Peter Gauweiler über Kanzlerkandidaten der Unionsparteien - „Söder ist ganz klar prädestiniert“

Der ehemalige CSU-Politiker Peter Gauweiler benennt im Interview seinen Favoriten für den Vorsitz der CDU – und erklärt, warum er den bayerischen Ministerpräsidenten gern als nächsten Bundeskanzler sähe.

Peter Gauweiler (CSU) / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Peter Gauweiler, CSU, war Bayerischer Staatsminister für Landesentwicklung und Umwelt. Der 71-Jährige gehört noch immer zu den bekanntesten Köpfen seiner Partei.

Herr Gauweiler, in einer Woche wählt sich die CDU einen neuen Vorsitzenden. Fiebern Sie mit?

(lacht) Das ist Ironie, nicht wahr? Die nächste Frage, bitte. 

Wenn Sie Delegierter wären, wem würden Sie Ihre Stimme geben?

Ich würde Herrn Merz wählen. 

Warum Friedrich Merz und nicht Armin Laschet oder Norbert Röttgen?

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Es sind alle sehr vorzeigbare Kandidaten. 

Was würde dann für Sie den Ausschlag geben, Friedrich Merz zu wählen?

Weil ich Herrn Merz am besten und intensivsten kenne und glaube, dass er ein sehr qualifizierter Politiker ist und dass er die nötige Erfahrung für einen Neuanfang nach einer langen Amtsperiode mitbringt. Er hat auch schon die nötigen Narben zu tragen, die es ebenfalls braucht. 

Und Sie sehen es nicht als Nachteil, dass er jetzt doch so viele Jahre nicht aktiv in der Politik war?

Nein, das sehe ich nicht als Nachteil. Das kann ja auch ein Vorteil sein und das Ganze zusätzlich erfrischen. Neue Liebe, neues Glück.

Wer, glauben Sie, hat realistisch die größten Chancen, nächster Parteivorsitzender der CDU zu werden?

Von den bisherigen Bewerbern: Friedrich Merz. 

Die CDU erhebt ja den Anspruch, den Kanzlerkandidaten zu stellen. Sehen Sie die möglichen künftigen Parteivorsitzenden, ob es nun Merz, Laschet oder Röttgen ist, gleichermaßen befähigt, deutscher Bundeskanzler zu sein?

Unabhängig von den Dreien wäre ich dafür, den Bundeskanzler direkt, von der Bevölkerung, wählen zu lassen. Ich wäre auch dafür, dass wir es wie im Vorwahlkampf in Amerika halten, also eine Basisentscheidung mit breiten Vorwahlen herbeiführen. 

Aber das ist ja in Deutschland nicht der Fall.  

Das muss ja nicht in Stein gemeißelt sein. Und das Schöne an einem intellektuellen Magazin wie Cicero ist ja, dass man gedanklich verschiedene Möglichkeiten durchspielen kann. Es ist eigentlich überfällig, dass wir ein Wahlsystem mit mehr plebiszitären Elementen bekommen. 

Was spricht gegen das derzeitige Verfahren? Weshalb fänden Sie es besser, dass der Bundeskanzler direkt vom Volk gewählt wird und nicht vom Deutschen Bundestag?

Der Spitzenkandidat ist ja derzeit keiner. Das haben wir zum letzten Mal bei der Wahl zum Europäischen Parlament erlebt. Konsequenz des reinen parlamentarischen Verhältnissystems ist ja, dass die Nr. 1 faktisch vom Kalkül der Parteien abhängig ist und die alles entscheidenden Personalfragen in ganz eigenen Verhandlungen, die quasi wie Verhandlungen zwischen Tarifparteien geführt werden, ausgemacht werden. Das hat aber mit der Verbindung von Volkwillen und Repräsentanz immer weniger zu tun und führt zu einer Oligarchie des Funktionariats. Ich finde, ein Spitzenkandidat müsste sich selbst einfach breiter aufstellen wollen; er muss die Auseinandersetzung mit dem, was er uns bieten will, durchleiden, durchkämpfen – und durchsiegen! Die Findung eines neuen Bundeskanzlers braucht mehr Teilhabe und steht der Gesamtheit des Volkes zu.

Bis zur nächsten Bundestagswahl werden Sie ja mit Ihren Vorschlägen nicht durchdringen und es wird so ablaufen wie gehabt. Wer also wird Kanzlerkandidat der Unionsparteien? Da die CDU den Anspruch erhebt, den Kanzlerkandidaten zu stellen, ist die Frage: Wenn es einer der drei – Merz, Laschet oder Röttgen – wird, halten Sie alle drei für gleichermaßen befähigt, das Amt des deutschen Bundeskanzlers zu bekleiden?

Für Laschet spricht, dass er ein sehr begabter Politiker ist. Da muss man schon etwas drauf haben, um nordrhein-westfälischer Ministerpräsident zu werden. Und mir gefällt seine rheinische Bonhomie und dass er dem rheinisch-katholischen Milieu wieder eine Stimme in Deutschland gibt. Norbert Röttgen war ein guter parlamentarischer Geschäftsführer, ich schätze seine Art. Er hat in den letzten Wochen erstaunliche Punkte gemacht, soweit ich das verfolgt habe. Unterschiedlicher Meinung sind wir, was den Bundeswehreinsatz in Afghanistan und anderswo angeht.

Die CDU/CSU befindet sich derzeit in einem stabilen Umfragehoch bei ca. 37 Prozent. Glauben Sie, das wird sich noch ändern, wenn den Bürgern klar ist, dass Angela Merkel nicht mehr antritt und nicht mehr nächste Bundeskanzlerin sein wird?

Das Wetter ändert sich – oder es bleibt, wie es ist. Das gilt auch für Wahlen. Ein ganz entscheidender Punkt wird sein, wie es mit den Impfungen jetzt läuft. Durch die Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns ist die Diskussion über das Impfverfahren in Deutschland ins Hintertreffen geraten. Einerseits war es doch großartig, dass so schnell ein Impfstoff entwickelt wurde – aber warum wird in Deutschland nur ein Fünftel vom dem verimpft, was in Israel und anderswo an Impfungen verabreicht wird? Wir brauchen mehr Managementfähigkeiten in der Politik. Frei nach Karl Popper: „Alle Politik ist Problemlösung.“ Und da werden die nächsten Monate zeigen, wie dieses zentrale Problem gelöst werden wird. 

Der bayerische Ministerpräsident ist von Anfang an in der Corona-Krise für einen harten Kurs eingetreten. Trotzdem ist die Situation in Bayern nicht besser als in anderen Bundesländern. 

Es herrscht, unabhängig von politischer Himmelsrichtung, das Empfinden vor, dass Markus Söder seine Aufgabe gut gemeistert hat. Er hat viel versucht und unternommen und hatte damit auch die „Chance“, Fehler zu machen – was dem, der nichts tut und nur redet, nicht passiert. Aber er hat von der politischen Leitentscheidung her richtig agiert. Mir persönlich wäre es am liebsten, wenn bei uns die Beschaffung der Impfstoffe in den Händen Bayerns läge und nicht an immer größere Einheiten ausgelagert würde. Am Ende ist dann die UNO zuständig. Massenimpfungen sollen durch kleine Einheiten organisiert werden – Länder, Städte und Gemeinden.

Ich darf trotzdem noch einmal auf die K-Frage zu sprechen kommen. Markus Söder hat mit seiner Politik auch außerhalb Bayerns viele Fans gewonnen. Insbesondere in der CDU können sich viele Markus Söder als deutschen Bundeskanzler vorstellen. Geht Ihnen das auch so?

Wenn man Söder zu den drei Anwärtern Merz, Laschet und Röttgen hinzuzählt, würde ich klar Markus Söder als Kanzlerkandidaten vorziehen. Wenn es in der Union in ihrer Gesamtheit eine Debatte darüber geben wird, wer nach Angela Merkel Bundeskanzler werden soll, ist Söder ganz klar prädestiniert. 

Markus Söder hat einen starken Image-Wandel durchlaufen. Es gibt neuerdings sogar Doppelinterviews mit Robert Habeck von den Grünen. Wird da bereits Schwarz-Grün vorbereitet?

Die Typologie hat sich nicht geändert: Durchsetzungsfähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen, Leistungsbereitschaft, Problemlösung. Und Grenzüberschreitungen sind da kein Manko. Einer meiner sehr guten Freunde heißt Oskar Lafontaine – und trotzdem gelte ich nicht als Linker. Diese Rechts-links-Feindschaften haben etwas Unwürdiges. In Wahrheit kann die jeweils andere Seite den Blick über die politische Grenze auch als Ergänzung und Erweiterung sehen. Und zu den Grünen: Die Grünen von heute sind ja die Systempartei Nr. 1, wie früher die Junge Union. Ordentliches Daherkommen, staatstragende Gesinnung, befreit von den Stacheln der Vergangenheit: Warum sollte ein Unions-Politiker da nicht mit einem Grünen reden?

Sie haben gerade das Stichwort Problemlösung genannt. Derzeit schiebt man sich in der Bundesregierung wegen der mangelnden Impfstoffe gegenseitig die Schuld zu – Spahn gegen Merkel und die SPD gegen beide. Wie sehr schadet dies der gesellschaftlichen Akzeptanz im jetzt nochmals verschärften Lockdown?

Warum sollte diese Diskussion, deren Anlass der Bevölkerung doch so auf den Nägeln brennt, nicht auch in Berlin stattfinden – dem Ort, an dem die politischen Auseinandersetzungen verbalisiert und zentralisiert werden?

Richtig. Aber die Bevölkerung erwartet von der Regierung eine gewisse Geschlossenheit, wenn es darum geht, einen Lockdown zu organisieren, und nicht, dass man sich auf offener Bühne darüber streitet, wer Schuld daran hat, dass nicht genügend Impfstoffe besorgt wurden.

Politische Auseinandersetzungen haben – das ist unvermeidlich – auch immer etwas zu tun mit der Suche nach dem wunden Punkt. Und die Presse kritisiert, wenn die Politiker den wunden Punkt übertünchen wollen. Also muss man die Dinge beim Namen nennen. Andererseits ist jeder Angriff doch auch eine glänzende Gelegenheit zur Gegenwehr. Als Bürger will ich wissen, was getan wird, und zwar mit allen Kräften, damit wir mit den anderen Ländern gleichziehen. Politiker, die etwas taugen, müssen dies nachvollziehbar beantworten können und sollen sich durch Leistung wieder entlasten. Auch die Antwort „Wir wussten es zunächst nicht besser“ geht in Ordnung. Viel interessanter als eine Verteilungsdebatte wird in jedem Fall sein, was nachprüfbar unternommen wird, um das Impfverfahren dramatisch zu beschleunigen.

Meine letzte Frage: Halten Sie es für möglich, dass Angela Merkel doch noch für eine weitere Legislaturperiode Kanzlerin bleibt?

Ich hatte vor Jahren einmal Angela Merkel mit der Kaiserin Maria Theresia verglichen. 2017, zu deren 300. Geburtstag, erschien eine sehr gute Biographie von Barbara Stollberg, die ich nur empfehlen kann. Da findet man viele Parallelen zu unserer Kanzlerin. Unda fert, nec regitur: Die Welle bestimmt nicht die Richtung, aber sie trägt. Auch die Habsburgerin konnte das: Politik als eine Art lebenslange Surf-Kunst zu realisieren. Maria Theresia sprach so viele Jahre vom Abdanken und vom Wunsch, endlich frei zu sein. Sie setzte Mitregentschaften ein und unterminierte sie wieder. Abgegeben hat sie die Macht aber nie.

Das Gespräch führte Alexander Marguier.

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