Netzwerkdurchsetzungsgesetz - „Das Gesetz ist ein semantischer Taschenspielertrick“

Justizminister Heiko Maas möchte mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz Falschnachrichten und Aggression in sozialen Netzwerken entgegenwirken. Nicht nur Facebook wehrt sich gegen den Entwurf. Auch der Medienrechtler Marc Liesching hält ihn für kaum vereinbar mit dem Verfassungs- und EU-Recht

Eine inflationäre Löschungspraxis ändert die Aggression in der Gesellschaft auch nicht / picture alliance
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Hannah Fuchs studiert Philosophie an der Universität Wien. 

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Am 19. Mai diskutierte der Bundestag in erster Lesung das von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegte „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG). Dieses verpflichtet Netzwerkbetreiber wie Facebook und Twitter, eine Löschinfrastruktur aufzubauen und rechtswidrige Inhalte zwischen einem und sieben Tagen löschen. Wird dies nicht eingehalten, droht das Gesetz mit einem Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro.

Herr Liesching, welche sozialen Netzwerke wären von dem Gesetz betroffen? 
Das Gesetz umfasst alle sozialen Netzwerke mit Gewinnerzielungsabsicht mit einer Nutzerzahl ab zwei Millionen Usern im Inland. Das sind natürlich mehr, als nur Twitter, Youtube und Facebook. Doch ist das Gesetz aber auch etwas unklar. Sollen das registrierte Nutzer sein oder aktive Nutzer? Jeweils würde das Gesetz andere Netzwerke auch betreffen.

Die Bezeichnungen „Hate Speech“ und „Fake News“ sind Schlüsselbegriffe in dem Entwurf. Können die im Gesetz verwendeten Begriffe inhaltlich und juristisch genau gefasst und definiert werden? 
Was wir allgemein unter Fake News oder Hassrede verstehen, fällt, wenn überhaupt, nur in Ausnahmen unter das Strafrecht. Fake News sind in der Regel nicht strafbar. Bei Hate Speech wird es vielleicht so sein, dass maximal 20 Prozent der Fälle von Hate Speech strafbar sind. Das meiste ist nicht strafrechtsrelevant. Deshalb greift dieses Gesetz, weil es nur Strafrecht erfasst, ins Leere. Der bekannteste Fall von Fake News ist wohl das Mädchen Lisa, das angeblich von Flüchtlingen vergewaltigt worden ist. Selbst in diesem Fall ist die vorsätzliche Verbreitung von Falschmeldungen per se nicht strafbar. Damit erfasst auch das NetzDG solche Fälle nicht. Der Fall der Grünen-Politikerin Renate Künast und einem frei erfundenen und ihr untergeschobenen Zitat auf Facebook-Seiten könnte ebenfalls als Fake News verstanden werden. Für Hate Speech gibt es im Grunde keine Beispiele, weil der Begriff weder juristisch noch in der gesellschaftspolitischen Debatte definiert ist. Volksverhetzung wird in der Regel als Hate Speech eingeordnet werden können. Strafbare Verleumdung kann im Einzelfall auch als Fake News aufgemacht sein. Das Strafrecht setzt aber hohe Hürden: Fake News müssen in solchen Fällen den Betroffenen auch verächtlich machen oder herabwürdigen.

An einer Stelle des Entwurfs wird auf die sogenannte „Hasskriminalität“ eingegangen. „Die Debattenkultur im Netz ist oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt. Durch Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte kann jede und jeder aufgrund der Meinung, Hautfarbe oder Herkunft, der Religion, des Geschlechts oder der Sexualität diffamiert werden“. Bedeuten aggressive Äußerungen notwendig, dass sie auch kriminell und daher strafbar sind? 
Nein, selbstverständlich nicht. Das ist ein semantischer Taschenspielertrick. „Strafbare Hasskriminalität“ impliziert, dass Hass immer oder in der Regel kriminell sei, aber das ist ja nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, die Mehrzahl dieser sogenannten Hate Speech-Fälle ist nicht kriminell und oft von der Meinungsfreiheit gedeckt. In einer freiheitlich demokratischen Grundordnung sind auch extreme Ansichten auszuhalten, auch um ihnen in der öffentlichen Debatte entgegentreten zu können. 

Können Sie Beispiele von Hasskriminalität geben?
Ich darf „Ich hasse Fahrradfahrer“ oder „Ich hasse Politiker“ sagen. Das ist von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt. Überschritten und zu Recht beschränkt ist das Freiheitsrecht zum Beispiel bei der volksverhetzenden Aussage „Juden ins Gas“. Herr Maas übersieht aber, dass diese eindeutigen Fälle in der Praxis kaum auftreten. 95 Prozent der Beschwerdegegenstände sind unklar und auch nach sieben Tagen nicht rechtlich eindeutig einzustufen. Wenn auf Facebook jemand schreiben würde: „Herr Maas ist die größte Pfeife, die jemals das Amt des Bundesjustizministers bekleidet hat“, wäre diese rechtlich nicht leicht zu beurteilen. Fühlt sich Herr Maas verständlicherweise beleidigt und beschwert sich bei Facebook, muss entschieden werden: Ist das eine strafbare Beleidigung oder von der Meinungsäußerungsfreiheit legitimiert? Beim Bundesverfassungsgericht waren sich bei der Aussage „Soldaten sind Mörder“ von Kurt Tucholsky selbst die Senatsrichter nicht alle einig. Es ist falsch zu glauben, die Debattenkultur mit diesem NetzDG dadurch zu schützen, sämtliche Aggressivität aus dem Netz zu entfernen – es sei denn, die Netzwerkbetreiber löschen im Zweifelsfall alles, auch das Erlaubte.

Kann das bestehende Problem mit dem neuen Gesetz gelöst werden?
Es ist irreführend, wenn Herr Maas fordert, dass die Netzwerkbetreiber sich an das Recht halten müssen – das müssen sie bereits jetzt. Es ist auch aktuell schon so, dass, wenn Netzwerkbetreiber gegen das Strafrecht verstoßen, die Strafjustiz ermitteln muss und Ermittlungsverfahren einleiten kann. Erstaunlicherweise haben sie das bisher nicht getan. Hier stellt sich die Frage, wo ein Defizit bei der Rechtsdurchsetzung bestehen soll. Ich denke, eher bei der Strafjustiz und der Medienaufsicht als bei den Netzwerkbetreibern.

Inwiefern greift das Gesetz in die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit ein?
Das Kernproblem ist, dass den Netzwerkbetreibern eine Löschung im Zweifelsfall abverlangt wird, weil die Fälle eben nicht eindeutig sind. Wenn man im Hinterkopf das Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro hat, wird man sich als wirtschaftlich denkendes Unternehmen im Zweifelsfall für die Löschung entscheiden. Das wird dazu führen, dass der Beitrag nicht mehr abrufbar ist. Das beeinträchtigt die Meinungsäußerungsfreiheit desjenigen, der die Meinung geäußert hat, aber auch die Informationsfreiheit von jedem Netzwerknutzer, weil er die Beiträge nicht mehr lesen kann.

Wie sieht es mit Beiträgen aus, die als vermeintliche oder echte Redaktionsinhalte erscheinen? 
Die Presse- und Rundfunkfreiheiten können nur dann erfasst werden, wenn die Beiträge, die gelöscht werden, entweder als Presse- oder als Rundfunkäußerungen zu bewerten sind. Laut Landesmedienanstalten können Youtube-Channel Rundfunk sein. Auch die Pressefreiheit kann betroffen sein. Nur wann ist es so, dass wir einen presserelevanten Beitrag haben? Vielleicht dann, wenn jemand journalistisch redaktionell etwas geschrieben hat. Der Begriff des Journalisten ist jedoch nicht berufsmäßig geschützt, jeder könnte im Netzwerk journalistische Beiträge schreiben. Damit wird durch das NetzDG neben der Meinungsäußerungsfreiheit und der Informationsfreiheit auch die Rundfunk- und Pressefreiheit betroffen sein.

Beschränken wir nicht schon Grundrechte, indem wir gewissen Inhalt als strafbar anerkennen?
Verfassungsrechtlich dürfen wir die Meinungs- und Medienfreiheit beschränken. Das sieht man daran, dass wir zum Beispiel Beleidigungen oder Volksverhetzung strafgesetzlich untersagt sind. Beschränkungen der Grundfreiheiten gehen aber nur mit einem sachlichen Grund und wenn eine sogenannte Verhältnismäßigkeit des Eingriffs besteht. Das gibt aber noch keinen legitimen Sachgrund für diese Löschungsinfrastruktur. Sie wird über alle Maßen Beiträge zum Verschwinden bringen und damit unverhältnismäßig sein.

Das Grundgesetz beinhaltet auch ein Zensurverbot. Wäre das Gesetz damit konform?
Das Zensurverbot ist bisher vom Bundesverfassungsgericht sehr eng ausgelegt worden und erfasst nur die behördliche Vorzensur. Wenn also Journalisten nur nach staatlicher Genehmigung veröffentlichen dürften. Das ist verboten. Man könnte sagen, dass das nicht auf Netzwerke zutrifft, denn da ist der Beitrag schon verbreitet. Das ist jedoch zu kurz gedacht. Wenn ein Beitrag online gestellt wird und nach 24 Stunden gelöscht sein soll, hat ihn die Mehrzahl der Nutzerschafft noch nicht gelesen. Die privaten Netzwerkbetreiber werden staatlich durch das hohe Bußgeld so sehr unter Druck gesetzt, dass im Zweifelsfall sofort gelöscht wird. Ich kann mir vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Zensurverbot dieses Gesetz sehr kritisch überprüfen wird. Es könnte faktisch einer direkten behördlichen Zensur gleichkommen.

Justizminister Maas sagte im Bundestag, dass sich das Bußgeld nur auf das Versagen eines Beschwerdeverfahrens eines Netzwerkbetreibers beziehe, nicht auf Einzelfälle.
Das scheint so. Aber wie behauptet man, dass Facebook kein effektives Löschungsverfahren hat und ein systemisches Versagen des Beschwerdeverfahrens vorliegt? Das kann Herr Maas nur dann behaupten, wenn er den Netzwerkbetreibern vorhält, sie hätten in mehreren Einzelfällen innerhalb einer Woche nicht gelöscht. Ein entsprechender Bericht über Einzelfälle hat Herrn Maas erst auf die Idee der Notwendigkeit dieses Gesetzes gebracht. Damit kommt es doch auf die Einzelfälle an. 

Bei all den Einwänden, denken Sie, dass dieses Gesetz so kommen wird?
Ich halte es für wahrscheinlich, dass im parlamentarischen Verfahren noch etwas Kosmetik betrieben wird. Ich glaube aber, dass es nach Inkrafttreten zu Verfassungsbeschwerden kommen wird. Auch können Nutzer eine Verfassungsbeschwerde gegen Verletzung ihrer Informationsfreiheit einreichen. Leichter wäre es aber, wenn es die Netzwerkbetreiber machen. Aus europarechtlicher Sicht haben schon andere Juristen dargelegt, dass dieses Gesetz gegen Europarecht verstößt. Vor allem gegen das Herkunftslandprinzip. Dieses besagt, dass, wenn ein Anbieter wie Facebook seinen Sitz in einem anderen europäischen Land hat, er grundsätzlich nur das Recht dieses Landes beachten muss. Das NetzDG greift hier massiv ein, indem es nationale Empfängerregelungen implementiert. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch der EuGH dürfte sich daher bald mit dem NetzDG befassen. 

Welche Auswirkungen hat das Gesetz für die Benutzer von sozialen Netzwerken?
Die größte Auswirkung würde sein, dass sich Nutzer noch häufiger als jetzt fragen müssen, ob sie das gesamte Bild oder nur einen Ausschnitt sehen. Das Gesetz wird mit Sicherheit dazu führen, dass der Umfang der Löschungen derart steigt, dass Nutzer im Grunde nicht mehr wissen, wie viel von der Gesamtheit der Beiträge mit meinungsbildenden Bezügen sie sehen. Es wird eine inflationäre Löschungspraxis geben.

Woher kommt eigentlich die Eile beim NetzDG?
Es ist etwas verwunderlich, dass jetzt vor der Bundestagswahl so getan wird, als würde die nächsten Wochen der Moloch über uns hereinzubrechen drohen. Aus meiner Sicht ist das Gesetz überflüssig. Es ist erst recht nicht notwendig, so kurz vor der Bundestagswahl in einer nie dagewesenen Eile ein so massiv in Verfassungsrechte eingreifendes Gesetz durchzupeitschen, ohne dass man ausreichend diskutiert und rechtlich sorgfältig prüft. Auch im parlamentarischen Prozess ist jetzt kaum Zeit, viele Politiker haben noch gar nicht richtig verstanden, um was es geht.

Kann Ihrer Meinung nach mit diesem Gesetz gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft vorgegangen werden?
Nein. Aggression und Fremdenhass in der Gesellschaft sind ja da. Das Gesetz würde nur dazu führen, dass es im Web 2.0 aufgrund einer Löschinflation nicht mehr ganz so sichtbar ist. Ich halte das eigentlich für gefährlicher. Da wo strafrechtliche Grenzen auch schon jetzt überschritten werden, soll die Strafjustiz ermitteln, dafür haben wir sie ja. Aber durch das Gesetz wird das eigentliche Problem bestimmt nicht gelöst, allenfalls tabuisiert. 

 

Dr. Marc Liesching ist Professor für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er ist Mitherausgeber und Autor medienrechtlicher Fachzeitschriften und Gesetzeskommentare. In seinem Blog über rechtliche Fragen schreibt er unter anderem zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz

 

 

 

 

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