Organisierte Kriminalität in Berlin - „Ich halte das für Staatsversagen“

In Berlin bekämpfen sich neuerdings arabische und tschetschenische Clans. Jetzt wurde ein Waffenstillstand von einem privaten „Friedensrichter“ organisiert. Die Polizei sieht dem Treiben machtlos zu. Der Neuköllner CDU-Politiker Falko Liecke sagt, was in seinem Bezirk los ist und was er vom Senat fordert.

Razzia gegen das Mitglied eines kriminellen arabischen Clans in Berlin vor zwei Jahren / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Falko Liecke (CDU), ist Stadtrat für Jugend und Gesundheit und stellvertretender Bürgermeister in Berlin‑Neukölln.

Herr Liecke, Sie sind stellvertretender Bezirksbürgermeister von Neukölln. Am vergangenen Wochenende ist in Ihrem Bezirk ein Streit zwischen einem arabischen Familienclan und einer Tschetschenen‑Bande eskaliert. Dabei kam es zu Prügelorgien, Messerstechereien und einem zerstörten Späti. Was ist da los in Neukölln?
Offensichtlich eskaliert die Lage momentan bei den Clans, und zwar nicht nur bei den arabischen, sondern auch bei den tschetschenischen Clans. Hier geht es augenscheinlich um Revierkämpfe wegen Drogenhandels und sonstiger Kriminalität sowie darum, die Macht in den Arealen von Neukölln neu zu verteilen. Das treibt mir schon die Sorgenfalten ins Gesicht.

Wenige Tage später kam es zu einem „Versöhnungsgipfel“ zwischen den Tschetschenen und dem Araber‑Clan; dieser Gipfel wurde von einem aus Köln angereisten Boxer syrischer Herkunft geleitet. Auf Instagram hat dieser Boxer „Frieden in Berlin“ verkündet und mitgeteilt, dass das Treffen in Absprache mit der Polizei stattgefunden habe. Was wissen Sie darüber? Verabschiedet sich da der deutsche Rechtsstaat?
Ich habe fast das Gefühl, dass sich der deutsche Rechtssaat verabschiedet. Aus meinen Quellen habe ich erfahren, dass die Polizei völlig überrascht war über dieses Friedenstreffen. Allein die Tatsache, dass ein „Friedensrichter in einer Parallelgesellschaft Recht spricht, geht in einem Rechtsstaat wie unserem überhaupt nicht.

Wusste die Polizei von diesem Treffen? 
Nein, weder Polizei noch Justiz hatten zunächst Kenntnis davon. Aus der Boxer‑Szene habe ich gehört, dass es Absprachen gegeben haben soll, dass ein Vermittler eingesetzt wurde, der Kontakt zum für Organisierte Kriminalität zuständigen LKA 4 hergestellt habe, und dass die Polizei dann im Nachgang auch von diesem Treffen wusste. Die Polizei war sicher mit Zivilkräften vor Ort, das ist eine übliche Strategie. Sie saßen wohl nicht mit am Tisch, aber sie hatten vermutlich die Information über den Verlauf des Treffens. Dass das in dieser Form zugelassen wird, halte ich für ein Staatsversagen.

Wie hätte die Polizei denn Ihrer Ansicht nach reagieren sollen?
Die Polizei hat Möglichkeiten zu intervenieren – durch entsprechende Gefährder‑Ansprachen, durch ganz gezielte Ansprachen der Beteiligten und durch Einleitung von Ermittlungen über die Staatsanwaltschaft. Im Vorfeld sind ja erhebliche Straftaten verübt worden; da hätte ich erwartet, dass die Polizei durch Verhöre der Beteiligten ermittelt. Dass das nicht passiert und das alles so hingenommen wird, ist ein weiterer Ausdruck der Hilflosigkeit des Senats in dieser Regierung. Weder der Justiz‑ noch der Innensenator haben sich zu diesem Thema klar positioniert. So etwas können wir nicht hinnehmen; da muss es einen Aufschrei geben.

Offenbar mischen die Tschetschenen die organisierte Kriminalität auf, in Berlin, aber auch in anderen europäischen Städten und Regionen. Was sind das für Leute, was wissen Sie über die?
Ich selbst habe relativ wenige Informationen. Ich bin als Bezirksstadtrat keine Ermittlungsbehörde auf diesem Feld. Ich bekomme das natürlich mit, und wir haben auch Kontakte zu solchen Strukturen. Hier geht es um knallharte organisierte Kriminalität und um massive Revierkämpfe; darum, den Markt in Berlin und auch hier in Neukölln neu aufzuteilen. Da sind die Tschetschenen schon richtig schwere Jungs, mit denen nicht zu spaßen ist. Das hat eine völlig neue Qualität erreicht, und ich finde, dass die Polizei, unterstützt durch den Berliner Senat, mit entsprechender Manpower viel, viel intensiver intervenieren muss. Das kann man nicht laufen lassen.

 

Falko Liecke / privat 

Sie sagen, da sei jetzt eine neue Dimension erreicht. Von den Tschetschenen weiß man, dass viele auch Kriegserfahrungen haben. Macht sich das bemerkbar?
Das macht sich mit Sicherheit bemerkbar. Es war in der Vergangenheit ein Phänomen im Bereich der organisierten Kriminalität, dass die Deutschen von den Arabern und Türken verdrängt wurden, weil die einfach bereit waren, schneller zuzuschlagen oder auch einfach abzudrücken. Und bei den Tschetschenen ist das noch mal potenziert, die sind noch gewaltbereiter, hemmungsloser und ausschließlich auf ihre Interessen getrimmt und orientiert. Die nehmen sich kein bisschen zurück, und das macht es so extrem gefährlich.

Warum können kriminelle Tschetschenen nicht einfach in ihr Herkunftsland abgeschoben werden?
Die Frage stelle ich mir auch. Was ist da eigentlich passiert? Warum können die so ohne weiteres bei uns einreisen und hier ihr Unwesen treiben? Hier erwarte ich ganz klar ein viel härteres Durchgreifen der Politik, ein Verhindern des Zuzuges und eine schnelle Abschiebung bei Straftaten. Diese organisierte Kriminalität hat in unserer Stadt nichts zu suchen.

Inwiefern hat sich die Migration in Folge der Flüchtlingswelle von 2015 bei den kriminellen Strukturen bemerkbar gemacht? Gibt es da einen Zusammenhang?
Es gibt viele Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und sehen, wie unser System funktioniert – nämlich wie ein zahnloser Tiger, was die Bekämpfung der Kriminalität betrifft. Jeder sucht sich da natürlich sein Feld. Viele, die zunächst Handlanger in den Clan‑Strukturen waren, haben sich mittlerweile emanzipiert und machen ihr eigenes Geschäft. Da geht es knallhart um Revierkämpfe: Wer darf wo seine Drogen verkaufen,  und wer darf sich vom Kuchen was abschneiden? Da hat sich eine ganze Menge verselbständigt, und wir haben leider Gottes nicht aus den Fehlern der Zuwanderungspolitik Mitte der 1970er Jahre gelernt.

Die CDU hat unlängst einen Aktionsplan gegen Clan‑Kriminalität in Berlin vorgestellt. Was schlagen Sie denn vor?
Wir brauchen zunächst eine ganz klare Lageeinschätzung. Die gibt es aus meiner Sicht bisher nicht. Wir brauchen eine deutliche Aufstockung und Verstärkung der Ermittlungskräfte, übrigens nicht nur bei der Polizei, sondern auch bei der Staatsanwaltschaft und bei speziellen Richtern, die sich diesem Phänomen schwerpunktmäßig widmen und die dann auch besonders geschützt werden. Darüber hinaus gilt es, die Beweislastumkehr auch auf Bundesebene zu verschärfen. Die Kriminellen müssen nachweisen, wo sie ihr Geld herhaben und nicht der Staat.

Reicht das aus?
Nein, auch das Thema Geldwäsche ist ein entscheidendes, denn diese Menschen kriegen Sie nur über Geld und nicht über gutes Zureden. Wenn wir ihnen die Vermögensgegenstände wegnehmen und den Verfolgungsdruck permanent aufrecht erhalten – aus allen möglichen Bereichen; nicht nur aus der Polizei, sondern auch mit Blick auf die Familien, was Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen angeht, – dann kann es eine Wirkung zeigen. Das wird aber ein echter Marathon und kein Hundert‑Meter‑Lauf. Ich erwarte einfach professionellere Strukturen, die wir im Land Berlin bisher nicht haben.

Aber der einen oder anderen arabischen Großfamilie sind ja bereits Immobilien in Berlin entzogen worden.
Ja, das war ein Erfolg der Staatsanwaltschaft, beziehungsweise einer Staatsanwältin. Die Maßnahmen sind sicher nicht völlig erfolglos, aber sie beeindrucken bislang nicht. Die unterschiedlichen Behörden, die zur Aufklärung beitragen oder entsprechende Hinweise und Informationen liefern könnten, sind bisher nicht untereinander vernetzt. Ich habe den Eindruck, dass da jeder sein Ding macht und es keinen organisierten, strukturierten Prozess gibt, um diesen Kampf zu führen. Das ist der Punkt, den ich bemängele.

Auch die Islamisten‑Szene steht jetzt wieder unter verschärfter Beobachtung, nachdem in Dresden, Paris, Nizza und Wien Anschläge verübt wurden, bei denen es etliche Tote gab. Wie ist die Situation mit islamistischen Gefährdern bei Ihnen in Neukölln?
Wir haben sie, und wir haben auch entsprechende Strukturen und Moscheen. Und auch hier habe ich den Eindruck, dass nicht konsequent genug gegen diese Strukturen vorgegangen wird. Wenn SPD‑Politiker mit einem Imam, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird und der Muslimbruderschaft nahe steht und dem legalistischen Islamismus angehört, eine Gedenkveranstaltung durchführen, dann habe ich arge Bedenken, was die Ernsthaftigkeit der Bemühungen beim Kampf gegen den Islamismus angeht. Ich wünsche mir auch hier deutlich mehr Unterstützung, auch in der Jugendarbeit.

Neukölln hat sich in den letzten Jahren zu einem hippen Quartier gewandelt. Droht nun möglicherweise der Rückfall in alte Zeiten, als Neukölln vor allem als Problemkiez wahrgenommen wurde?
Ach, wir werden auch nach wie vor noch als Problemkiez wahrgenommen. Das Einzige, was wir jetzt vielleicht hinzugewonnen haben, ist eine nette Kneipen‑ und Partyszene. Aber ja: Es verändert sich auch viel im Bezirk, und zwar nicht nur zum Negativen, sondern auch zum Positiven. Aber es überwiegt doch, dass wir hier stark mit dem Problem des Islamismus, mit organisierter Kriminalität, mit Parallelgesellschaften kämpfen müssen, die nichts mit unserer Gesellschaft und mit unseren kulturellen Lebensformen zu tun haben wollen. Das ist besorgniserregend, und da brauchen wir mehr Unterstützung beim Kampf gegen diese Strukturen. Um das anzugehen, bedarf es übrigens auch einer Unterstützung der Schulen; man sieht ja an dem Beispiel in Spandau, was von Kindern so geäußert wird...

... in Spandau, wo ein Kind einer Lehrerin gesagt hat, ihr würde es genauso ergehen wir Samuel Paty in Frankreich.
Genau. Das sind Stimmen, die wir auch in Neukölln an den Grundschulen hören – vielleicht nicht in dieser krassen Form, aber es geht um die deutliche Ablehnung christlicher Brauchtümer wie dem Feiern des Weihnachtsfestes oder selbst dem Singen christlicher Weihnachtslieder. Dass das einfach hingenommen wird von der politischen Mehrheit in dieser Stadt – das ist besorgniserregend, und dagegen müssen wir klare Zeichen setzen.

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