Populismus - Der große Joe Kaeser und die Politiker-Lümmel nebenan

Mit seinen Wut-Tweets über plaudernde Bundestagsabgeordnete zeigt der Siemens-Manager Joe Kaeser eine Geisteshaltung, die schon der Weimarer Republik zum Verhängnis wurde: die Verachtung der Eliten gegenüber der parlamentarischen Demokratie.

Hat’s in der Business Class gerne ruhig: Joe Kaeser / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Eines steht schon mal fest: Joe Kaeser, geborener Josef Käser, ist bei Fremdworten offenbar nicht ganz sattelfest. Als er im Flieger nach München saß, bekam er mit, dass einige Bundestagsabgeordnete sich lautstark „über den Gang hinweg“ unterhielten und dabei „Internas“ austauschten, wie er sich auf Twitter empörte. Wenn überhaupt, haben die Herren Volksvertreter Interna ausgetauscht. (Interna ist der Plural des selten gebrauchten Worts Internum.)  

Aber um die vermeintlichen Politikgeheimnisse ging es dem Ex-Siemens Chef und Aufsichtsratsvorsitzenden von Siemens Energy und Daimler Truck eher nicht. Es muss ihn wohl gestört haben, dass da in der teuren Business Class ein paar lausige Volksvertreter sich laut unterhalten, wo er doch ungestört darüber nachdenken wollte, wie er sein beträchtliches Vermögen weiter mehren oder zumindest die Welt retten könnte. Und dabei stören laut plaudernde Mitreisende natürlich. Das kommt halt davon, dass es auf Inlandsflügen keine First Class mehr gibt. 

Einer, der es „denen da oben“ so richtig besorgt

Das alles hat Kaeser so aufgeregt, dass er seinen Ärger gleich per Twitter der ganzen Online-Welt mitteilte: 

Einmal in Rage, schob er gleich noch einen zweiten Wut-Tweet nach: 

Noch populistischer geht es wohl kaum. Auf jeder AfD-Veranstaltung und jeder Querdenker-Demo hätten sie den Joe dafür bejubelt. Endlich mal einer, der es „denen da oben“ so richtig besorgt. Einer der Gescholtenen gab sich per Twitter zu erkennen: Thomas Sattelberger von der FDP, Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium. Er antwortete spitz: 

Was immer da einige tausend Meter über der Erde an Interna beziehungsweise Internas ausgetauscht worden sein mag: Erschreckend ist, was der Top-Manager offenbar über diese Herren aus dem Plenarsaal denkt: überbezahlte Lümmel ohne Benehmen. Und er, der große Siemens-Manager, muss diese auch noch mit seinen Steuern bezahlen.  

Bei „Fridays for Future“ angebiedert

Nun ist bekannt, dass Kaeser sich gern politisch einmischt. Auch, dass er sich gerne im Glanz der Großen der Welt sonnt und dabei auch vor plumper Anbiederung bei Wladimir Putin oder Donald Trump nicht zurückschreckt. Dabei offenbarte sich schon früher die populistische Neigung des Siemens-Mannes. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er sich als vermeintlich fortschrittlicher Wirtschaftsführer bei „Fridays for Future“ angebiedert und Luisa Neubauer, der wohl bekanntesten Sprecherin von FFF, einen Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy angeboten. Doch war die junge Aktivistin zu clever, um Kaeser auf den Leim (oder besser: Schleim) zu gehen. 

Mit seiner öffentlichen Attacke auf die mitreisenden Abgeordneten bediente Kaeser jetzt die niedrigen Instinkte an den politischen Rändern, wo Abgeordnete als überbezahlte, geldgierige Faulenzer gelten. Besonders infam ist die Bemerkung, wieviel Gutes man in diesem Land tun könnte, wenn Politiker schlechter bezahlt würden. Wohlgemerkt: So redet ein Mann, der für die monatlich 10.000 Euro eines MdBs wohl kaum aufstehen würde. Ganz abgesehen davon, dass Kaeser bisher nicht auf die Idee gekommen ist, die Vorstands- und Aufsichtsratsbezüge bei Siemens zu kürzen. Schließlich könnte man mit den eingesparten Mitteln die Gehälter der Siemens-Belegschaft erhöhen. Auch könnte der Konzern so jene Mitarbeiter, die im Zuge des von Kaesers betriebenen Konzernumbaus ihre Arbeitsplätze verloren haben, finanziell besserstellen.  

Was immer Joe Kaeser über den Wolken zu seiner Twitter-Eruption bewogen haben mag: Jedenfalls hat er erreicht, mal wieder als politischer Mensch wahrgenommen zu werden. Aber als was für einer? Nur zur Erinnerung: Die Weimarer Republik scheiterte nicht zuletzt an der Verachtung der sogenannten Eliten für die parlamentarische Demokratie. Um das zu wissen, braucht man keine „Internas“ aus der 1920er- und 1930er Jahren zu kennen. So viel von deutscher Geschichte sollten selbst vielbeschäftigte Top-Manager wissen.

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