Fall Maik G. - Im Zweifel für die Pressefreiheit

Die Diskussion um Persönlichkeitsrechte und den Pegida-Demonstranten Maik G. hält an. Das Videomaterial durfte veröffentlicht werden, schreibt die Medienrechtlerin Stephanie Vendt. Es geht vor allem darum, wie die sächsische Polizei die Presse behandelt hat

Maik G.: Hat der Abgebildete ein berechtigtes Interesse daran, dass die Veröffentlichung unterbleibt? / Screenshot ZDF
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Autoreninfo

Die Rechtsanwältin Stephanie Vendt ist Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht und Gründungspartnerin der Hamburger Kanzlei Nesselhauf.

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Eine Pegida-Demonstration in Sachsen. Ein Kamera-Team eines öffentlich-rechtlichen Senders. Ein Demonstrant mit Deutschlandhut. Soweit nichts Besonderes – wäre der Demonstrant am Rande der Demonstration nicht auf das Kamera-Team zugekommen, hätte er nicht immer wieder auf seine Rechte verwiesen und gesagt, dass er nicht gefilmt werden wolle, und hätte sich die Polizei nicht eingeschaltet und die Journalisten eine knappe Stunde festgehalten. Die Folge: eine bundesweite Diskussion. Ist das Filmen von Teilnehmern einer Demonstration zulässig?

Bundeskanzlerin Angela Merkel meint, das sei erlaubt. Wer auf eine Demonstration gehe, „muss damit rechnen, dass er auch durch die Medien dabei aufgenommen und beobachtet wird“, sagte sie am vergangenen Donnerstag während eines Besuchs in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Aber ist es tatsächlich so einfach? Macht es nicht einen Unterschied, ob die Teilnahme an einer Demonstration nur den Mitdemonstranten und Passanten bekannt ist oder einem Millionenpublikum?

Die Pressefreiheit kennt keine Ausnahmen

Zur Rechtslage: Die Presse ist in der Recherche frei. Zu dieser Freiheit zählen Teile der Rechtsprechung auch die reine Anfertigung von (Film-)Aufnahmen. Die Rechte des Einzelnen dürften in der Regel (es gibt Ausnahmen!) erst ab der Veröffentlichung greifen. Grundsätzlich darf der Einzelne bestimmen, ob, wann und wo sein Foto veröffentlicht wird. Das folgt aus dem Recht am eigenen Bild, einer Ausprägung des grundgesetzlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und findet sich in den soweit einschlägigen Normen des Kunsturhebergesetzes wieder.

Der Demonstrant hatte erklärt, dass er nicht gefilmt werden wolle und somit nicht eingewilligt. So weit, so klar: Veröffentlichung der Aufnahmen unzulässig. Das Gesetz kennt aber Ausnahmen: Danach ist die Einwilligung dann nicht erforderlich, wenn die Aufnahmen dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen sind, also beispielsweise die Bundeskanzlerin bei öffentlichen Auftritten zeigen. Die Einwilligung muss auch dann nicht eingeholt werden, wenn die abgebildete Person nur als „Beiwerk“ neben einer Örtlichkeit zu sehen ist (z.B. Bauarbeiter auf einer Großbaustelle), die Veröffentlichung einem höheren Interesse der Kunst dient (praktisch so gut wie nie relevant) oder die Aufnahmen von einer öffentlichen Versammlung stammen und über jene Versammlung berichtet wird. Die Presse kann also Aufnahmen von Versammlungen und Demonstrationen veröffentlichen, ohne um die Einwilligung zu bitten.

Eine Frage der Abwägung

Würde man diese gesetzlich vorgesehene Ausnahme vom Einwilligungserfordernis pauschal anwenden, wären die Einwände des Teilnehmers unberechtigt: Er dürfte gezeigt werden. Aber auch hier ist es nicht so einfach. Die Rechtsprechung nimmt nämlich an, dass es bei den Abgebildeten an der Erkennbarkeit fehle, weil sie in der Masse untergingen. Mit anderen Worten: Die Annahme, eine Einwilligung sei entbehrlich, ist nur dann zutreffend, wenn der Einzelne nicht aus der Masse heraus sticht, es also ausreichend viele Personen abgebildet sind.

Davon kann hier keine Rede sein. In solchen Fällen ist eine Güterabwägung zwischen den Rechten des Einzelnen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorzunehmen. Hat der Abgebildete ein berechtigtes Interesse daran, dass die Veröffentlichung unterbleibt? Die Gerichte haben dies bei anderen Großaufnahmen von einzelnen Demonstranten häufig bejaht und sind im Wesentlichen dann – ausnahmsweise – von der Zulässigkeit der Aufnahmen ausgegangen, wenn es sich beispielsweise um die Organisatoren der Veranstaltungen handelte, oder um Personen, die sich durch ein besonders auffälliges Verhalten exponiert hatten. Teilweise wurde angenommen, dass die Veröffentlichung einer Großaufnahme zulässig sei, weil die abgebildete Person einen repräsentativen Gesamteindruck der Veranstaltung vermittle.

Ist Maik G. selbst schuld?

Beim aktuellen Fall in Dresden muss man indes sehen, dass zum Zeitpunkt der Aufnahmen überhaupt noch nichts passiert war. Das ZDF hat schlicht gedreht. Welches Material später zur Ausstrahlung gelangt wäre, stand also nicht fest. Das ZDF konnte sich somit auf seine Recherchefreiheit berufen. Dieses Stadium der Pressearbeit ist umfassend geschützt. Aber der Demonstrant hat dann sein „eigenes“ öffentliches Ereignis theoretisch erst geschaffen, indem er sich an die Presse wandte, auf seine Initiative die Polizei mit den bekannten Folgen tätig wurde, und sich verschiedene Politiker zu öffentlichen Statements hinreißen ließen.

Selbst schuld, könnte man sagen. Das ist aber kein rechtliches Argument. Das eigene Verhalten darf nicht gegen den Demonstranten ins Feld geführt werden. Außerdem würden die Teilnehmer einer Demonstration in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit empfindlich beeinträchtigt, könnten sie ihre Grundrechte nicht mehr uneingeschränkt wahrnehmen aus Angst vor Aufnahmen und damit möglicherweise einhergehenden Repressalien.

Gleichwohl dürften in der Abwägung die gewichtigeren Argumente für die Zulässigkeit der Veröffentlichung und damit für die Pressefreiheit sprechen: Der Teilnehmer ist von sich aus auf die Presse zugegangen, tritt für die Ziele von „Pegida“ ein, ist Mitarbeiter des LKA und die Berichterstattung beschäftigt sich nicht nur mit ihm als Person, sondern (ganz wesentlich) damit, wie die Polizei mit der Presse umgeht.

Hat Maik G. recht? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fall haben wir in einem Interview für Sie zusammengestellt.

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