Polit-Experten und ihre Parteizugehörigkeit - Experten unter falscher Flagge 

Wissenschaftler sind keine politischen Eunuchen. Es ist völlig in Ordnung, wenn sie sich auch parteipolitisch engagieren. Problematisch wird es nur, wenn sie in der Presse oder in öffentlich-rechtlichen Medien als überparteiliche Autoritäten präsentiert werden - und das passiert vor allem dann, wenn es sich um SPD-nahe Experten handelt.

Wolfgang Merkel, Mitglied der SPD-Grundwertekommission und gern gesehener Talkshow-Gast, hier bei einem Vortrag für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Zagreb / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die CDU fühlt sich vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) nicht gerade verwöhnt. Aber jetzt schäumten die Wahlkämpfer der Union geradezu vor Wut. Vor wenigen Tagen wurde im Hörfunkprogramm WDR 5 eine Politikexpertin dazu interviewt, wie groß der Schaden der „Mallorca-Affäre“ für die CDU und wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Regierungswechsels im bevölkerungsreichsten Bundesland wohl sei. Das Problem dabei: Die befragte Politikwissenschaftlerin Julia Schwanholz ist SPD-Mitglied und zudem Funktionärin in ihrer Partei. Das erfuhren die Zuhörer freilich nicht. 

Der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer reagierte sauer. „Der WDR lässt erneut die Neutralität in seiner Berichterstattung in der heißen Wahlkampfphase vermissen.“ Und: „Von Transparenz keine Spur – hier wird dem Publikum eine SPD-Funktionärin als neutrale Kritikerin der Landesregierung untergejubelt.“ CDU-Bundesschatzmeisterin Julia Klöckner stellte die rhetorische Frage: „Ist das noch Zufall oder einfach politisch gewollte Hilfe für den SPD-Kandidaten?“ Der WDR entschuldigte sich bald darauf auf Twitter: Man hätte „transparent machen müssen“, dass Schwanholz SPD-Mitglied ist. „Wir bitten zu entschuldigen, dass wir das nicht getan haben.“ Der Tweet war aber wenig später nicht mehr abrufbar. 

Sollte diese Reaktion des WDR Schule machen, dann kommen die öffentlich-rechtlichen Sender bald aus dem Entschuldigen nicht mehr heraus. Da müssten bald einige Entschuldigungsbeauftragte bestallt werden. Oder ARD, ZDF, DLF & Co. beenden die gängige Praxis, bei Experten die Parteizugehörigkeit fast immer zu „vergessen“ oder bewusst wegzulassen. Denn auffällig oft sind in den öffentlich-rechtlichen Programmen scheinbar neutrale Experten zu sehen und zu hören, deren Herz nicht nur links angesiedelt ist, sondern auch politisch so schlägt.  

„Da haben wir unsere eigenen Leute“

Dazu zählen beispielsweise die Politikwissenschaftler Frank Decker (Bonn) und Wolfgang Merkel (Berlin). Die beiden renommierten Professoren sind Mitglieder der SPD-Grundwertekommission und damit den Sozialdemokraten weitaus enger verbunden als nur durch eine zu vermutende entsprechende Stimmabgabe. Aber wann immer Decker bei Phoenix oder Merkel bei „Anne Will“ auftaucht: Ihre SPD-Nähe wird von den Moderatoren systematisch verschwiegen.  

Das Ausblenden der Parteizugehörigkeiten oder der Nähe zu einer bestimmten Partei ist in Printmedien ebenfalls gängige Praxis, wenn dort Fachleute zu Wort kommen. Dazu nur ein Beispiel aus der Süddeutschen Zeitung. Als im Bundestagswahlkampf der Verdacht aufkam, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz habe sein Steuerkonzept in dem von ihm geleitetet Finanzministerium erarbeiten lassen, verneinte Norbert Walter-Borjans das entschieden. „Also bitte“, ließ sich der damalige Co-SPD-Vorsitzende in der SZ vom 7. Juli 2021 zitieren, „da haben wir unsere eigenen Leute.“ Dann nannte Walter-Borjans einige Wissenschaftler aus der SPD-Kommission „Steuern und Finanzen“.  

Kämpfen mit offenem Visier

Zu diesen zählte auch Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Bach wurde ein paar Tage später von der SZ als Steuerexperte zu den Steuerprogrammen aller Parteien befragt, auch zu dem von ihm selber miterarbeiteten der SPD. Apropos DIW: Dass dessen Chef Marcel Fratzscher der SPD nahesteht (FAZ: „lautstarker Claqueur der Sozialdemokraten“) erfährt kein Fernsehzuschauer und kein Radiohörer. Wird dagegen das „Institut der deutschen Wirtschaft“ oder einer dessen Ökonomen zitiert, fehlt – was völlig in Ordnung ist – selten der Hinweis „arbeitgebernah“.  

Aus der Riege der häufig im Fernsehen und Hörfunk interviewten Experten ragt einer heraus: Andreas Rödder aus Mainz. Der Professor für Neueste Geschichte macht keinen Hehl aus seiner CDU-Mitgliedschaft und seinen innerparteilichen Aktivitäten. Der Historiker gehörte sogar zweimal dem Kompetenzteam von Julia Klöckner an, als diese Regierungschefin in Rheinland-Pfalz werden wollte. Seine CDU-Mitgliedschaft hindert Rödder freilich nicht, auch die eigene Partei deutlich zu kritisieren. Ob es gegen den rotgrünen Mainstream oder die Modernisierer in den eigenen Reihen geht: Rödder kämpft jedenfalls immer mit offenem Visier.  

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wissenschaftler sind keine parteipolitischen Eunuchen, haben deshalb eine parteipolitische Grundhaltung. Wenn diese Experten nicht nur forschen und theoretisieren, sondern sich aktiv in den parteipolitischen Prozess der Willensbildung einbringen, dann kann das unseren Parteien und unserer Demokratie nur nutzen. Professoren wie Merkel oder Decker haben ja durchaus etwas zu sagen. Aber sie wären glaubwürdiger, wenn sie in den Medien nicht unter falscher Flagge segelten – und die sie einladenden Sender auch. 

Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung des Textes wurde auch Andrea Römmele, Professorin an der Hertie School in Berlin, erwähnt. Frau Römmele ist seit 2019 nicht mehr Mitglied der SPD.

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