Politische Korrektheit - Für die Freiheit des zivilisierten Kraftausdrucks

Mit seiner Äußerung, „das Stadion muss brennen", hat der Präsident des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Die Obsession mit korrekter Sprache beraubt Menschen ihrer Ausdrucksfreiheit. Von Matthias Heitmann

„Das Stadion muss brennen“: Eine harmlose Äußerung hat in Frankfurt einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst / picture alliance
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Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Es wirkt zu absurd, um wahr zu sein: Peter Fischer, der Präsident des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt, kündigte in einem Interview kurz vor dem Heimspiel in der Euroleague gegen Schachtar Donezk an, dass jeder Spieler mehr laufen und zudem das Stadion brennen müsse, um erfolgreich zu sein. Für die meisten Menschen klang das wie eine Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten und eben wie „typisch Peter Fischer“. Nicht so bei der Frankfurter Polizei: Dort löste Fischers Aussage Alarm und einen Großeinsatz aus. Die Polizei vermutete Gefahr in Verzug und schritt zur Tat. Kurz vor dem Spiel wurde das Stadion von der Polizei auf Pyrotechnik untersucht – erfolglos. „Unabhängig davon wie es gemeint war, musste ... davon ausgegangen werden, dass Besucher des Spiels sich ... dazu aufgerufen fühlen könnten, Pyrotechnik mitzubringen und abzubrennen“, sagte ein Polizeipressesprecher. Den Großeinsatz rechtfertigte er als „notwendig und angemessen“.

Im Stadion kam es dann tatsächlich zu Auseinandersetzungen, und die Fans verzichteten aus Protest auf eine seit Tagen vorbereitete Choreografie. Zudem wurde ein gegen den in Fankreisen alles andere als wohlgelittenen hessischen Innenminister Peter Beuth gerichtetes Banner beschlagnahmt. Dabei kam es zu Schlagstockeinsätzen, bei denen zwei Fans verletzt wurden.

Das Stadion als sicherheitspolitisches Freiluftlabor

Mal Hand aufs Herz: Sehen Sie in der Ankündigung eines für seine Emotionalität bekannten Vereinspräsidenten, das Stadion werde brennen, wirklich einen Aufruf zum Abbrennen von Feuerwerkskörpern? Will man darin ernsthaft die Anstiftung zu einer Straftat erkennen, oder ist der Vorwurf nicht eher konstruiert? Was sagt dieses polizeiliche Vorgehen über die Haltung staatlicher Behörden gegenüber Menschen aus? Natürlich kann man sich zurücklehnen und darauf hinweisen, dass Fußballfans und insbesondere die Frankfurter oft genug über die Stränge schlagen und sich über Polizeieinsätze dieser Art nicht wundern bräuchten.

Doch die bundesweiten Reaktionen auf die Ereignisse zeigen, dass viele Menschen über Vereinsgrenzen hinweg sehr wohl verstanden haben, dass es hier um etwas anderes geht. Diese Proteste reagierten auf einen besorgniserregenden Trend: Der Fußball wird mehr und mehr zu einem sicherheitspolitischen Experimentierfeld, auf dem Maßstäbe dafür gesetzt werden, wie künftig in der Gesellschaft mit Menschen und deren Rechten umgegangen wird.

Das Misstrauen schillert in allen Farben

Die im Wochenrhythmus stattfindenden Massenansammlungen in den Stadien bieten den Sicherheitsbehörden und der Politik Versuchsanordnungen in Freiluftlaboratorien, in denen das Verhalten von Menschenmengen nicht nur genauestens studiert, sondern auch durch eine immer weitergehende Regulierung geformt werden kann. Und die aktuellen Entwicklungen zeigen: Kontrolle und Regulierung werden immer weiter vorangetrieben. Da mag es auf den ersten Blick beruhigend wirken, dass sich der hessische Innenminister Beuth im Landtag einigen kritischen Fragen stellen musste.

Doch zeigt sich hier einmal mehr die Verlogenheit des Parteienbetriebs: Denn selbstverständlich nutzten die Oppositionsparteien das Thema, um den CDU-Mann als Law-und-Order-Dinosaurier zu kritisieren und sich selbst als Hüter der Meinungsfreiheit und als Wächter der bunten Kurvenkultur im Fußballstadion darzustellen. Tatsächlich aber ist der Hang zu einer immer strikteren Sprachregulierung und zu einer überbordenden Verbots- und Überwachungskultur im kompletten Parteienspektrum verbreitet. Unterschiede zeigen sich lediglich daran, wo die Grenzen der Freiheit gezogen werden. Dass sie zu ziehen sind, darin besteht parteiübergreifend Einigkeit. Das Misstrauen gegenüber den Bürgern schillert in allen Farben: schwarz, gelb, grün, rot und blau.

Die Goldwaage ist der Feind der Freiheit

An den behördlichen Reaktionen auf Peter Fischers „brennendes Stadion“ zeigt sich nicht nur ein fast schon paranoides Sicherheitsstreben, sondern auch die zunehmende Bereitschaft, bei der Interpretation von Aussagen jede Art von Vernunft und Augenmaß außer Acht zu lassen. Die Worte werden nicht nur auf die Goldwaage gelegt, sondern ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt. Fischer selbst wies daraufhin, dass man ja dann auch die Aussage, das Frankfurter Stadion sei ein Hexenkessel, als frauenfeindliche Massenbeleidigung auffassen könne. Tatsächlich müssten bei jedem Heimspiel Tausende von Zuschauern wegen Beleidigungen und Gewaltandrohungen in Gewahrsam genommen werden.

Denn gerade die rabiaten Beschimpfungen von Spielern, Trainern, Schiedsrichtern, gegnerischen Fans und Politikern, aber auch in der lauthals beschworenen Treue zur eigenen Mannschaft sind Bestandteile der um den Fußball entstandenen Fankultur. Für zarte Seelen mag das unzivilisiert wirken. Tatsächlich aber ist gerade die Freiheit der Fankurve ein Ausdruck von Zivilisiertheit: Wer glaubt, Aussagen ohne jeden Zusammenhang interpretieren und verurteilen zu können, der hat jedes Gespür für diese menschlichste aller Ausdrucksformen verloren – und damit auch für den Menschen selbst

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