Parteienkrise - Fordern genügt nicht

Alles und jedes wird von Politikern im hohen Ton und meistens folgenlos gefordert. Verantwortung aber scheuen sie. So dankt das Politische ab. Mit ihm könnten Freiheit, Sicherheit und Wohlstand schwinden. Von Alexander Kissler

Alexander Dobrindt fordert einen „Aufbruch in eine neue, konservative Bürgerlichkeit“ / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Forderungen eintreiben, ist ein mühseliges Geschäft. Immer ist da jemand, dem etwas zusteht, und ein anderer, der das Zugestandene nicht herausrücken will. Solche Verfahren können sich lange hinziehen, und der Fordernde schaut womöglich in die Röhre. Seine Mittel sind begrenzt, nicht jede Forderung verändert die Realität des Fordernden zu dessen Gunsten. Darum ist es ein denkbar schlechtes Zeichen, wenn Politik in Deutschland immer mehr zum bloßen Forderungsmanagement wird: Man fordert. Man gestaltet nicht. Man ergibt sich.

Der fehlende Wille zur Verantwortung

Praktischer Fatalismus ist die Rückseite eines rhetorischen Aktivismus‘. Kein Zufall, sondern konsequent ist das Nebeneinander zweier Aussagen führender CSU-Politiker. Der eine, Alexander Dobrindt mit Namen, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, fordert eine „Null-Toleranz-Strategie gegen den Schulhof-Islamismus“, nachdem er zuvor einen „Aufbruch in eine neue, konservative Bürgerlichkeit“gefordert hat. Der ehemalige Bundesverkehrsminister fordert gern und fordert viel. Sein Parteivorsitzender, Bundesinnenminister Horst Seehofer, setzt derweil auf dem Feld der Inneren Sicherheit den angewandten Fatalismus von Vorgänger Thomas de Maizière fort. Dieser hatte erklärt, „wir werden auf Dauer mit der terroristischen Gefahr leben müssen“. Seehofer ergänzte jetzt: „Mit einem Anschlag muss jederzeit gerechnet werden.“ Muss? Müssen? Warum eigentlich? Und warum muss eher in der Bundesrepublik Deutschland damit gerechnet werden als beispielsweise in Japan oder in Polen? Das wären politische Fragen, Fragen nach Verantwortung und Gestaltungswille, die deshalb von Verantwortlichen gescheut werden.

Stets ist der Andere schuld

Auf allen Seiten des politischen Spektrums wird desto energischer gefordert, je rascher die Zuständigkeiten erodieren. Wenn alle alles Mögliche fordern, ist am Ende keiner verantwortlich und nur der Andere schuld. Man habe ja rechtzeitig gefordert, was sich im Nachhinein als richtig herausgestellt habe. Auf der Strecke bleibt Politik als praktische Arbeit am und für das Gemeinwesen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters fordert „meinungsstarke Kinder und Jugendliche, die in der Lage sind, ihre Informations- und Kommunikationsfreiheiten verantwortungsbewusst zu nutzen“ – viel Spaß beim Parteienstreit im Kindergarten. Andrea Nahles fordert von ihrer SPD „spannende Zukunftsdebatten“ – da mag man alteuropäisch antworten: Nur zu, Andrea, hic Rhodos, hic salta! Linken-Chef Bernd Riexinger fordert ein Ende der öffentlich-rechtlichen Börsennachrichten zur Hauptsendezeit; Börse sei profitabel nur für „ein paar Reiche“ – und private Altersvorsorge also gefährlicher Mumpitz. Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil fordert forsch von der Bundesregierung, der die SPD bekanntlich angehört, einen „Beginn der Sacharbeit“. Hört, hört, ihr lieben Kollegen, macht was!

All diese und zahllose weitere aktuelle Appelle schwanken zwischen Unernst und Hilflosigkeit, sind rhetorische Überholmanöver im argumentativen Feierabendstau. Nichts tragen sie bei zu den drei Grundpfeilern einer gelingenden Republik, zu Freiheit, Sicherheit, Wohlstand. Wenn der Klientelismus Raubbau war am Gemeinwohl, dann ist das gegenwärtig so ausufernde Forderungsmanagement die Kapitulation des Politischen. Die Zuständigkeit für alles und jedes wird im hochfahrenden Ton beschworen, während aus dem Alltag die Alltäglichkeit entweicht. Am Ende lacht der Stärkere.

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