Neue Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal - Bonn-Tannenbusch ist nicht der Prenzlauer Berg

Jessica Rosenthal soll am Samstag die Nachfolge von Kevin Kühnert an der Spitze der Jusos antreten - kein leichtes Erbe für die 28-jährige Realschullehrerin. Auf welchen Kurs bringt sie die Jungsozialisten zu Beginn des Superwahljahres?

Jessica Rosenthal wird wohl am Samstag zur neuen Juso-Vorsitzenden gewählt / dpa
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Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Bonn ist eine reiche Stadt. Nachdem Berlin zur Hauptstadt wurde, haben sich hier Unternehmen wie die Telekom und UN-Organisationen angesiedelt. Parks und schmucke Altbauten bestimmen das Bild.

Nicht so in Bonn-Tannenbusch: Hochhäuser, Armut und Arbeitslosigkeit prägen den Stadtteil. Bei der Kommunalwahl im September erzielte die AfD hier mit gut 13 Prozent ihr stadtweit bestes Ergebnis. Hier arbeitete Jessica Rosenthal, die 28 Jahre junge Frau, die auf dem digitalen Juso-Bundeskongress am Samstag wohl zur Nachfolgerin von Kevin Kühnert - es gibt keine Gegenkandidaten - an die Spitze der Jungsozialisten gewählt wird, bis vor kurzem als Lehrerin an einer Realschule.

Realschul-Lehrerin in AfD-Hochburg

Seit Jahren soll die Schule renoviert werden. Aber Tannenbusch ist der Politik im bürgerlichen Bonn nicht so wichtig. Rosenthal ärgert das: „Gerade in der Bildungspolitik muss der Grundsatz gelten, dass wir Ungleiches ungleich behandeln müssen. Daher müssen die besten und modernsten Schulen in den sozialen Brennpunkten unserer Städte entstehen", sagt sie. 

Es gibt nicht mehr viele sozialdemokratische Politiker, die mit dem Leben und den Problemen der Unterschicht vertraut sind. Vom Milieu her stehen die meisten Sozialdemokraten den Grünen näher als den Menschen, deren Interessen zu vertreten sich die SPD einst auf die Fahnen schrieb. Bei Rosenthal ist das anders.

Ein Posten mit Relevanz

Wenn Rosenthal einen starken Sozialstaat fordert, ist das nicht rote Folklore. Sie ist durch die Erfahrungen in ihrem Berufsalltag davon überzeugt, dass „die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen durch einen starken Sozialstaat geprägt sein muss.“ Ein starker Sozialstaat, Bildungspolitik, Umverteilung, nachhaltige Industrie und eine Jobgarantie bei Arbeitslosigkeit sind die Themen, mit denen Rosenthal am Samstag gewählt werden will.

Sie wird das Gesicht der Jusos im Wahljahr 2021 sein. Zwar ist die SPD auf der politischen Bühne des Landes nicht mehr das, was sie einmal war, aber die Vorsitzende einer etwa 80.000 Mitglieder starken Parteiorganisation wie der Jusos hat eine gewisse Relevanz, sowohl in der Partei als auch in der Außenwirkung.

Das hat Kühnert bewiesen, der mit seiner Kampagne zu Beginn dieser Legislaturperiode beinahe die Groko zu Fall brachte, und der maßgeblich zum Sieg von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Kampf um die Parteispitze beigetragen hat. Und sich nebenher zu einer der bekanntesten Figuren der SPD im Land gemacht hat.

Eine "klassische" Sozialdemokratin, die den Kapitalismus abschaffen will

Rosenthal will die Jusos klassisch sozialdemokratisch positionieren: „Mir geht es darum, dass man mit der SPD wieder stärker eine politische Zukunftsvision verknüpft. Die SPD muss dafür sorgen, dass das Zukunftsversprechen ‚Deinen Kindern geht es einmal besser‘ für unsere Generation eine Renaissance erlebt“, sagt sie. Die wichtisten Themen: Eine Digitalisierungsoffensive für das Bildungssystem, ein zukunftsgerechter Sozialstaat und die Schaffung „einer nachhaltigen Industrie bis 2030, sodass wir in 20 Jahren noch immer die besten – und damit meine ich nachhaltigsten – Autos bauen.“

Und natürlich will sie den Kapitalismus überwinden. Das wollen fast alle Jusos, sie sehen sich als Sozialisten, berufen sich ausdrücklich auf Karl Marx. Das kann man ernst nehmen, man kann es aber auch als das sehen, was es eigentlich ist: Folklore.

Identitätspolitik nicht im Mittelpunkt

Aber anders als für viele heutige Linke steht die hippe Identitätspolitik für Rosenthal nicht im Zentrum ihrer politischen Agenda. Sie ist eher linke Traditionalistin. Bonn-Tannenbusch ist nicht der Prenzlauer Berg. Eine Bundestagskandidatur kann sich Rosenthal vorstellen. Dass sie in Bonn, wo sie seit Beginn ihres Studiums lebt, 2013 in die SPD eintrat und heute Vorsitzende der SPD ist, ein Direktmandat erringt, ist wenig wahrscheinlich. Bei der Oberbürgermeisterwahl schaffte es Lissi von Bülow, die Kandidatin der SPD, nicht einmal in die Stichwahl. Oberbürgermeisterin wurde Katja Dörner von den Grünen.

Ob sie in NRW einen der - wegen der zu erwartenden Stimmenschmelze der SPD - heiß begehrten sicheren Listenplätze zur Bundestagswahl ergattert, ist offen: Bevor sie ihre Kandidatur zur Juso-Bundesvorsitzenden ankündigte, gehörte sie, obwohl bis Oktober Juso-Landeschefin, nicht zu den bekannten Gesichtern der SPD in NRW.

Ihr Vorgänger Kühnert ist für Rosenthal Chance und Last zugleich: Seit den späten 90er Jahren, als die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles hieß, gelang es keinem Juso-Chef, so bekannt zu werden und so viel politischen Einfluss zu erlangen wie Kühnert. Seine No-Groko-Kampagne brachte der SPD tausende neuer Mitglieder. Unter Kühnert wurden die Jusos nach Jahrzehnten wieder zu einem Machtfaktor innerhalb der SPD.

Schwieriges Verhältnis zu Olaf Scholz

So steht auch Rosenthal nun im Rampenlicht. Wer die Jusos führt, ist wieder wichtig geworden. Und was die Jusos sagen, wird im Wahlkampf wahrgenommen. Doch mit der gewachsenen Bedeutung geht auch eine höhere Verantwortung einher: Gelingt es der SPD, was nach den heutigen Umfragen unwahrscheinlich ist, den zweiten Platz vor den Grünen zu behaupten, wird das auch ein Erfolg der Jusos sein. Bewegen sie sich weiter Richtung zehn Prozent, werden die Jusos auch dafür in Mithaftung genommen werden, denn das von ihnen unterstützte Vorsitzendenpaar hat die SPD bislang kaum gestärkt.

Das Verhältnis der Jusos zum Spitzenkandidaten Olaf Scholz ist angespannt, denn als SPD-Vorsitzenden haben gerade sie ihn verhindert. Mit der kritischen Unterstützung der Jusos wird er aber auch unter Rosenthal rechnen können. Wie Kühnert, der bei seinen Auftritten keineswegs wie ein Wiedergänger Che Guevaras erschien, ist Rosenthal keine sozialistische Fundamentalistin, sondern am Ende des Tages eine pragmatische Politikerin, die für eine klassische sozialdemokratische Politik mit dem unvermeintlichen Juso-Sozialismus-Tam-Tam steht.

Ob sie eine große politische Zukunft hat, wird sich daran entscheiden, ob sie selbst die von ihr geforderte politische Zukunftsvision liefern kann. Nach dem Machtpolitiker Kühnert böten sich Jessica Rosenthal bei der Entwicklung von Inhalten viele Chancen.

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