Politische Jugend - Ihr Kinderlein, kommet!

Wer bestimmt den Gang der Dinge in Deutschland: die grünen Klimakinder oder die Volksparteien? Die bewegte Jugend hat die Diskurshoheit errungen. Aber auf dem Spiel steht die Zukunft des ganzen Landes.

Eine Person mit einem Lastenfahrrad fährt auf dem autofreien Teil der Friedrichstraße während einer Pressekonferenz der Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Ist das die Zukunft? Der junge Vater in kurzen Hosen auf dem Lastenfahrrad, vorne drin fröhliche Knirpse – Kind und Kegel, klimaneutral unterwegs, die Kutsche des 21. Jahrhunderts: Vorwärts in die Vergangenheit! 


Es darf nur nicht regnen, wie es Zürcher Fahrraddemonstranten widerfuhr, die ein plötzliches Gewitter zur Flucht unter Balkone und Vordächer zwang. Es darf auch nicht steil bergan gehen, wie es Mütter leidvoll erleben, wenn sie ihr ökologisch untadeliges Gefährt mitsamt Bagage eine Steigung hochschieben. Und windig-kalt sollte es möglichst auch nicht sein. Sommersonne muss scheinen, jung muss man sein, sportlich gestählt in der bunten, schönen, heilen Welt des neuen, des zweiten Kutschenzeitalters. 

Nichts für Omas

Ja, das Verkehrsmittel der klimabereinigten Zukunft ist nichts für Omas, vor allem nichts für den hoffnungslos abgehängten „alten weißen Mann“, dessen Vehikel, dessen Ich, dessen Selbst das Auto bleibt – bis es endlich endgültig verboten ist.


Das Lastenfahrrad als Metapher: für den Infantilismus, der eine grün-grundierte Gesellschaft befallen hat. Oh je, die Grünen! Nun fordern sie auch noch ein Online-Portal zur anonymen Denunziation von Steuersündern, beispielsweise Nachbarn, die Handwerker oder Putzfrauen schwarz beschäftigen. Die amtliche Ermunterung weckt kindliche Erinnerungen an das Anschwärzen von Kameraden in der Schule. Das grüne Petzportal – Infantilismus per Gesetz. 

Feminismus oder Infantilismus?

Und was ist die geschlechterkorrekte Atempause mitten im Wort von Rundfunk- und TV-Journalisten? Was der folgsame Glottisschlag beim Aussprechen der Endung „… innen“ – etwa in „Mensch*innen“? Was sind all die Gender-Sternchen und -Doppelpunkte und -Großbuchstaben im schriftlichen Ausdruck? Ist das Feminismus? 
Es ist Infantilismus!


Annalena Baerbocks Wahlkampf-Lockruf war ganz auf die Jugend zugeschnitten: Begeistert erzählte sie vor Kindern von Kindern, zumal von den zwei eigenen; im Publikum versammelte sie mit Vorliebe Mädchen, die bewundernd zu ihr aufschauten, dieser tapfer-taffen Mutter. Der Grünen beflissenste Pfadfinderin sonnte sich im Zuspruch der Fridays-for-Future-Szene. Lasset die Kinder ins Kanzler*innen-Amt kommen! 

Die neue Rechte, die sich selbst als links verortet

Auf E-Scootern flitzen sie herbei und hinweg, Gören im Erwachsenenalter – die Stadt gehört ihnen, Gehsteig wie Straße. Warum nicht gleich die ganze Welt!
Sie hören auf das Kürzel LGBT oder LGBTQIA+, Geschlechteridentitäten von lesbisch bis transgender bis zum Gehtnichtmehr der Untergruppen – das identitäre Programm einer neuen linken Rechten, die Demokratie und Wahl durch Quoten und Auswahl ersetzen möchte. Ja, der Infantilismus dieser Tage ist hochpolitisch. 

Die Kindsköpfe wollen an die Macht. Sie tummeln sich vorwiegend an den Universitäten, streunen durch Hörsäle, überwachen Professor*innen, die sie unbotmäßiger Vorlesungen verdächtigen, betreiben deren Absetzung, manche nennen es „Cancel Culture“. Es ist die neue Rechte, die sich selbst als links verortet.

„Generation Verwöhnt“

Facharbeiter oder Handwerker sind in ihren Reihen nicht zu finden. Die dürfen bestenfalls Steuern zahlen, mit denen die akademische Infra­struktur und die Gehälter der jungen bis jüngsten Revoluzzer-Avantgarde beglichen werden. Und wenn’s nicht reicht, springen die Eltern ein, in der Regel wohlhabend-mittelständisch-akademisch-progressiv: das Biotop des jugendlich-kindischen Elitismus. Die „Generation Verwöhnt“ will nichts mehr wissen vom SUV-Mercedes, mit dem Mama sie zur Schule gefahren hat. Das Vehikel ihres Protests ist das Lastenfahrrad.


Ihre Kindereien, ausgebrütet in wohlklimatisierten Auditorien, wirken bereits in die Politik. Allen voran die Grünen hofieren ihre Genoss*innen aus dem Gender-Milieu. Man ist einander grün in der sozial privilegierten Herkunft. Man spricht studierte Sprache. Man verströmt Idealismus. Man liebt Rousseaus romantische Utopie des „edlen Wilden“ und substituiert mit dem Migranten das nicht vorhandene Proletariat. 

Akademischer Sandkasten

Jemanden muss man schließlich in die Zukunft führen können, sonst hat doch der ganze Spaß im akademischen Sandkasten keinen Sinn … Die linken Reaktionäre betrachten die Welt der Arbeit von oben herab. Im Berliner Bezirk Kreuzberg soll das modellhafte Leben dazu entstehen: keine Autos, dafür Fahrradwege, lauschig bepflanzte Gehsteige. Vor allem aber: Lieferanten und Müllmänner dürfen erst ab zehn Uhr morgens anliefern und abtransportieren – kämen sie früher, würden sie den Akademikerschlaf stören.

Wir da oben – ihr da unten. Oben in dieser Gesellschaft sitzen Experten, vorwiegend kompetent in den gerade angesagten Disziplinen Pandemie und Klima, organisiert in Instituten, Fachräten und Fakultäten. Auf sie sollen die gewählten Politiker hören, bevor sie entscheiden. Die Grünen fordern ein Umweltministerium mit Vetorecht, also Richtlinienkompetenz für klimapolitische Rechtgläubigkeit.

Geeignete Stimmung ist die Katastrophenstimmung

Damit das alles funktioniert oder wenigstens ins Rollen kommt, bedarf es der geeigneten Stimmung – der Katastrophenstimmung. Eingeübt wird sie seit gut anderthalb Jahren mit unbestreitbarer Legitimation am Beispiel Corona: Carl Schmitts Ausnahmezustand unter demokratisch einwandfreien Verhältnissen – die Regierung absolut souverän im Durchgriff auf die Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern.


Wäre das pandemische Szenario nicht auch geeignet für die Klimapolitik – als Blaupause für ein grünes Zeitalter? Die Katastrophe droht mittlerweile täglich auf allen Kanälen der Öffentlich-Rechtlichen und in allen Spalten der politisch korrekten Printmedien. Warum der unablässigen Ausrufung des Ausnahmezustands nicht endlich entschlossenes Handeln folgen lassen – und Demokratie und Bürgerfreiheit katastrophengerecht zurichten? 
Kinderei als Regierungsprogramm. 

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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