CDU - Warten auf Amthor

Mit 26 Jahren ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor das große Nachwuchstalent seiner Partei. Er wirkt wie ein Streber aus dem Westen – aber seine Biografie überrascht

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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor am Stettiner Haff in Ueckermünde / Anja Lehmann
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Seine Raute sieht so aus: Ähnlich wie beim Vorbild sind die Ellbogen angewinkelt, die Hände werden auf der Höhe des Bauchnabels zusammengeführt. Die Daumen berühren sich, die restlichen Finger der linken liegen über den Fingern der rechten Hand. Auch dieses leichte Lächeln, nicht strahlend, aber freundlich-bestimmt, erinnert an jene deutsche Politikerin, die aus Philipp Amthors Nachbarwahlkreis stammt und am Anfang seiner politischen Karriere stand.

Ansonsten: ordentlicher Seitenscheitel, weißes Hemd, die Deutschlandflagge am Revers, so steht Amthor Mitte März auf der Bühne von Clärchens Ballhaus, einem der wenigen Orte in Berlin-Mitte, die in ihrer Ranzigkeit noch den Charme des nachwendigen Ostberlins atmen. Neben ihm, die Hände in den Taschen seiner Jeans, der Kevin, also Kühnert, Chef der Jusos. Luise Amtsberg von den Grünen, in einem mit Palmen bemalten Blazer, komplettiert das Trio der Jung­stars der deutschen Politik. Der Spiegel hat die drei eingeladen, um die Frage zu klären, ob die Politik den Nachwuchs vernachlässige.

Coolness-Faktor tendiert gen null

Philipp Amthor ist immer erreichbar,
auch im stürmischen Ueckermünde

Über eine Stunde war die Diskussion vor sich hin geplätschert, man beklagte dies, forderte jenes, aber eigentlich waren sich alle einig. Denn Amthor fehlte. Er verspäte sich, weil es noch irgendeine wichtige Plenarsitzung im Bundestag gebe, hatte die Moderatorin erklärt und dafür Lacher im jungen, eher kapuzenpulligen Publikum geerntet. 21 Uhr und 12 Minuten, Auftritt Amthor: Er habe noch eine Rede gegen den AfD-Antrag zur Begrenzung der Kanzleramtszeiten halten müssen. „Arbeit ist Arbeit, und Spaß ist Spaß. Man wird als Abgeordneter schließlich nicht bezahlt für Auftritte beim Spiegel, sondern für parlamentarische Arbeit“, erklärt er und setzt noch einen linken Haken gegen seine grüne Nebensitzerin: „Scheinbar ist das Parlament für Sie nicht so notwendig.“

Amthor schmeißt diesen Abend, obwohl sein Coolness-Faktor gerade im Kontrast zum Juso-Chef gen null tendiert. Er greift an, ohne die Grenzen des Anstands zu überschreiten, er ist wortgewandt und kompetent. Während der Kevin zur Krönung des Abends die Einführung des Wahlrechts ab null Jahren fordert, doziert Amthor über die verfassungsrechtlichen Probleme einer Absenkung des Wahlalters. Und das mit 26 Jahren. Man fragt sich: Wo soll das noch hinführen?

Ostdeutsche Herkunft

Schauen wir dorthin, wo es anfing. Anders als es sein Äußeres vermuten lässt, ist Amthor kein Spross einer Rechtsanwaltsfamilie aus Osnabrück. Er stammt vielmehr aus dem Städtchen Torgelow in Vorpommern. Nördlich liegen Ueckermünde und das Stettiner Haff, ein paar Kilometer Richtung Osten die Grenze zu Polen. „Land der drei Meere“ heißt es im Scherz über diese Gegend: Sandmeer, Waldmeer, Nixmehr. Im Zentrum ist Torgelow inzwischen recht schmuck herausgeputzt, was aber nicht über den Niedergang in den 1990er Jahren hinwegtäuschen kann: Von 15 000 Einwohnern aus Vorwendezeiten sind weniger als 10 000 geblieben. Mehrere Geschäfte in der Hauptstraße stehen leer, zuletzt hat Marlis Dinse Lederwaren geschlossen. Die alte Dame ist in Rente gegangen. Was die Menschen hier bewegt, erfährt man beim Mittagstisch in der Kneipe Schwalbennest: Flüchtlinge, Windkraftanlagen und zu teurer Strom. Über den Fernseher flackert die Schlagzeile: „Feuerwehr rettet Kuh aus Güllegrube“.

Auf einer Waldlichtung ein paar Minuten außerhalb von Torgelow stehen Plattenbauten, errichtet für Offiziere der NVA, die hier mit weit über 10 000 Mann stationiert war. Der Urgroßvater stammt aus Ostpreußen, landete über den Umweg Stalingrad und Kriegsgefangenschaft in Neuruppin, Amthors Großvater heuerte später bei der NVA an, so kam die Familie nach Torgelow. Hier wurde Amthor 1992 geboren. Das Thema Vater wird gemieden. Die Mutter, gelernte Werkzeugmacherin, machte nach der Wende mehrere Fortbildungen und coacht seitdem Mitarbeiter in einem Callcenter. Ein benachbarter Plattenbau fungiert inzwischen als Flüchtlingsheim.

Der Amthor muss an die frische Luft

„Die Brüche in der Wendezeit habe ich in der eigenen Familie live erlebt“, sagt Amthor später in Berlin. Und hält gleichzeitig nichts vom Wettbewerb, der gerade populär sei: Wer hat am meisten Mitleid mit den Ostdeutschen? „Respekt zeigt man nicht durch falsches Bemitleiden“, sagt er. „Stattdessen sollte man auch auf die schauen, die es mit Mut und Zuversicht trotzdem geschafft haben.“

Natürlich dürfen auf keiner Veranstaltung
die großen Plakate fehlen

Von den Plattenbauten fuhr Amthor in die Schule, zuerst nach Torgelow, dann nach Ueckermünde ins Gymnasium. Und war schon damals eines überhaupt nicht: cool. „Es gibt da keine Jugendsünde, er hat sich nie danebenbenommen“, erzählt seine Klassenkameradin Carolin Riß in der Konditorei Reichau in Torgelow – rundherum ältere Damen, die sich zum Tortenessen treffen. Riß erinnert sich, wie der Lehrer einmal leicht entnervt zu Amthor sagte, als der schon wieder den Finger hob: „Nein, Philipp, heute du mal nicht als Erster.“ Man hat es vor Augen: Philipp Amthor war ein Streber. Sein Onkel Andreas Amthor, Bankkaufmann in der Nachbarstadt, erzählt, wie der Junge CDU-Parteitage im Fernsehen verfolgte, sich Hefte der Bundeszentrale für politische Bildung bestellte, an das Grundgesetz-Plakat, das er sich mit 14 an die Tür seines Kinderzimmers heftete. „Man wunderte sich, und man freute sich“, sagt er. Die Szenerie erinnert an „Der Junge muss an die frische Luft“, das jüngst verfilmte Biopic über die Kindheit Hape Kerkelings, der in Recklinghausen vor der Glotze saß und von den Fernsehkomikern der siebziger Jahre lernte, wie man lustig ist. Philipp Amthor lernte, wie man Politiker ist.

Liebling der Senioren

Amthor war Eigenbrötler, aber kein Einzelgänger. „Immer bereit, anderen zu helfen“, so beschreibt ihn die Klassenkameradin. Er wird zum Schülersprecher gewählt, mit 16 tritt er in die CDU ein. Er studiert Jura im nahen Greifswald und wird dann Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Matthias Lietz, eines Hinterbänklers, der 2017 Gefahr läuft, das Direktmandat im Wahlkreis gegen den AfD-Kandidaten zu verlieren. Am­thor sieht seine Chance und nutzt sie: Mit Unterstützung der lokalen CDU-Größen zwingt er den Abgeordneten zum Rückzug – und zieht selbst mit Direktmandat in den Bundestag ein.

In seinem Wahlkreis ist der Jungpolitiker
Amthor schon ein Star

Wie er die Wahl in diesem Wahlkreis, der doppelt so groß ist wie das Saarland, gewinnen konnte, das lässt sich an einem stürmischen Märzabend in der Strandhalle, einem Restaurant in Ueckermünde direkt am Haff, bestaunen. Amthor lädt zum Heringsessen am Rosenmontag, traditionell die wichtigste CDU-Veranstaltung des Jahres. Die „oberen 10 000“ der Region kommen hier zusammen, wie ein Torgelower witzelt: CDU-Politiker, aber auch die Chefs der wichtigsten Unternehmen und der Kommandeur des Jägerbataillons 413, bis heute der wichtigste Arbeitgeber in Torgelow. Durchschnittsalter der Gäste – über 60. Und Amthor, dieser Bubi von 26 Jahren, begrüßt sie fast alle mit Vornamen, dazu tätschelt er sie, herzt sie, wie es ältere Männer gerne tun. „Das ist unser kleines Wunderkind“, stößt Kathleen Fleck, Stadtpräsidentin von Ueckermünde, verzückt hervor.

Stolz der Ueckermünde

Dabei ist Amthor in Mecklenburg­Vorpommern nur einer von vielen Jüngeren, die zuletzt CDU-Politiker aus der Nachwendezeit zur Seite geschoben haben: Vincent Kokert, Landesvorsitzender, Jahrgang 1978, Landrat Michael Sack, Jahrgang 1973, CDU-Kreisvorsitzender Franz-Robert Liskow, Jahrgang 1987. Dass die CDU den Generationenwechsel vorantreibt, hat auch den Grund, dass ihr das Wasser bis zum Halse steht: Der Ortsverein in Ueckermünde hat keine 30 Mitglieder mehr, der in Torgelow sogar weniger als zehn.

Zwei übermannshohe Plakate mit den Worten Philipp Amthor auf Schwarz-Rot-Gold stehen auf der Bühne, davor begrüßt ein strahlender Gastgeber den Stargast des Abends, Polizeigewerkschafter und CDU-Mitglied Rainer Wendt. Letztes Jahr hatte Amthor JU-Chef Paul Ziemiak zum Heringsessen eingeladen. Im Wahlkampf holte er zur Unterstützung Spahn, Seehofer und Schäuble. Die Welt zu Besuch in Ueckermünde, das erfüllt die Menschen in Vorpommern mit Stolz, einer Region, deren Bewohner sich immer etwas vergessen fühlen.

Siegeshungrig bis zur Selbstzufriedenheit

Im Plattenbau für Offiziere der NVA in
Torgelow wuchs der Politiker auf

Wendt lässt es an diesem Abend wie üblich krachen. Es geht gegen linke Sprechverbote, gegen die Grünen und ihre Greta, aber es gibt auch markige Sprüche gegen kriminelle Asylbewerber. Der Name Merkel fällt nicht, aber er liegt in der Luft. Der Saal klatscht begeistert. Mittendrin sitzt Amthor, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, er hätte diesen Klartextredner eingeladen, weil dieser öffentlich Dinge sagt, die er denkt, aber so lieber nicht sagt. Meist wirkt Amthor kontrolliert. Aber wenn er erzählt, wie im vorigen Jahr das „heute-journal“ vom Heringsessen berichtete, weil Ziemiak zu Gast war, dann sprudelt die Begeisterung aus ihm heraus, als würde er seiner Mutter von einer Eins in der Schule berichten. Dann trommelt er mit den Fäusten auf den Tisch und gluckst.

Amthor liebt es zu gewinnen. Vielleicht ein wenig zu sehr. Es gibt da dieses Bild, das er wenige Wochen vor der Wahl 2017 auf Facebook gepostet hat: Da sitzt er mit seinem Amtsvorgänger Lietz in dessen Abgeordnetenbüro und bedankt sich für den „guten Austausch“. Amthor grinst selbstzufrieden. Lietz, dem der Jungpolitiker gerade den Wahlkreis abgeluchst hat, schaut gequält in die Kamera. So ein Bild muss man nicht posten.

Phrasen á la Merkel

Wer Amthor länger begleitet, dem fallen zudem mit der Zeit mehr und mehr die vielen Floskeln auf, die sich schon in das Vokabular des 26-Jährigen eingeschlichen haben: „Das ist eine Diskussion, die man führen kann.“ „Es ist legitim, darüber nachzudenken.“ „Ein Stück weit.“ Da merkelt es gewaltig.

Heringsessen mit regionaler Prominenz
in Ueckermünde

Formal ist Amthor nah dran an der Kanzlerin, Wahlkreisnachbarin und frühe Unterstützerin. „Sie hat viele positive Eigenschaften“, antwortet er auf die Frage, ob sie ein Vorbild sei. Sie sei „bodenständig, fleißig und interessiert an allen Themen, auch auf lokaler Ebene in Vorpommern“. Aber programmatisch ist der innenpolitische Hardliner und Merkel-Kritiker Wolfgang Bosbach sein Vorbild.

Und doch hat Amthor den richtigen Riecher gehabt. Beim Rennen um den CDU-Vorsitz hat er Annegret Kramp-Karrenbauer unterstützt und nicht Friedrich Merz. „Das Narrativ ,AKK ist Merkel zwei‘, das wird ihr nicht gerecht. Ich finde, sie ist eine moderne Frau, die gleichzeitig eine wertkonservative gesellschaftspolitische Haltung hat, die mich anspricht“, sagt er. Beim politischen Aschermittwoch im vorpommerschen Demmin beginnt Kramp-Karrenbauer denn auch mit „Lieber Philipp Amthor“. Nach ihrer Rede – er sitzt ganz vorne am Biertisch – legt er der Saarländerin im Vorbeigehen in bekannter Altherrenart freundschaftlich die Hand auf den Rücken.

Konservative Identifikationsfigur gegen rechts

Amthor ist im Team. Auch, weil er sich fernhält von der Werte-Union oder dem Berliner Kreis. „Leute wie Amthor gehören zur Volkspartei CDU“, sagt Ruprecht Polenz, früherer CDU-Generalsekretär und eher links der CDU-Mitte. „Amthor gelingt es, Leute zum Bleiben zu bewegen, die am rechten Rand der Partei stehen und überlegen, noch weiter zu gehen.“ Für den konservativen Teil der CDU könne er so zu einer Identifikationsfigur werden. Gerade weil er sich deutlich von der AfD abgrenze.

Seine besten Momente im Bundestag hatte er denn auch mit Reden gegen den Herausforderer von rechts: Während Sozialdemokraten wie Johannes Kahrs („Hass kommt von hässlich, schauen Sie in den Spiegel“) sich auf das Niveau von Facebook-Kacheln der AfD begeben, zerpflückt Amthor die Anträge der Rechten inhaltlich. Von der neuen Parteiführung wird er auch deshalb geschätzt, weil er sich für sie ins Feuer wirft: Im Radio verteidigt er Kramp-Karrenbauers Witz über Intersexuelle beim Karneval oder Ralph Brinkhaus’ Äußerung über einen möglichen muslimischen Kanzler.

Der Bösewicht in Talkshows

Der Blick geht längst über das Haff
hinaus auf eine Karriere in Berlin

Nach den lähmenden sozialchristdemokratischen Jahren stehen Politiker aus der Mitte, aber mit Profil, wieder hoch im Kurs. Die Wills, Illners und Maischbergers klingeln Sturm: zum Werbeverbot für Abtreibungen, Passentzug für IS-Kämpfer, Dieselfahrverbot oder zu den Klimaschutz-Demos. „Natürlich hat eine Talkshow immer ein Setting: Es gibt den Helden, den neutralen Beobachter, und es gibt den Bösewicht“, sagt Amthor in Berlin. „Und man sollte sich bei der Auswahl der Talkshows darum kümmern, dass man nicht allzu oft der Bösewicht ist.“ In letzter Zeit lehnt er deshalb auch mal ab. Das „Neo Magazin Royale“ bei Jan Böhmermann im März lässt er sich aber nicht entgehen.

„In der CDU wird nichts so sehr geneidet wie Erfolg“, gibt ein bekanntes CDU-Mitglied zu bedenken, das den Aufstieg des Jungstars mit Wohlwollen beobachtet. Amthor begegnet dem mit demonstrativem Understatement. Beteuert, dass er sein Mandat als „politisches Amt auf Zeit“ begreife und auch deshalb an seiner Dissertation weiterschreibe und nebenbei weiter für eine Wirtschaftskanzlei in Berlin arbeite. „Es ist besser, unterschätzt als überschätzt zu werden“, ist ein Spruch, den er fast überall anbringt. Dabei ist nicht zu übersehen, wie sehr da einer nach oben will. Ist Deutschland bereit für einen Innenminister unter 30, Herr Amthor? Da kommt der sonst so eloquente 26-Jährige ins Stottern, lehnt sich weit zurück auf dem ledernen Sofa seines Abgeordnetenbüros: „Wohin soll das führen?“ Und antwortet schließlich mit einem Merkel-Satz, der alles und nichts heißen kann. Lassen wir ihn deshalb also einfach weg.


Dies ist ein Artikel aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt kaufen können.

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