Nukleare Teilhabe - Eine deutsche Absage bringt keine atomwaffenfreie Welt

Die Debatte um die nukleare Teilhabe Deutschlands in der Nato ist emotionsgeladen. Dabei wäre eine nüchterne Analyse angebrachter. Denn ein einfacher Verzicht würde die grundlegenden Probleme nicht lösen.

Die Beschaffung eines Tornado-Nachfolgers entfacht eine Grundsatzdebatte / dpa
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Autoreninfo

Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

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Die zur Tornado-Nachfolge vom Verteidigungsministerium angekündigte Beschaffung von amerikanischen F-18 Kampfflugzeugen hat eine kontroverse innenpolitische Debatte zur nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Nato ausgelöst.

Die ins Feld geführten Argumente sind vielfach reflexhaft und entsprechen bekannten Positionen. Statt emotionaler Aufheizung bedarf es jedoch nüchterner Abschätzung der Auswirkungen einer Aufgabe der nuklearen Teilhabe auf die deutsche Sicherheit. Rationales Kalkül war immer schon der Angelpunkt der Abschreckungspolitik des westlichen Bündnisses.

Eine deutsche Absage hat Nachteile für die Sicherheit

So sehr man sich eine atomwaffenfreie Welt herbeiwünschen mag, eine deutsche Absage an die nukleare Teilhabe würde uns ihr keinen Schritt näher bringen. Gleichzeitig sind auch die Nachteile für unsere Sicherheit unübersehbar: Nicht nur wird der Zusammenhalt des für unsere Sicherheit unverändert zentralen Bündnisses und die Kopplung an unsere transatlantischen Partner erheblich geschwächt; auch würde sich Deutschland seines Einflusses auf die Abschreckungsstrategie der Nato weitgehend begeben.

Dieser Einflussverlust würde es uns zudem noch schwerer machen, die Einhaltung des seit 1967 geltenden zweigleisigen Politikansatzes der Nato (sog. Harmel- Konzept) einzufordern: Dieses sieht neben der Abschreckung und gesicherten Verteidigungsfähigkeit als zweite zentrale Aufgabe des Bündnisses die Bereitschaft zu Entspannung, Dialog und die Rüstungskontrolle vor. Gerade zum letzteren Punkt besteht aktuell akuter Nachholbedarf.

Kein Anlass zu Sorglosigkeit und Selbstgefälligkeit

Aber es ist auch richtig: Es gibt keinen Anlass zu Sorglosigkeit und Selbstgefälligkeit. Wir müssen uns nicht einfach mit einer mechanistischen und unbegrenzten Fortschreibung des status quo und der nuklearen Teilhabe abfinden. Es kann uns nicht gleichgültig lassen, dass die Gefahren eines nuklearen Schlagabtausches nach dem Ende der bipolaren Weltordnung des Kalten Kriegs gewachsen sind und sowohl die USA wie Russland ihre Nuklearwaffenpotentiale konsequent modernisieren und in ihren Doktrinen deren Einsatz zu flexibilisieren und erweitern trachten.

Um diesen Entwicklungen wirksam begegnen zu können, muss an der richtigen Stelle angesetzt werden: bei den diplomatischen Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung. Die anstehende Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag, die alle fünf Jahre stattfindet und aufgrund der Corona-Krise auf den Beginn des nächsten Jahres verschoben wurde, bietet ein Forum, um diesem Politikfeld, das nahezu völlig aus dem Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit verschwunden ist, wieder die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Wichtige Schritte der nuklearen Abrüstung

Um Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung zu erreichen, gilt es vor allem auf folgendes hinzuwirken:

Die USA müssen – selbst wenn die aktuellen Aussichten dafür gering erscheinen – zu einer konstruktiven „Vorreiterrolle“ zurückfinden und ihren radikalen nationalen Egoismus sowie das einseitige Setzen auf militärische Überlegenheit aufgeben. Die Zustimmung zu der bereits von Russland vorgeschlagenen fünfjährigen Verlängerung des im Februar 2021 auslaufenden NewSTART Vertrages über bilaterale Begrenzungen ihrer strategischen Nuklearwaffensysteme würde hierzu ein wichtiges Signal setzen.

Die Mitgliedsstaaten des Atomwaffensperrvertrags müssen zu neuer Gemeinsamkeit und Geschlossenheit zurückfinden, auch um den Gefahren der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen wirksam entgegentreten zu können. Der 2017 von 122 Staaten angenommene Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen ist zwar Ausdruck einer verständlichen Frustration über ausbleibende Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung; er bietet jedoch keinen Ausweg, da er die Vertragsstaatengemeinschaft spaltet und von allen Nuklearwaffenstaaten wie auch wichtigen Nichtnuklearwaffenstaaten abgelehnt wird. Stattdessen sollte angesichts aktuell ungünstiger Rahmenbedingungen auf einen weniger ambitionierten schrittweisen Ansatz gesetzt werden, wie er schon seit langem von der Bundesregierung propagiert wird.

Die Nuklearwaffenstaaten müssen glaubwürdig die Bereitschaft dokumentieren, ihrer Abrüstungsverpflichtung gerecht zu werden. Den USA und Russland müssen hierzu unverändert schon aufgrund ihrer mit Abstand größten Potentiale – beide verfügen über jeweils mehr als 6000 Atomsprengköpfe – eine Vorbild- und Vorreiterfunktion erfüllen. Das Beharren der USA auf Einbeziehung Chinas in jegliche Abrüstungsvereinbarungen ist angesichts des vergleichsweise kleinen Potentials von weniger als 300 Sprengköpfen chancenlos. Gemeinsam könnten die fünf Nuklearwaffenstaaten des Vertrags in einem ersten Schritt durch Maßnahmen zur Transparenz über ihre Nuklearwaffenpotentiale und -doktrinen Vertrauen schaffen und – dies wäre besonders zu hoffen – den Weg zu gemeinsamen Verhandlungen und Vereinbarungen zu strategischer Stabilität ebnen.

Ein neues Momentum 

Die vorstehenden Punkte mögen wohlfeil klingen. Aber sie sollten verdeutlichen, dass ein Verzicht auf nukleare Teilhabe nicht das grundlegende Problem löst. Vielmehr muss es gelten, ein neues Momentum für nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung zu schaffen, um damit auch Spielraum in der Umsetzung der Abschreckungsstrategie des Bündnisses – diese stützt sich im übrigen nicht allein auf Nuklearwaffen – zu schaffen.

Auch erratische Aussagen von Präsident Trump, die die Verlässlichkeit der USA als Bündnispartner in Frage stellen, sollten uns nicht beirren und uns nicht veranlassen, die erweiterte Abschreckung, mit der wir bisher gut gefahren sind, aufzukündigen. Dies entbindet uns jedoch auch nicht von der Verpflichtung, auch die Möglichkeiten zur Gestaltung einer europäischen strategischen Autonomie weiter auszuloten. In diesem Zusammenhang ist es von Belang, dass Präsident Macron den europäischen Partnern im Februar einen strategischen Dialog über nukleare Abschreckung angeboten hat.

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