Corona-positiv, und was dann? - 14 Tage Quarantäneknast, all inclusive

Wer sich mit Corona infiziert, kann etwas erleben. Überforderte Gesundheitsämter, Angehörige, die Angst vor Ansteckung haben - und eine Regierung, die tatenlos zusieht, wie sich die Bevölkerung selbst durchseucht. Unsere Autorin ist seit einer Woche corona-positiv und deshalb in Isolation. Betrachtungen aus dem häuslichen Knast.

In den eigenen vier Wänden isoliert: Quarantäne stellt Infizierte auf eine harte Probe / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Erinnert sich noch jemand an „Kater Blau“? 2020 wurde der Club an der Spree zum Ischgl Berlins. Am ersten Märzwochenende steckten sich hier Dutzende Besucher mit Corona an. Über Radio, Zeitungen und soziale Medien verbreitete das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg Warnungen.

Und so gruselig die Vorstellung war, dass man sich dieses unberechenbare Virus auch in der eigenen Stadt einfangen konnte, so beruhigend war die Erkenntnis: Die Behörden haben ein Auge darauf. Wenn es irgendwo ein Superspreader-Event gibt, wird man als Bürger gewarnt.

Corona-Warnapp springt auf Rot 

Dieses Vertrauen ist jetzt weg. Es war Ende Dezember, als mir das bewusst wurde. Meine Corona-App sprang plötzlich auf Rot. Eine Hochrisiko-Begegnung am 22. Dezember, zwei Tage vor Weihnachten. Das Fest war jetzt aber vorbei, und Freunde und die ganze Familie waren in heller Aufregung. Zwar hatte ich mich prophylaktisch doppelt getestet, mit PCR und Schnelltest. Aber was, wenn die Tests nur deshalb negativ ausfielen, weil die Viruslast noch nicht hoch genug war? Was, wenn ich alle angesteckt hatte?

Am 22. Dezember kam ich abends sehr spät nach Hause. Ich war nach langer Zeit zum ersten Mal wieder im Büro – und danach noch mit Kollegen in einer Kneipe. Über drei Stunden steckten wir die Köpfe zusammen. Weil unser Tisch auf dem Gang zum Klo stand, kam ständig jemand vorbei. Richtig wohl war mir dabei nicht. Zwar galt dort die 2G-Regel. Es kam nur rein, wer geimpft oder genesen war. Und die Bedienung kontrollierte auch alle Personalien. Aber in diesen Zeiten ist auf nichts mehr Verlass. Auch Geimpfte können das Virus übertragen.

Wie trügerisch die Sicherheit ist, die eine 2G-Regel vorgaukelt, erfuhr ich, als ich Ende Dezember in der Kneipe anrief – nachdem ich das Ergebnis eines PCR-Tests schwarz auf weiß vor mir liegen hatte: positiv. Da sei ich nicht die einzige, stöhnte der Kollege am Telefon. Acht Mitarbeiter hätten sich infiziert. Und das ausgerechnet vor Silvester. Sie müssten früher schließen, weil ihnen Leute fehlten.

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Die halbe Crew war infiziert 

Nun kann ich nicht beweisen, dass ich mir das Virus dort eingefangen habe. Die Kollegen, die dort mit mir waren, sind immer noch Corona-negativ. Und am Ende ist es auch zweitrangig, wo man sich ansteckt. Für seine Gesundheit ist jeder selbst verantwortlich. Aber ein Unbehagen bleibt. Die Inkubationszeit bei Corona beträgt vier bis sechs Tage. Wenn schon die halbe Crew infiziert war, bedeutet das, dass sie das Virus während der Arbeit verbreitet haben, ohne es zu wissen. Müsste das Gesundheitsamt nicht wenigstens jetzt informiert werden?

Die Geschäftsführerin der Kneipe will sich dazu nicht äußern. Anruf bei der Corona-Hotline in Treptow-Köpenick, in dem Gesundheitsamt, das für mich zuständig ist. Nein, Kontakte nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 würden schon lange nicht mehr verfolgt, sagt eine Mitarbeiterin. Die Arbeit sei irgendwann ausgeufert. Man sei einfach nicht mehr hinterhergekommen.

Die Ämter haben die Kontrolle verloren

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass die Gesundheitsämter im Zentrum der Pandemiebekämpfung standen. Pro Infiziertem ermittelten sie im Durchschnitt zwischen 40 bis 100 Kontaktpersonen und schickten diese in häusliche Quarantäne. „Die Ämter haben die Kontrolle längst verloren“, sagt Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD). Zwar gebe es regionale Unterschiede. Aber unterm Strich seien die Zahlen, die den Ämtern gemeldet würden, nur ein Bruchteil der positiven Corona-Tests. Kontaktpersonen würden nur noch punktuell ermittelt, wenn Covid-19-Fälle in Schulen oder Pflegeheimen auftreten. Welche Folgen das haben kann, habe ich jetzt selbst erfahren. „Leute, die sich infiziert haben, rennen so lange frei herum, bis sie Symptome bekommen“, sagt der bayerische Epidemiologe Ulrich Mansmann.

Labor-Ergebnisse auf Knopfdruck 

Ob dem Gesundheitsamt denn wenigstens mein Testbefund vorliegt, will ich von der Frau an der Corona-Hotline wissen. Wer einen positiven Schnelltest vorlegen kann, hat Anspruch auf einen kostenlosen PCR-Test in einem Testcenter des Senats. Ein grauer Tag Ende Dezember. Eine fast leere Halle am Ufer der Spree. Es stehen nicht viele Leute vor der Tür. Außer mir sind nur ein Vater mit seiner siebenjährigen Tochter und ein Rentner da.

„Sie müssen das Gesundheitsamt über das Testergebnis informieren“, sagt der Mann, der mir einen Rachenabstrich entnommen hat. Dabei steht in meinem Labor-Ergebnis, der Befund werde online ans Gesundheitsamt weitergeleitet. Und richtig, ein Mausklick, und die Frau an der Corona-Hotline hat mein Ergebnis auf ihrem PC gefunden. Aber ob ich mich mit der Delta- oder der Omikron-Variante angesteckt habe, diese Information findet sie nicht. 

Omikron hat sich verdreifacht  

Aber woher will das Bezirksamt Köpenick dann wissen, dass über die Feiertage und zwischen den Jahren „33 Omikron-Fälle“ gemeldet worden seien, wie eine Sprecherin so feierlich verkündet, als handelte es sich nicht um ein neues Virus, sondern um eine ausgestorben geglaubte Waschbärenart. Anruf in der Pressestelle des Robert-Koch-Instituts (RKI). Dort heißt es, nur in fünf Prozent aller PCR-Tests würde stichprobenartig DNA untersucht, um die Virusvariante zu bestimmen – ein ebenso zeit- wie auch kostenaufwendiges Procedere. Dazu kämen variantenspezifische PCR-Tests, die Gesundheitsämter selbst in Auftrag geben, wenn Corona in Pflegeeinrichtungen oder Schulen ausgebrochen sei.

Ergebnis: In der letzten Dezemberwoche 2021 herrschte noch die Delta-Variante vor. Der Anteil von Omikron lag gerade bei 7,4 Prozent. Eine belastbare Zahl? „Klar“, sagt die Sprecherin des RKI, „wenn Sie Umfragen vor einer Bundestagswahl machen, fragen Sie ja auch nur 1000 Leute und nicht 80 Millionen.“ 7,4 Prozent, das klinge erstmal nicht bedrohlich. Doch der Omikron-Anteil habe sich innerhalb von nur einer Woche fast verdreifacht. Regional gehe die Schere allerdings weit auseinander. Spitzenreiter ist Bremen, Schlusslicht ist Sachsen. Berlin liegt leicht unter dem bundesweiten Durchschnitt. Verbreite sich die neue Variante in demselben Tempo weiter, sei Delta in vier Wochen komplett verschwunden, prognostiziert der Epidemiologe Ulrich Mansmann

Ich Delta, du Omikron? 

Dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in diesem Fall die Quarantäne von 14 Tagen verkürzen will, damit Infizierte in systemrelevanten Berufen schneller an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, hält Mansmann für gefährlich. Zwar hätten zumindest geimpfte Infizierte einen moderateren Verlauf als mit der Delta-Variante. Und weil die Viruslast kurz nach der Ansteckung am höchsten ist, wären 14 Tage vielleicht auch zu lang. 

Aber Mansmann stellt sich dieselbe Frage, die auch ich mir stelle: „Woher soll man denn wissen, wer sich welches Virus eingefangen hat?“ Und wer kontrolliert, ob sich die Betroffenen auch wirklich an die Quarantäne-Vorschriften halten? In Österreich ist das klar geregelt. Wen das Gesundheitsamt bei stichprobenartigen Besuchen nicht zu Hause antrifft, der muss mit einem Bußgeld von bis zu 1500 Euro rechnen.

Keine Quarantäne-Kontrolle 

Ob ich mich auch auf Besuch vom Gesundheitsamt einstellen muss? „Nein“, entfährt es der Frau an der Corona-Hotline. Dann korrigiert sie sich: „Ich weiß es nicht.“ Und was ist mit meinem Mann und meinem Sohn? Weil sie geimpft sind, müssen sie nicht zu Hause bleiben. Bin ich mit Omikron infiziert, aber doch. Auch bei der Frage muss die Expertin passen. Mich machen diese Unsicherheit und diese organisierte Verantwortungslosigkeit langsam wütend. Keine Kontaktverfolgung. Keine Kontrolle der Quarantäne. Und jetzt vielleicht auch noch kürzere Quarantänezeiten.

Wer will, kann das als Freibrief verstehen, die staatlichen Corona-Regeln zu ignorieren. Ulrich Mansmann argwöhnt, genau dieser Effekt sei beabsichtigt. Die Bevölkerung durchseuche sich praktisch selbst. Der neuen Ampel-Koalition käme das wohl gelegen. Die Einführung einer Allgemeinen Impfpflicht würde sich erübrigen. Ein Brennpunkt weniger. Der Gesundheitsminister hat das inzwischen zwar öffentlich dementiert. Eine Durchseuchung könne man sich in Deutschland schon wegen der hohen Zahl der Ungeimpften nicht leisten, sagte Karl Lauterbach. Aber es bleiben Fragen. 

Guantanamo in Deutschland 

Für Menschen wie mich heißt es jetzt: Zähne zusammenbeißen. Schon seit fünf Tagen harre ich in häuslicher Isolation aus. Und was soll ich sagen? Ich habe mal drei Monate im Krankenhaus gelegen. Das war schlimmer. Wenn man sich vorstellt, wir Infizierten wären die Darsteller einer Sitcom, aber wüssten noch nichts von unserem Glück, hat es sogar eine komische Seite. „Bleiben Sie körperlich aktiv“, rät ein Leitfaden der Bundesregierung. „Auch auf begrenztem Raum kann Sport getrieben werden, zum Beispiel durch Übungen auf einem Stuhl oder auf dem Boden.“

Zum Glück kann ich arbeiten. Die Symptome einer Grippe sind längst abgeklungen. Mein Arbeitszimmer ist jetzt auch mein Schlafzimmer. Verlassen darf ich es nur mit FFP2-Maske, und wenn ich mir in der Küche ein Brot mache, streife ich mir dünne Plastikhandschuhe über. Aber meistens bekomme ich die Mahlzeiten auf einem Tablett serviert. Besonders mein Sohn ist dann ganz schnell wieder draußen. Die Aussicht, dass er sich anstecken könnte, hat ihn zum Hypochonder gemacht. 14 Tage Quarantäne im eigenen Zimmer, für einen 17-Jährigen wäre das der Albtraum. „Guantanamo mitten in Deutschland“, sagt er. Ein Wunder, dass dieser Slogan noch auf keiner Querdenker-Demo aufgetaucht ist. 

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