als „törichtes Gerede“ abtut, ein solcher Kerl hat ein rapides Ende seiner Amtszeit tatkräftig verdient.

Schily wird heute im Innenausschuss des Bundestages wegen der Durchsuchung von Redaktionsräumen der Zeitschrift Cicero und der Wohnung eines Journalisten Rede und Antwort stehen müssen. Er wird erklären müssen, ob der Verdacht des Geheimnisverrats in einer von ihm geführten Behörde zur Aufhebung des Informantenschutzes führen darf. Er wird erklären müssen, warum bei einer Durchsuchung, die angeblich nur der Sicherstellung einer 125 Seiten starken vertraulichen BKA-Akte galt, am Ende 15 Kisten voller Unterlagen von den Beamten mitgeschleppt wurden. Nicht erklären muss Schily hingegen seine öffentliche Pöbelei. Entschuldigen mochte er sich dafür nicht, alles andere ist nicht von Interesse, nur ein Problem des rüstigen Greises.
Christian Bommarius, Berliner Zeitung

Bei Cicero hat Schily der Verstand verlassen

Bundesinnenminister Otto Schily ist im Allgemeinen Intelligenz nicht abzusprechen. Aber in diesem Fall hat ihn der Verstand verlassen. Gemeint ist die von ihm verteidigte (und angestiftete?) Nacht- und Nebelaktion gegen die Monatszeitschrift Cicero, verbunden mit einer Durchsuchung der Redaktionsräume in Potsdam und des Hauses eines Mitarbeiters durch die Polizei.

Einziges Ziel: die im Bundeskriminalamt vermutete Quelle für die in einem Cicero-Artikel über Terrorismus verarbeiteten Geheiminformationen aufzuspüren. Drastischer gesagt: den „Verräter“ in den eigenen Reihen zu enttarnen. Soweit bekannt, bisher ohne Erfolg. Das hätte ich Schily voraussagen können.
Graf Mainhardt von Nayhauß, Netzeitung

Verkümmerte Pressefreiheit

Schily beanspruchte wie selbstverständlich das Recht, mit strafrechtlichen Mitteln zu reagieren, um so den Informanten zu finden. Er hält es mit Kurt Rebmann, dem Generalbundesanwalt der RAF-Zeit: Die Pressefreiheit, so sagte dieser, sei doch viel weniger notleidend als die innere Sicherheit; deshalb müsse sie sich im Zweifel unterordnen. Wenn aber im Zweifel gegen das Redaktionsgeheimnis entschieden wird, verkümmert die Pressefreiheit. Hätte dieser Rebmann-Schily-Imperativ Rechtskraft, dann wäre kaum einer der großen Skandale in Deutschland aufgeklärt worden.
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung

Eigentümliches Rechtsstaatsverständnis

Noch-Innenminister Otto Schily hat ein eigentümliches – das ist nichts Neues – Rechtsstaatsverständnis. Seine jüngste Entgleisung ist die – drücken wir es vorsichtig aus – Billigung der Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift Cicero. Der Innenausschuss des Bundestages wird sich auf Antrag der FDP mit der Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins Cicero befassen. Bei der Razzia ging es angeblich darum, einen Informanten aus dem BKA namhaft zu machen. Das gelang nicht. Dafür ließ man jede Menge Akten, die mit dem inkriminierten Vorgang – einem Bericht über Verbindungen des Anführers der Extremistenorganisation El Kaida im Irak, Abu Mussab al-Sarkaui, zum Iran – definitiv nichts zu tun haben, gleich mitgehen.

Die FDP hat eine Sondersitzung des Innenausschusses des deutschen Bundestages über das Vorgehen der Behörden beantragt und sie wird – eine erste Frucht des Sturzes von Rot-Grün – nächste Woche stattfinden. Nach Jahren haben sich wieder ein paar SPD-Abgeordnete getraut, gegen Schily vorzugehen. Wir sind gespannt, was bei der Sitzung herauskommen wird. Wenn sie dazu beitrüge zu verhindern, dass Schily noch einmal in ein Kabinett statt in die Rente geschickt wird, wäre das ein schöner Erfolg. Ein Hoch auf den Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jürgen Koppelin, der am Mittwoch erklärte, die Durchsuchung der Redaktion von Cicero berühre grundlegende Fragen der Pressefreiheit. „Und Pressefreiheit wird nicht durch Innenminister Otto Schily gewährt, sondern ist ein Grundrecht unserer Verfassung.“
Arno Widmann, Berliner Zeitung

Offenkundige Einschüchterungsaktion

Der Minister sah geradezu die Machtfrage berührt: „Wir lassen uns nicht das Recht des Staates nehmen, seine Gesetze durchzusetzen.“ Mit geduldigen Erklärungen, drohte Schily, sei es nun nicht mehr getan: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Diskretion im Staat da, wo sie notwendig ist, auch durchsetzen.“ Wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ seien alle Journalisten zu verfolgen, die sich geheime Papiere wie „eine Trophäe“ ansteckten und damit die Arbeit des Staates behinderten: „Stichwort Cicero“.

Das Stichwort saß. Die Durchsuchung beim Potsdamer Monatsblatt vor gut zwei Wochen ist das bislang heftigste von Schily statuierte Exempel seiner neuen Auslegung von Pressefreiheit. Heribert Prantl, Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, wies Schily auf die Sprengkraft der Aktion hin: Zwei Minister mussten 1962 gehen, als Vergleichbares beim Spiegel geschah: „Nur dass diesmal das Opfer nicht Rudolf Augstein heißt.“

Bei Cicero konnte sich die Obrigkeit was trauen: Ermittler der Staatsanwaltschaft stellten knapp acht Stunden lang die Räume des Cicero-Mitarbeiters Bruno Schirra auf den Kopf und nahmen 15 Kisten voller Unterlagen mit. Es war eine offenkundige Einschüchterungsaktion, denn das beschlagnahmte Material über die Leuna-Affäre und andere Recherchefrüchte aus rund zehn Jahren Arbeit hatten ersichtlich nichts mit dem Anlass der Ermittlungen zu tun.
Der Spiegel

Keine Ermittlungen gefährdet

In der Branche ist bekannt, dass Schily seit Jahren mit Lecks in seinem Haus zu kämpfen hat. Längst wird in Berlin die Frage gestellt, warum gerade unter seiner, für ihren durchaus eigenwilligen Stil bekannten Führung Illoyalitäten von Beamten geschehen. Schily behauptet, Journalisten würden gar „Ermittlungsergebnisse“ gefährden. Nun ist dies gerade im Falle Cicero nicht der Fall. Hier wusste die betroffene Behörde sechs Wochen vor Drucklegung, dass der betroffene Journalist die brisanten Papiere besaß – er hatte sich selbst gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Jedoch traf sich die Amtsleitung erst Tage nach dem Artikel mit ihm, friedlich plaudernd über Stunden. Und es dauerte wieder zweieinhalb Monate, bis man die angebliche Strafbarkeit erkannte und Anzeige erstattete.
Guido Heinen, DIE WELT

Kolossal-Frust eines Abgewählten

Aus Otto Schily kann nichts mehr werden, und deshalb darf sich der scheidende Bundesminister des Innern, für den in der kommenden Koalition bei aller Größe hoffentlich kein Platz mehr ist, gehen lassen. Fortsetzung: heute, vor dem Innenausschuss. Schilys Lektionen zur Rolle der Medien im wehrhaften Staat, dritter Teil.

Bleibt festzuhalten: Im Prinzip waren die Durchsuchungen in der Redaktion des Monatsmagazins Cicero und bei dessen Mitarbeiter Bruno Schirra, der ausführlich einen als Verschlusssache gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamtes zitiert hatte, zulässig. Dass die Beamten gleich Schirras ganzes Privatarchiv mit zum Teil zehn Jahre alten Unterlagen mitnahmen, war dagegen unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Sollte sich bewahrheiten, dass die Polizei hierbei bewusst und auf höhere Anweisung vorging, um den Journalisten einzuschüchtern, wäre das Nötigung und erst recht illegal.

Was daraus folgt, klären, wie im Rechtsstaat üblich, die Gerichte. Und die Medien werden darüber berichten. Dass aber Otto Schily (SPD) diese Aktion nicht differenziert bewertet, sondern solches Vorgehen in seinem Kolossalfrust über undichte Stellen im Regierungsapparat und missliebige Medien mit an Honecker’schen Starrsinn erinnernder Hartnäckigkeit rechtfertigt, ist schlicht dumm. Schily sieht das „Recht des Staates“, seine Gesetze anzuwenden, ja zu verteidigen, in Gefahr. Wo denn, bitte – ausgerechnet bei einem politischen Salonmagazin aus Potsdam?

Dazu kommen Rachegelüste nach Art des alternden Sheriffs, ein bemühter Versuch, so etwas wie den High Noon der Berliner (Medien-)Republik zu inszenieren. Bei dem ebendiese Medien übrigens genauso gekonnt mitspielen. Schily redet von seinen Kritikerin als von ein „paar Hanseln“, und die blaffen begeistert zurück. Mit der Cicero-Affäre hat das natürlich herzlich wenig zu tun. Verboten ist es aber nicht.

Die Pressefreiheit ist übrigens nicht gefährdet, nur weil sich ein alter Mann in Rage redet. Nicht einmal, wenn es sich dabei zufällig um den abgewählten Bundesminister des Innern handelt.
Steffen Grimberg, taz

Es gilt den Anfängen zu wehren

Gewiss wäre es übertrieben, die Pressefreiheit in Deutschland schon als bedroht anzusehen – noch gibt es genügend kritische und selbstkritische Stimmen in den Parlamenten und in der Gesellschaft, die unanständige Begehren von übereifrigen Politikern und Beamten zurückweisen. Doch gilt es, den Anfängen zu wehren.

Die rigide Medien- und Journalistenschelte des Innenministers auf dem Kongress der Zeitungsverleger, die der Bundeskanzler schon am Wahlabend durch polemische Vorwürfe über einen angeblichen Machtmissbrauch der Medien vorweggenommen hatte, lässt denn auch den Verdacht zu, dass es manchem Regierenden vor allem um die eigene Sache geht. Wie im Falle Cicero, wo offensichtlich ein Beamter die inkriminierten Unterlagen weitergegeben hat. Gefunden wurde er nie, aber Pannen sind im Hause Schily per se verboten. Also wird der Schuldige woanders gesucht.
Holger Dohmen, Hamburger Abendblatt

Besonderer Schutz

Selbstverständlich sind Redaktionen kein rechtsfreier Raum, weshalb Ermittlungsbehörden Straftaten dort ebenso verfolgen dürfen wie anderswo. Allerdings wird die Pressefreiheit – nach Erfahrungen mit totalitären Staaten – als ein so hohes Rechtsgut geachtet, dass das Grundgesetz sie besonders schützt. Pressefreiheit basiert dabei auf der grundsätzlichen Möglichkeit, Missstände gerade dann zu beschreiben, wenn andere sie lieber verschweigen. Da dies ohne geheim gehaltene Informationen in der Regel unmöglich ist, schmälert potenziell jede Durchsuchung von Redaktionsräumen die Chance, Missstände aufzudecken. Denn die Furcht vor Enttarnung, die mit persönlichen Nachteilen für den Informanten verbunden ist, wird wohl viele zum Schweigen bringen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Gefahr in seinem Beschluss vom 1.Februar 2005 gesehen und deshalb geraten, bei Redaktionsdurchsuchungen die Umstände besonders sorgfältig abzuwägen. Noch sinnvoller wäre es, Durchsuchungen nur bei Verdacht auf ein Verbrechen zu gestatten. Beihilfe zum Geheimnisverrat – wie im Fall Cicero – fällt darunter nicht. Die Politiker aller Parteien, die die Pressefreiheit jetzt beschwören, sollten das passende Gesetz schaffen.
Frank Schauka, Märkische Allgemeine

Rechtsfreie Bananenrepublik

Die deutsche Sektion der internationalen Schriftsteller-Vereinigung P.E.N. hat die Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins Cicero scharf kritisiert. Der Verband rief Innenminister Otto Schily auf, die Ermittlungen des BKA zu stoppen.

Otto Schily müsse als Dienstherr des Bundeskriminalamtes (BKA) die Durchsuchungen abbrechen und die Arbeitsmaterialien zurückgeben, heißt es in den Forderungen der Schriftsteller. Die Methoden des BKA ähnelten „der Willkür in einer rechtsfreien Bananenrepublik“.
Spiegel Online

Staatsschauspieler Schily

„Geheimnisverrat“, so Schily heute, „ist nicht irgendeine Ordnungswidrigkeit. So kann man mit dem Staat nicht umspringen.“ Und mit ihm, dem Verantwortlichen für das BKA, erst recht nicht. In solchen Sätzen erscheinen Schily und Staat wie Synonyme: L’état c’est moi. In solchen Sätzen geht es nur um das Prinzip, nicht um Verhältnismäßigkeit oder politische Klugheit. In seinem Selbstbild hat Otto Schily sich übrigens nicht grundlegend geändert.

Als RAF-Verteidiger und Minister – stets hat er dem Recht gedient. In unterschiedlichen Rollen eben. Erst als Anwalt von Staatsfeinden, dann als Minister und Staatsschauspieler. Von außen mag dies als Bruch erscheinen, aus Schilys Perspektive nicht. Als er Mitte 20 war, wollte er Schauspieler werden. Vielleicht ist das ein Schlüssel, um Schily zu verstehen – jemand, der seine Rollen so überzeugend spielt, dass alle ihn damit identifizieren. Alle, sogar Otto Schily selbst.
Stefan Reinecke, taz

Abschied von der Pressefreiheit

So rechtfertigte der Innenminister den Einsatz von Polizisten in der Morgendämmerung: Sie durchsuchten das Haus eines Reporters und die Redaktion von Cicero, einem politischen Monatsmagazin. „Es gibt kein Recht auf Beihilfe zum Geheimnisverrat“, rief Schily den Chefredakteuren zu, die sofort in ihren Taschen wühlten, ob denn das Grundgesetz noch darin liege und nicht schon von Gehilfen des Innenministers beschlagnahmt worden sei.

Kritik an der Regierung wird zur Majestätsbeleidigung erhoben und das Recht der Presse, Missstände aufzudecken und die Wahrheit zu schreiben, als Verbrechen deklariert. Dieser öffentliche Abschied von der Pressefreiheit, den Verlegern und Chefredakteuren höchstpersönlich überbracht, ist der Höhepunkt von Schikanen der letzten Jahre. (…)

Wer ist der Souverän? Das Grundgesetz ist eindeutig: das Volk. Und wer informiert das Volk? Das Grundgesetz ist eindeutig: die Presse – ohne jegliche Zensur des Staates.
Ohne die Presse ist das Volk den Majestäten ausgeliefert, die selber entscheiden dürften, was die Bürger erfahren sollen.

An Kritik, und sei sie auch noch so hämisch, geht die Demokratie nicht zugrunde. Doch wer die Kritiker mundtot macht, zerbröselt die Demokratie und macht das Volk zu einem dummen Volk.
Peter-Josef Raue, Braunschweiger Zeitung

Pressefreiheit spielt keine Rolle

Schily ist schon seit einiger Zeit nicht mehr so gut wie er sein könnte – und das ausgerechnet, weil er sich selbst für so außergewöhnlich gut hält. Er redet nicht mehr mit denen, die ihm helfen könnten, sie sind eben alle irgendwie „Hanseln“. Egal, ob im Parlament oder in der Innenministerkonferenz oder in den Medien: Hanseln, die das großartige Wirken der rot-grünen Regierung und ihres Innenministers nicht verstanden haben und nicht verstehen wollen. Da muss ein Mann wie Schily einfach dagegen vorgehen. Die Pressefreiheit spielt dabei keine Rolle.
Annette Ramelsberger, Süddeutsche Zeitung

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