Olaf Scholz und die Koalitionsfrage - Die männliche Merkel?

Als Kanzlerkandidat der SPD tritt Olaf Scholz ein schweres Erbe an: Er soll die Partei in eine Koalition mit den Linken führen und zugleich die Wähler an die Partei binden, die sich in einer Schröder-SPD zu Hause fühlen. Dieser Spagat kann nicht gelingen.

Gefangen zwischen Tradition und Links-Koalition: Olaf Scholz / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Den ersten Fehler hat Olaf Scholz schon gemacht, bevor er als Kanzlerkandidat am Montag dieser Woche nominiert wurde, und keine hundert Stunden später holt dieser Fehler ihn schon ein. Er wird ihn in den nächsten 400 Tagen bis zur Bundestagswahl nicht mehr loswerden. 

Am Wochenende vor der Ausrufung ihres Kandidaten hatte die SPD-Parteiführung in einem Interview klar gemacht, dass eine Koalition mit der Linken das erklärte Ziel der Partei sei. Am Montag redeten bei der Präsentation von Olaf Scholz dann vor allem Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Aber beim ersten großen öffentlichen Auftritt als Kanzlerkandidat entkam Scholz der Frage und der selbst gebauten Falle seiner Vorsitzenden nicht. Wieder und wieder löcherte die Talkmasterin Sandra Maischberger völlig zu Recht ihren Gast zu der Frage, und Scholz wand sich wie ein Wurm am Haken. 

Erst die Koalitionspräferenz, dann der Kandidat

Erst die Koalitionspräferenz festlegen, dann den Kandidaten präsentieren, auf diese Reihenfolge und diese Belegung auf Links als Lieblingspartner hätte sich Scholz nicht einlassen dürfen. Auch wenn es wahrscheinlich die zwingende Bedingung dafür war, dass die Parteispitze dem ihnen politisch unliebsamen Hamburger die Kandidatur zubilligten. 

Der Vorgang zeigt: Scholz ist nicht der getragene Kandidat von Parteispitze und großen Teilen einer nach links gerückten Partei. Er ist der ertragene Kandidat. Noch vor einem Jahr, im Ringen um den Parteivorsitz, in dem Schulz unterlag, hatte Saskia Esken ihm sogar abgesprochen, ein wahrhaftiger Sozialdemokrat zu sein. Jetzt soll ein Paria den Pott holen? Das geht alles nicht zusammen.

Auf einem Bein losgehumpelt

Auch die derzeit vielerorts gerühmte politische Schläue des Strippenziehers Kevin Kühnert ist bei nüchterner Betrachtung keine. Plötzlich macht sich Kühnert für einen Kandidaten stark, den er noch vor einem Jahr mit allem Mitteln bekämpft hat, in dessem Bestreben, Parteivorsitzender zu werden? Wirklich strategisch und schlau wäre gewesen, Scholz schon damals zum Parteivorsitz zu verhelfen.

Weil er absehbar der einzige wirkliche präsentable Kanzlerkandidat sein würde. So aber wurde Scholz seinerzeit unter tatkräftiger Mithilfe von Kühnert politisch ein Bein amputiert. Auf einem humpelt er jetzt los. Fast makaber, da von fehlender Beinfreiheit zu sprechen, wenn ein Bein gar nicht da ist. Im Netz spricht man von „Clickbait“, wenn Redaktionen Artikel präsentieren, die nur dazu da sind, dass sich möglichst viele Leute draufstürzen. Old Scholz ist Votebait von der SPD.

Das K.O.-Kriterium in der Koalitionsfrage 

Der Mitte-Politiker soll die Klientel holen, die sich in einer Schröder-SPD zu Hause fühlten – und als Vizekanzler der Großen Koalition soll er jene für die Partei gewinnen, die sich eigentlich Angela Merkel weiter wünschen, die es aber nicht mehr im Angebot gibt. Ein beinahe rührender Ansatz, wenn der geistig halbwegs begabte Wähler einen Moment nachdenkt und zu dem Ergebnis kommt, dass er mit dieser männlichen Merkel eine Koalition bekommen könnte, die die CDU und die Union auf immer und ewig ausgeschlossen haben. Er wird die Koalitionsfrage die nächsten 400 Tage nicht loswerden. Sie wird inhaltlichen Ansätze überlagern. 

Dabei ist gar nicht die Frage, ob die Rote Socke heute noch das politische Kampfmittel, das Agent Orange der Union ist, das vor Jahren für völlig Verheerung sorgen konnte. Es reicht ein nüchterner Blick auf die Partei und ihre Programmatik, und alle Bürgerlich-Konservativen, die in Erwägung zögen, Scholz zu wählen, zucken zurück. „Da wird viel zu diskutieren sein“, sagte Schulz bei Maischberger. Ergebnisoffen. Alleine diese Aussicht wird reichen, dass Scholz als Votebait nicht funktionieren kann und nicht funktonieren wird. 

Berliner Blasendenken  

Die SPD und auch Olaf Scholz persönlich sind sehr stolz darauf, dass dieses Mal zum ersten Mal seit drei Kandidaten die Präsentation desjenigen gelungen ist, der für die SPD ins Kanzleramt soll. Das ist aber Berliner Blasendenken. Darüber kann man sich freuen wie der Skispringer über eine gelungene Landung. Die gibt auch ein paar Punkte bei den Kampfrichtern. Aber entscheidend ist die Weite. Scholz hat diese zehn Prozentpunkte unter dem Ziel der Parteispitze von vor einem Jahr von 30 Prozent angesetzt. Um es in einer historischen Parallele zu sagen: 20 Prozent sind auch ein schönes Ergebnis. Wie das jemals für Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün reichen soll, daran rechnen die Parteistrategen im Willy-Brandt-Haus noch.  

Es wäre gut für die parlamentarische Demokratie in Deutschland, wenn nach 16 Jahren CDU die SPD mal wieder den Kanzler stellte. Der Weg, den Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans Scholz vorgegeben haben, wird aber nicht zu diesem Ziel führen. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Civey lehnen 55 Prozent der Deutschen eine rot-rote Koalition ab

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