Petra Köpping - Genossin für Herzenswärme

Petra Köpping kandidiert gemeinsam mit Boris Pistorius für den SPD-Parteivorsitz. Sachsens Integrationsministerin kümmert sich nicht nur um Flüchtlinge, sondern integriert auch den Osten und fordert eine Wahrheitskommission zur Politik der Treuhand. Ein Porträt der Hoffnungsträgerin der Sozialdemokraten

Petra Köpping: Beschwerdestelle für jenen Teil des Ostens, der die Härten der Nachwendezeit noch nicht verwunden hat / Felix Adler
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Christine Keilholz hat bei der Neuen Zürcher Zeitung volontiert und ist Korrespondentin in Sachsen.

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Zu Petra Köpping kommen jetzt immer mehr Menschen, die sich nicht integriert fühlen. Neulich meldete sich eine Frau, die sich ungerecht behandelt fühlt: „Mir hilft seit 30 Jahren keiner.“ An viele Politiker habe sie geschrieben, jetzt reiche es ihr, sie wähle in Zukunft AfD. Köpping, die Ministerin von der SPD, fragte die Frau, warum, warum sie sich ausgerechnet dort Hilfe verspreche. „Weil die anderen Parteien einen Denkzettel brauchen.“

Wenn jemand in solchen Fällen was ausrichten kann, dann Petra Köpping. Die 60-jährige SPD-Frau hat sich als Ministerin für Integration und Gleichstellung in Sachsen an die Spitze einer neuen Bewegung gestellt. Ihr Ministerium war ursprünglich für Flüchtlinge gedacht. Jetzt wird es zur Beschwerdestelle für jenen Teil des Ostens, der die Härten der Nachwendezeit noch nicht verwunden hat.

Plötzlich ist Köpping überall

Köpping hat sich neu erfunden. Aus der Ministerin ohne Macht und Leute wurde die, die in Talkshows sitzt. Ein politisches Kunststück, über das die CDU staunt. Im September erscheint ihr Buch mit dem Titel „Integriert doch erst mal uns!“. Köpping will eine sein, die mitfühlt. Das macht sie zur Hoffnungsfigur einer SPD, die im Osten dringend wieder eine Frau braucht mit Herzenswärme.

Plötzlich ist Köpping überall. Neulich in Bochum auf einem Podium kam das Gespräch schnell auf die AfD, die bei den bevorstehenden Landtagswahlen im Osten durch die Decke gehen kann, die sogar in Sachsen den nächsten Ministerpräsidenten stellen könnte. Im westdeutschen Kernland der Sozialdemokratie stellte Köpping wieder einmal fest, „wie wenig man dort über den Osten und die Nachwendezeit weiß“. Kaum ist an die Ruhr vorgedrungen, dass die frühen neunziger Jahre im Osten zwar eine goldene Zeit der Möglichkeiten waren für die, die Mittel und Kontakte hatten. Aber ein dramatischer Niedergang für viele andere.

Trauerarbeit, die noch zu leisten ist

Köpping kann davon erzählen. Als Bürgermeisterin einer kleinen Stadt im Leipziger Braunkohlerevier, seit 1988 im Amt, brauchte sie 1990 einen neuen Job. Die Jahre, in denen die Treuhand Hunderttausende Betriebe privatisierte, verbrachte die dreifache Mutter im Außendienst einer Krankenkasse, bis Großpösna sie wieder im Rathaus wollte und ihre Karriere in der SPD begann.
Köpping hat eine Wahrheitskommission vorgeschlagen, um die Treuhand-Zeit aufzuarbeiten. „Es ist damals viel Vertrauen in Demokratie und Politik zerstört worden“, ist sie überzeugt. Für Ostdeutsche steht die Treuhand bis heute für die Kälte des Kapitalismus und die Schmach der Abgewickelten. Köpping spricht von Trauerarbeit, die noch zu leisten sei, von Wahrheit und Genugtuung. Sie habe 65-jährige Männer weinen sehen, wenn sie von damals erzählten.

Für die SPD in Sachsen sind das völlig neue Töne. Lange betonte man hier die helle Seite des Umbruchs. Um die Verlierer kümmerte sich die Linke. Die sich nun freut, dass eine prominente SPD-Frau ihr Leibthema auf die große Bühne hievt. Die Linken halten eine Wahrheitskommission für denkbar, wenn man drei oder vier Fälle rausnimmt und unaufgeregt untersucht. Die CDU hält das für unnötiges Rühren im Gestern.

Wie der Ostbürger abgeholt werden kann

Dagegen genießen die heimischen Genossen den frischen Hauch, den die Hoffnung auf ein Gewinnerthema bringt. Die Bundestagswahl, vermuten viele, wäre weniger desaströs verlaufen, hätte die SPD früher die Karte Köpping gespielt. Man hätte so das Motto Gerechtigkeit für den Osten griffig machen können. Man hätte Köpping als eine neue Regine Hildebrandt aufbauen können – als eine Frontfrau mit Chuzpe, die auf Menschen zugehen kann. Hätte, hätte. So aber rutschte die SPD in Sachsen unter 12 Prozent und ist, wenn es so bleibt, zu klein für vier weitere Regierungsjahre an der Seite der CDU. Profitieren konnte vom Aufbäumen des gedemütigten Ostens nur die AfD.

Dennoch: Köpping hat gezeigt, wo der Ostbürger abgeholt werden kann. Für die Landtagswahl im nächsten Jahr setzt sie auf Sichtbarkeit und Nähe. „Solange wir uns dahinter verstecken, dass es den Sozialdemokraten in ganz Europa nicht gut geht, kommen wir nicht auf eigene Lösungen“, sagt sie. Das klingt nicht so übermütterlich, wie sich Köpping sonst gern inszeniert. Köpping ist auch erfahrene Kommunalpolitikerin – und die SPD braucht demnächst einen Kandidaten für das Rathaus von Leipzig.

Die SPD, die in Sachsen nach Wegen aus dem 12-Prozent-Loch sucht, weiß, sie muss die wiederkriegen, die sie früher enttäuscht hat: die DDR-Geschiedenen, die DDR-Bergleute, die DDR-Rentner. Köpping kann sie erreichen. Kriegt sie die, so das Kalkül, dann kriegt sie auch deren Kinder und Enkel. Denn das musste Sachsen bei der letzten Wahl feststellen: Das Unbehagen pflanzt sich fort.

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