Parteitag der Grünen - Aufbruch ins Bürgertum

Selbstbewusst untermauern die Grünen und ihr neuer Vorsitzender Robert Habeck ihren Anspruch, das Land regieren zu wollen. Doch ihnen kommt auch zugute, dass sie den Beweis der Regierungsfähigkeit derzeit nicht erbringen müssen. Wie wird es laufen, wenn der Druck wieder steigt?

Trotz Satzungsänderung reibungslos gewählt: Annalena Baerbock und Robert Habeck / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Zunächst leisten sich die Grünen noch einen Moment des Chaos. Weil ein Teil der Delegierten die Stimmzettel vertauscht hat, muss die entscheidende Abstimmung wiederholt werden. Für einen Moment herrscht auf dem grünen Parteitag in Hannover ein Durcheinander, das an frühere grüne Zeiten erinnerte. Doch kurz vor Mitternacht am Freitagabend ist der grüne Aufbruch endlich eingeleitet. Mit 578 zu 149 Stimmen ändern die Grünen ihre Satzung. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wird klar erreicht. Die Erleichterung ist überall im Saal zu spüren.

Ein großer Schritt für die Partei 

Dabei ist es eigentlich nur eine kosmetische Lockerung der Trennung von Amt und Mandat, die die Grünen beschlossen haben. Immerhin darf ein grüner Minister sich jetzt acht Monate mit seinem Rücktritt Zeit lassen, wenn er zum Parteivorsitzenden gewählt worden ist. „Übergangsfrist“ heißt das im Parteijargon. Für eine Partei, der die Trennung von Amt und Mandat heilig ist und in der die Basis ihrem Spitzenpersonal gerne mal ein Bein stellt, ist das ein großer Schritt.

Kleine Satzungsänderung, große symbolische Botschaft. Eine neue grüne Ära soll mit dem Parteitag an diesem Wochenende in Hannover beginnen, ein selbstbewusster Aufbruch ins Bürgertum. Nicht mehr links wollen die Grünen sein, sondern linke Mitte. Und im Blick haben sie dabei sowohl enttäuschte Wähler der SPD und der Grünen, aber auch jene Wähler der Union, die einen Rechtsruck nicht mitmachen würden. Die permanenten Flügelkämpfe, die diese Partei über viele Jahre gelähmt haben, die ständigen Machtkämpfe zwischen Realos und Linken, sollen überwunden werden. „Und das ist erst der der Anfang“, haben die Grünen dazu als Parteitagslogo erkoren, es steht in großen Lettern über der Bühne.

Superstar Robert Habeck 

Mit der Satzungsänderung ist zugleich der Weg frei für Robert Habeck, den neuen grünen Superstar. Habeck ist bislang Umweltminister in Schleswig-Holstein und einer der Väter des Jamaika-Bündnisses im Kieler Landtag. Jetzt will er die Bundespolitik aufmischen. Seit den Zeiten Joschka Fischers hat die Partei keine solch charismatische Führungsfigur mehr gehabt. Einen, der mit seiner weichen Stimme und seinen sozialromantischen Ideen auch bürgerliche Wähler erreichen kann. Der den Anspruch formuliert, die Grünen aus ihrem engen linksökologischen Milieu herauszuführen und die Lücke zwischen grüner Politik und gesellschaftlicher Wirklichkeit zu schließen. „Linksliberal“ will Robert Habeck die Grünen profilieren, nicht nur auf das Thema Ökologie setzen, sondern auch auf das Thema Umverteilung. Aber auch grüne Tabuthemen wie Heimat oder Patriotismus scheut er nicht.

Am Samstag wählen die Delegierten des grünen Parteitages Habeck mit 81,3 Prozent der Stimmen zu ihrem neuen Parteivorsitzenden. Die Satzungsänderung hatte Habeck zur Bedingung seiner Kandidatur gemacht. Kritiker, die ihm Erpressung vorwerfen und von einem Lex Habeck sprechen, sind deutlich in der Minderheit. An seine Seite wählen sie mit der Brandenburger Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock eine Co-Vorsitzende, die die grüne Flügellogik ebenfalls für überholt hält. 64,5 Prozent erhielt sie in einer Kampfabstimmung gegen die Parteilinke Anja Piel.

Den Grünen gelingt, was andere Parteien nicht schaffen

Welch ein Kontrast. Während die SPD in einer Existenzkrise steckt und während die Linkspartei vor der Spaltung steht. Während CDU und CSU keinen Koalitionspartner finden und die FDP die Oppositionssehnsucht gepackt hat. Während in Berlin drei Parteien über die Bildung einer Großen Koalition verhandeln, denen die politischen Ideen ausgehen und deren Parteivorsitzende alle drei angeschlagen sind und sich an die Macht klammern. Und während die Große Koalition Stillstand erwarten lässt, inszenieren die Grünen mit zwei neuen, jüngeren Parteivorsitzenden in Hannover selbstbewusst ihren Machtanspruch.

Den Gegensatz zwischen radikal und staatstragend müsse die Partei als Chance begreifen, sagt Annalena Baerbock. Und Robert Habeck versteht sich als Macher, der die Macht nicht scheut. Dass sich der grüne Machtanspruch auf absehbare Zeit nur an der Seite der Union verwirklichen lässt, nur in einer schwarz-grünen Koalition, das wissen beide. Selbst in Bayern träumen die Grünen von Schwarz-Grün, von einer Regierungsbeteiligung an der Seite der CSU. Über Rot-Rot-Grün hingegen, dem eigentlichen Sehnsuchtsort vieler Grüner, redete auf dem Parteitag in Hannover niemand.

Lange sah es so aus, als gehörten die Grünen zu den strategischen Verlierern im sich verändernden Parteiensystem, als seien die Grünen nur das Projekt einer Generation, das dieses Land zwar modernisiert hat, vor allem gesellschaftspolitisch, das aber keine Antworten findet auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die ganze vergangene Legislaturperiode über befand sich die Ökopartei politisch in der Defensive. Von dem Unmut der Wähler über die Politik der Großen Koalition konnte die Partei nicht profitieren. Auch der Versuch, das liberale Erbe der FDP anzutreten, nach dem die Partei aus dem Bundestag geflogen war, scheiterte. Im Gegenteil, der Trend ging eher Richtung Fünf-Prozent-Hürde. Zwar konnte die Partei bei der Bundestagswahl doch leicht zulegen, trotzdem ist sie die kleinste Bundestagspartei.

Scheitern von Jamaika ermöglicht den Aufbruch

Doch in den Jamaika-Sondierungen traten die Grünen überraschend geschlossen auf und überraschend kompromissbereit. Realos und Linke arbeiteten eng zusammen, und auch die innerparteilichen Antipoden Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Jürgen Trittin, Ex-Umweltminister, zogen an einem Strang. Die FDP tat den Grünen mit dem Ausstieg aus den Gesprächen gleichzeitig einen Gefallen. Die Ökopartei musste nicht den Beweis antreten, dass sie in einem schwarz-gelb-grünen Bündnis tatsächlich regierungsfähig gewesen wären. Ob es etwa für einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle oder das Aus für den Verbrennungsmotor tatsächlich eine gesellschaftliche Mehrheit gibt. Und gleichzeitig mussten sie nicht schmerzhafte Kompromisse etwa in der Einwanderungspolitik, beim Familiennachzug oder in der Außenpolitik eingehen und gegenüber der Basis der Partei vertreten.

Jamaika hätte die Grünen vor eine Zerreißprobe gestellt. Stattdessen hat das Scheitern von Jamaika den grünen Aufbruch ins Bürgertum erst möglich gemacht. Wie lange er trägt, wird man sehen. In den Umfragen zumindest geht es wieder aufwärts. Doch es könnte sein, dass das neue grüne Selbstbewusstsein schneller als erwartet auf die Probe gestellt wird. Wenn die Verhandlungen über die Bildung einer Großen Koalition scheitern, dann wird die Jamaika-Frage schon bald wieder auf der grünen Agenda stehen. Und der grüne Heilsbringer Robert Habeck müsste unter Beweis stellen, dass er nicht nur nachdenkliche Reden halten, sondern die Partei auch unter Druck zusammenhalten und führen kann.

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