Netzwerkdurchsetzungsgesetz - Deutschland am Pranger

Kisslers Konter: Die Kritik am geplanten Gesetzesvorstoß gegen Hassrede im Internet reißt nicht ab. Sogar die Vereinten Nationen sehen die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet. Die Blamage für Heiko Maas ist damit komplett

Steht der Bundesjustizminister auf dem Boden des Grundgesetzes? Heiko Maas macht die Frage möglich / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wenn die Moderne darin besteht, dass alte Gewissheiten in Frage gestellt werden, dann ist 2017 das modernste Jahr seit Menschengedenken. Das Wundern nimmt kein Ende. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass man sich je fragen würde, wie Menschen schneller zu integrieren seien, die sich gar nicht integrieren wollen? Oder dass Kaltherzigkeit gegenüber politisch unerwünschten Gewaltopfern zur Bürgerpflicht wird? Dass ein Staat über Nacht von knappen Kassen auf den Füllhornmodus umstellen kann, wenn er es denn will? Vor allem aber hätte nie jemand vor 2017 die Frage zu denken vermocht, ob ein Bundesjustizminister auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Heiko Maas macht‘s möglich.

Eingriffe „offensichtlich rechtswidrig“

Um ehrlich zu sein: Fast niemand traute dem Vorsitzenden der Saar-SPD etwas zu, das über saarländische Belange hinausginge. Fast niemand hält ihn in seinem derzeitigen Amt für kompetent. Er kompensiert das allseitige Misstrauen durch Talkshowauftritte, Homestories, markige Interviews und jede Menge Ankündigungswirbel. Heiko Maas ist der Tusch, auf den kein Stück folgt, ist ein Inkompetenzkompensationsminister. Nun aber, im Vorwahlkampf, da alle Kabinettsdisziplin dahin schmilzt wie Butter im Brattopf, wagt er einen letzten Versuch. Er will es wissen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, sein Gesetz, soll noch in dieser Legislaturperiode Wirklichkeit werden. Auf Biegen und Brechen. Er weiß: Danach werden ganz andere Minister ganz andere Bretter bohren.

Was stört es da, wenn die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags die im Gesetzentwurf vorgesehenen Eingriffe in die Meinungsfreiheit als „verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt“ bezeichnen? Das Gesetz soll zu einer zügigen und großflächigen Löschung von anstößigen Inhalten, von Hassrede und Falschnachricht, im Internet führen. Dies soll geschehen, sobald sich jemand angegriffen fühlt und sofern jene „Telemediendienstanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben“, Facebook oder Twitter, die fraglichen Inhalte als „offensichtlich rechtswidrig“ einstufen. Recht wird damit privatisiert, Meinung zensiert. So will es Maas. Die Wissenschaftlichen Dienste lassen an der Grundgesetzwidrigkeit des Gesetzes und damit an den Kompetenzlücken des Ministers keinen Zweifel.

Deutschland noch ein Rechtsstaat?

Doch es kommt noch schlimmer für Deutschland und dessen sonst so eilfertig bemühtes Ansehen in der Welt: Die Vereinten Nationen in Gestalt ihres Sonderberichterstatters für Meinungsfreiheit, David Kaye, sehen in Deutschland die Freiheit in Gefahr. Kaye wandte sich am 1. Juni mit einem Offenen Brief an die Bundesregierung, den diese innerhalb von 60 Tagen zu beantworten hat, um seine Befürchtungen, seine Sorge um die Meinungsfreiheit in Deutschland, auszudrücken.

Ein solches Vorgehen kannte man bisher eher bei Adressaten aus Zimbabwe, Kasachstan, Vietnam. Neuerdings muss sich Berlin die peinliche Frage gefallen lassen, ob die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen den Menschenrechten Genüge tun und ob auf derart vagen Begriffen wie „soziales Netzwerk“, „offensichtlich rechtswidrig“ und „Beleidigungen“ ein Gesetz basieren dürfe, das internationalen Rechtsstandards entspreche, zu deren Einhaltung sich Deutschland verpflichtet habe. Dank Maas muss Deutschland nun offiziell auf internationaler Bühne bekräftigen, was bisher als unstrittig galt: dass es ein Rechtsstaat sei.

Gefahr für die Demokratie

Da ist es gar nicht nötig, noch das für den Branchenverband Bitkom erstellte Gutachten der Rechtsprofessoren Karl-Heinz Ladeur und Tobias Gostomzyk heranzuziehen, die das geplante Gesetz „aufgrund der schweren verfassungsrechtlichen Bedenken insgesamt nicht haltbar“ nennen. Es verstoße „sowohl formell als auch materiell gegen das Grundgesetz“ – oder die Stellungnahme des aufstrebenden „Freiheitlich-konservativen Aufbruchs in der Union“, der zufolge „dieses unsägliche Gesetz“ nun „kritische konservative und bürgerliche Aktivisten (…) mundtot“ machen wolle: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist handwerklicher Murks, und es ist eine Gefahr für die Demokratie.

Maas, der als Freiheitsabbauminister in die Annalen eingehen könnte, sorgt für den Fall seines Scheiterns freilich vor und bemüht sich um eine Anschlussverwendung. Er hat gerade ein Sachbuch namens „Aufstehen statt wegducken: Eine Strategie gegen Rechts“ geschrieben oder schreiben lassen. Es ist bei Piper erschienen, wurde aber bisher nicht ins Deutsche übersetzt.

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