Netzwerkdurchsetzungsgesetz - Kurzer Prozess mit der Meinungsfreiheit

Bundesjustizminister Heiko Maas stellte jüngst den Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vor. Damit sollen Hasskommentare und Fake News im Netz eingedämmt werden. Rechtswissenschaftler Alexander Peukert hält das Gesetz für juristisch höchst problematisch und warnt vor den Folgen

Mit seinem Gesetzentwurf stößt Heiko Maas auf Kritik / picture alliance
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Alexander Peukert ist deutscher Rechtswissenschaftler. Er lehrt an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Der Forschungsschwerpunkt liegt im Immaterialgüterrecht.

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Der Entwurf eines „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ (NetzDG-E) aus dem Hause Heiko Maas möchte das „friedliche Zusammenleben einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft“ vor „Hasskriminalität“ und „strafbaren Falschnachrichten (‚Fake News‘)“ schützen. Zu diesem Zweck sollen Twitter, Facebook, YouTube und andere große Anbieter sozialer Netzwerke mit jeweils mehr als zwei Millionen inländischen Nutzern dazu gebracht werden, ihre Löschaktivitäten wesentlich zu verstärken. Idealerweise sollen volksverhetzende und verleumderische Äußerungen zu 100 Prozent verschwinden, und zwar unverzüglich nach der ersten Meldung durch Nutzer oder „Beschwerdestellen“ wie jugendschutz.net. Für solch eine Planerreichungsquote greift der Entwurf zu problematischen juristischen Instrumenten.

Strafbarkeit und Rechtswidrigkeit neu definiert

Der Entwurf und seine Präsentation durch Bundesminister Maas erwecken den Eindruck, als gehe es allein um die effektive Durchsetzung des geltenden deutschen Strafrechts. Da die mit Strafrechtsnormen wie dem Volksverhetzungsparagraphen einhergehenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt seien, bewirke der Entwurf gar keine „neuen“ Eingriffe in die Meinungsfreiheit (siehe im Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, S. 22). Die, so die Logik, folgen ja schon aus 14 abschließend aufgelisteten, verfassungskonformen Straftatbeständen nach dem Strafgesetzbuch, auf die der Entwurf bei der Definition „rechtswidriger Inhalte“ Bezug nimmt.

Das aber stimmt so nicht. Wiederholt ist davon die Rede, der Entwurf diene der Verhinderung „objektiv strafbarer“ Taten (NetzDG-E, S. 1, 9 f., 13, 17, 19, 27). Damit soll offenbar gesagt sein, dass es nur darauf ankommt, ob eine Äußerung als solche zum Beispiel unwahr, beleidigend oder volksverhetzend sei. Irrelevant ist hingegen, ob der Sprecher die Äußerung vorsätzlich oder beispielsweise im Fall der Verleumdung (Paragraph 187 Strafgesetzbuch, StGB) „wider besseres Wissen“ tätigte (subjektiver Tatbestand eines Strafgesetzes). Auf die individuelle Schuld des Sprechers soll es ebenfalls nicht ankommen (NetzDG-E, S. 19, 27).

Dann aber gilt eine Äußerung gegebenenfalls auch als rechtswidrig im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, wenn sie im konkreten Fall nicht strafbar ist, weil der betreffende Sprecher nicht vorsätzlich oder nicht schuldhaft handelte. Und auch der Begriff der Rechtswidrigkeit erhält eine neue Bedeutung: Zwar mag es im Einzelfall denkbar sein, dass man einer Äußerung als solcher entnehmen kann, dass sie in „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ und damit rechtmäßig gemäß Paragraph 193 StGB erfolgte. Rechtfertigungsgründe, die in der Person des Sprechers und seinen kommunikativen Beziehungen wurzeln, sind einem einzelnen Post oder Tweet hingegen in der Regel nicht zu entnehmen.

Abstrakt und unklar

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz beurteilt Äußerungen abstrakt auf ihre objektive Unwahrheit und ihren Beleidungs-, Beschimpfungs- oder Verleumdungsgehalt. Die Rede von „Hasskriminalität“ und „strafbaren“ Falschnachrichten verschleiert, dass neue juristische Konzepte für die Kommunikationsregulierung in bestimmten Onlinemedien vorgelegt werden. Wo genau die Grenze zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Verhalten verläuft, bleibt aber unklar.

Zum abstrakten Regelungsansatz des Entwurfs passt, dass der Sprecher dort nur am Rande vorkommt. Im Wesentlichen werden die vorgeschlagenen Löschungsverfahren im Dreieck von meldenden Nutzern, dem Netzwerkbetreiber und staatlichen sowie staatsnahen, weil vom Staat beauftragten und steuerfinanzierten Beschwerde- und Überwachungs-„Stellen“ (wie unter anderem jugenschutz.net) abgewickelt. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte sind nach einer Meldung ohne jede Beteiligung des Sprechers innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte, bei deren Beurteilung sich auch nach Auffassung der Entwurfsverfasser „schwierige Rechtsfragen“ stellen können, müssen innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Während dieser Frist könne das soziale Netzwerk dem Verfasser des gemeldeten Inhalts Gelegenheit zur Stellungnahme geben und eine „externe Expertise einholen“ (NetzDG-E, S. 24). Doch sind diese Handlungsoptionen der Netzwerkbetreiber im Entwurf nicht mit Sanktionen hinterlegt. Die Netzwerke können sich diesen Aufwand also folgenlos sparen und vorsorglich löschen.

Gefahr der Zensur

Facebook und andere Netzwerke sind lediglich verpflichtet, den Sprecher nachträglich über die erfolgte Löschung zu informieren und diese zu begründen. Hierdurch werde sichergestellt, dass der „Nutzer die geeigneten rechtlichen Schritte zur Wahrung seines Rechts auf Meinungsfreiheit zeitnah einleiten kann“ (NetzDG-E, S. 24). Welche Schritte das sein sollen, sagt der Entwurf aber nicht. Es ist äußerst zweifelhaft, ob Nutzer einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch gegen Netzwerkanbieter haben, im Rahmen der Gesetze beliebig posten und twittern zu können. Und selbst wenn ein solcher Freischaltungsanspruch bestünde, wäre er erst nach langer Zeit gerichtlich durchsetzbar. Statt diesen mühevollen Weg zu beschreiten, werden gesperrte Nutzer in andere Foren abwandern.

Die Gefahr des fälschlichen Filterns legaler Äußerungen wird dadurch verstärkt, dass die sozialen Netzwerke nicht nur den „Original“-Post oder Tweet löschen müssen, sondern sämtliche Kopien des rechtswidrigen Inhalts, die durch ihrerseits „rechtswidrige“ Likes, Shares und Retweets generiert wurden. Und damit nicht genug: Die Netzwerke müssen ferner „wirksame Maßnahmen gegen die erneute Speicherung des rechtswidrigen Inhalts“ treffen. Dabei ist an automatische Filter beim Hochladen der Inhalte gedacht (NetzDG-E, S. 24). In der Folge könnte ein bestimmtes Bild, eine Äußerung oder gar ein als hetzerisch beurteiltes Wort von vornherein nicht mehr verwendet werden, obwohl die neue Äußerung in einem ganz anderen, zum Beispiel satirischen und damit legalen Kontext stehen kann. Solche Uploadfilter gelten zu Recht als besonders effektive und damit gefährliche Zensurinstrumente. Die Verpflichtung zu ihrem Einsatz kommt einer allgemeinen Überwachungspflicht gleich, die mit dem Europarecht (Artikel 15 der E-Commerce-Richtlinie 2000/31) unvereinbar ist.

Zugleich würde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erhebliche Haftungsrisiken für die Anbieter sozialer Netzwerke und ihre Leitung begründen, wenn diese ihren Lösch-, Verfahrens-, Überwachungs- und Berichtspflichten nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder gar nicht nachkommen. Die Bußgelder für ein Verhalten, das eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Themen Hass und „Fake News“ vermissen lässt (NetzDG-E, S. 25), können sich auf bis zu 50 Millionen Euro für die Netzwerkanbieterunternehmen und fünf Millionen Euro für das Leitungspersonal belaufen. Selbst der einmalige, fahrlässige Verstoß gegen die Pflicht, rechtswidrige Inhalte fristgemäß zu löschen, stellt eine prinzipiell bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit dar.

Kooperation zwischen Staat und Netzwerkbetreiber

Allerdings geht der Entwurf davon aus, dass zumindest die großen Drei, also Facebook, Twitter und YouTube, weitgehend mit den staatlichen und staatsnahen Institutionen kooperieren werden. So kann eine Löschung „offensichtlich rechtswidriger“ Inhalte binnen 24 Stunden unterbleiben, wenn das soziale Netzwerk mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde einen längeren Zeitraum „vereinbart“. Die verpflichtende Benennung einer inländischen, für Auskunftsersuchen empfangsberechtigten Person soll ebenfalls „die Möglichkeiten einer freiwilligen unmittelbaren Kooperation zwischen Strafverfolgungsbehörden und Providern“ verbessern (NetzDG-E, S. 29).

Das Beschwerde- und Löschmanagement unzureichend beflissener und kooperativer Netzwerkanbieter kann, falls dies erforderlich ist, durch eine vom Bundesamt für Justiz „beauftragten Stelle überwacht“ werden. Was es mit dieser potentiellen Überwachung der Netzwerke auf sich hat, ist unklar. Für die im Entwurf genannten testweisen Meldungen durch jugendschutz.net (NetzDG-E, S. 25) bedarf es keiner gesetzlichen Grundlage. Aus der Regelung könnte daher auch abgeleitet werden kann, dass Vertreter von „Beschwerdestellen“ wie eben jene Plattform ermächtigt sein sollen, das Löschmanagement im Unternehmen des Netzwerkbetreibers zu überwachen.

Verfahren ohne Beweisaufnahme

In Anbetracht dieser staatlichen Anreize und Umarmungen rechnen die Entwurfsverfasser mit „weniger als 100“ jährlichen Streitigkeiten zwischen Netzwerkbetreibern und dem Bundesamt für Justiz im Hinblick auf die Löschung eines Inhalts (NetzDG-E, S. 4). An sich wäre ein solcher Konflikt in einem regulären Bußgeldverfahren mit öffentlicher Hauptverhandlung zu klären. Diesem normalen Lauf der rechtsstaatlichen Dinge schiebt der Entwurf aber einen Riegel vor.

Denn das Bundesamt für Justiz muss vor dem Erlass eines Bußgeldbescheids wegen unterlassener Löschung einen Antrag auf „Vorabentscheidung“ über die „Rechtswidrigkeit“ eines Inhalts beim Amtsgericht Bonn stellen. An diesem Verfahren sind weder der Netzwerkbetreiber noch der betroffene Sprecher beteiligt. Da es bei einer reinen „Rechtsprüfung“ der „objektiven Strafbarkeit“ der Äußerung zu keiner Beweisaufnahme komme, könne das Gericht „nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten“ auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden (NetzDG-E, S. 27 f.).

Öffentlichkeit bleibt außen vor

Kommt das Gericht im Rahmen des schriftlichen und damit nicht-öffentlichen Verfahrens zum Ergebnis, dass der gemeldete Inhalt nicht rechtswidrig ist, muss die Behörde das Bußgeldverfahren einstellen. Damit ist die Sache dann erledigt. Schließt sich das Gericht hingegen der Auffassung des Bundesamts für Justiz an, ergeht ein Bußgeldbescheid, den die Netzwerkbetreiber in der Regel akzeptieren und außerdem den zur Last gelegten Inhalt löschen werden. Denn sie wissen, dass die Rechtswidrigkeit des Inhalts bereits vom Gericht, das für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zuständig sein wird, geprüft und bejaht wurde. Zur öffentlichkeitswirksamen Klärung der Rechtswidrigkeit von Inhalten in einem regulären Prozess wird es daher nur äußerst selten kommen.

In der Gesamtschau drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein Sonderverfahren etabliert wird, das den Zweck hat, den Kampf gegen Hass und „Fake News“ aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Dabei existieren durchaus alternative Konzepte, die den Sprecher einbeziehen und tatsächlich eine Kommunikation über die streitige Äußerung in Gang setzen könnten. So hat der Bundesgerichtshof für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Internetforen bereits ein „Rede-Gegenrede-Modell“ entwickelt, auf das der Entwurf sogar ausdrücklich Bezug nimmt (NetzDG-E, S. 22). Ein anderes, in den USA für Urheberrechtsverletzungen gültiges Modell sieht vor, dass ein beanstandeter Inhalt zunächst gelöscht, aber wieder freigeschaltet wird, wenn der Sprecher protestiert und hierbei seine Anonymität aufgibt. Hier kann sich ein reguläres Strafverfahren anschließen, in dem die Strafbarkeit der Äußerung geklärt werden kann.

Der Entwurf für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz hingegen soll Kommunikation nicht ermöglichen, sondern unterbinden. Offenbar meint man, der friedliche gesellschaftliche Diskurs werde durch Debatten, was „Hasskriminalität“ und „Fake News“ auszeichnet, nur unnötig irritiert. Klicken Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen, zu hören oder zu lesen! Und außerdem versichern wir Ihnen nochmals: „Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden.“ (NetzDG-E, S. 24).

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