Europäische Republik - Sturm auf die Nation

Linke Utopisten, darunter der in der Kritik stehende Schriftsteller Robert Menasse, wollen die Nation abschaffen und träumen von einer „Europäischen Republik“. Doch bei dem Projekt finden sich erstaunliche Gemeinsamkeiten mit dem Demokratieverächter Friedrich August von Hayek

Erschienen in Ausgabe
Der Schweizer Theatermacher Milo Rau beim „Sturm auf den Reichstag“: Claqueur des Neoliberalismus / picture alliance
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Was reimt sich auf Nation? Der Hohn. Den erntet, wer dem klassischen Konzept der Republik noch etwas abgewinnen kann. Im Namen eines „European Balcony Project“ forderten jüngst Theaterleute, Kulturschaffende und Intellektuelle: „An die Stelle der Souveränität der Staaten tritt die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger.“ Es war, jedenfalls sollte es sein: die Ausrufung der „Europäischen Republik“. In Berlin fand das historische Ereignis vor dem Berliner Roten Rathaus statt.

Schluss mit der Nation! Genau 100 Jahre früher hatte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ausgerufen. Mit Republik meinte er Demokratie. Soll widerrufen werden, was der Genosse Scheidemann im November 1918 mit seiner Ausrufung der Republik im Sinne hatte: Bürger-Souveränität im Rahmen des Staates, also der Nation? Gehört der Staat, gehört die Nation liquidiert? Muss die Bundesrepublik Deutschland, in der die Bürgerschaft seit drei Generationen zum ersten Mal geglückte demokratische Kultur lebt, ihre Abgeordneten wählt, sich streitet, in Verbänden, Gewerkschaften und Parteien das Gemeinwohl pflegt, Platz machen einer staatenlosen „Souveränität der Bürgerinnen und Bürger“?

Das Spektakel eines Theatermachers

Was wäre das Neue an diesem Unterfangen? Die Schauspielerin Corinna Kirchhoff hat’s per Megafon in die Welt posaunt: „Es lebe die Europäische Republik.“ Erdacht hat das Projekt der Schweizer Theatermacher Milo Rau, bekannt für Inszenierungen nie geringer als im Weltformat, laut Selbstwahrnehmung ein Linker, tatsächlich seit Jahren damit beschäftigt, die bürgerliche Demokratie vom Platz zu fegen, um sie zu ersetzen durch ein „Weltparlament“. Bürger statt Staat!

In Berlin inszenierte der Globalist bereits einmal Event-Historie: im November 2017 mit dem Sturm auf den Deutschen Bundestag, dem Austragungsort der ganz alltäglichen deutschen Demokratie. Raus Spektakel, exakt 100 Jahre nach dem legendären Sturm auf das Winterpalais in Sankt Petersburg, sollte den Duft der Revolution verströmen. Doch es erinnerte geschichtsbewusste Demokraten an die Schändung der Weimarer Demokratie durch den Reichstagsbrand. Auch die Anspielung auf 1917, den Beginn der bolschewistischen Diktatur, wirkte wenig erquickend.

Der elitäre Uno-Migrationspakt

Doch wer mag schon Revolution und Reaktion säuberlich auseinanderhalten, wenn es ums große Ganze geht – ums große Gigantische? Der heiße Atem der Geschichte erfordert nun mal die Einäscherung des Bestehenden, also der Nation. Wer das nicht glaubt, der spreche doch einmal laut den Begriff „Vaterland“ aus. Gibt es etwas Altmodischeres, Abgelegteres, Ausrangierteres? Die November-Großdenker wissen auch schon, was sie wollen, respektive was die in Zukunft souveränen Bürgerinnen und Bürger gefälligst zu wollen haben sollen: „Wir sind uns bewusst, dass der Reichtum Europas auf Jahrhunderten der Ausbeutung anderer Kontinente und der Unterdrückung anderer Kulturen beruht. Wir teilen deshalb unseren Boden mit jenen, die wir von ihrem vertrieben haben. Europäer ist, wer es sein will. Die Europäische Republik ist der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Demokratie.“

Gerade zur rechten Zeit kommt da der Uno-Migrationspakt, in Marrakesch verabschiedet. Er ist nicht nur perfekter Ausdruck weltrevolutionären Willens und des damit einhergehenden Widerwillens gegen den Westen, er ist auch Beispiel für die ersehnte supranationale Bürger-Selbstbestimmung: Eine Elite, in diesem Fall nicht Kulturschaffende, sondern Diplomaten, hat ihn ausgeheckt – und den Bürgerinnen und Bürgern ohne jede Konsultation, dafür mit allen anfallenden Lasten auferlegt. So funktioniert das Weltparlament – am East River.

Ohne Grenzen kein Sozialstaat

Wer mag sich da noch starkmachen für die schwache Nation: beschimpft, gering geschätzt, bestenfalls zur Warnung vor dem Rechtspopulismus tauglich? Sicher kein Linker, kein Grünlinker, kein Liberallinker. Denn so viel gilt als ausgemacht: Nation – auch wenn sie bisher Heimstatt war von Rechtsstaat und Sozialstaat und Demokratie – ist ein Begriff von weit rechts. Könnte es sein, dass Rau, der Schweizer Schwadroneur, seine revolutionäre Tat ins Werk gesetzt hat, ohne jeden Gedanken an einen Vordenker, der die globale Grenzenlosigkeit bereits Jahrzehnte früher predigte und pries, sozusagen avant la lettre der Linken: der neoliberale Religionsstifter und Demokratieverächter Friedrich August von Hayek?

In einer Lehrschrift plädierte der Säulenheilige des Neoliberalismus 1938 für eine „Hegemonie der Marktgerechtigkeit über die soziale Gerechtigkeit“ und schwärmte: „Wenn erst einmal die Grenzen geöffnet sind und Bewegungsfreiheit gesichert ist, verlieren alle nationalen Organisationen dieser Art, ob Gewerkschaften, Kartelle oder Berufsverbände, ihre monopolistische Stellung und ihre Fähigkeit, qua nationale Organisationen das Angebot ihrer Dienstleistungen oder Produkte zu kontrollieren.“

Im Klartext: Schluss mit der Nation gleich Schluss mit dem Sozialstaat. Nach von Hayeks Kanon eine ausgemachte Sache: „Sogar Gesetze zur Begrenzung der Arbeitszeit oder eine Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit oder Schutz irgendeiner anderen Annehmlichkeit wird in armen und reichen Regionen in unterschiedlichem Licht gesehen werden und könnte in den Ersteren sogar gerade denjenigen schaden und ihren heftigen Widerstand hervorrufen (gegen jene), die derartige Maßnahmen in den reichen Regionen fordern und von ihnen profitieren.“

Neoliberale Claqueure

Totaler Arbeitsmarkt! Von Hayek frohlockte: „Sogar die gesetzliche Beschränkung der Kinderarbeit oder die Regulierung der Arbeitszeit werden den Einzelstaaten schwerfallen.“ Grenzenlosigkeit – eine linke Utopie? Grenzenlosigkeit – das neoliberale Paradies, das den Sozialstaat endlich schleift, endlich niedertrampelt durch das va-et-vient vaterlandsbefreiter Völkerschaften. Das soziale Netz setzt Grenzen und schafft Sicherheit, also Freiheit, denn es begrenzt den Zugriff der Marktmächte auf den Menschen – durch Gesetze, welche die Staatsbürger sich selber geben. So wird der Staat zum Sozialstaat, in dem die Arbeiterbewegung ihren eigenen sozialen Raum geschaffen hat: die Nation.

Diese ganz konkret erfahrbare Demokratiewelt soll, so will es der revolutionäre Wille wilder linker Weltendenker und Weltenlenker, aufgehen in einer „Europäischen Republik“, laut dem helvetischen Theaterluftikus Rau sogar in einem demokratischen Welt-Groß-Raum? Er wäre bevölkert von politisch Unbehausten! Linkes Denken dieser Zeit: von der Romantik über den Idealismus zum Moralismus – „Demokratie für alle und alles“, wie Milo Rau schwärmt. Und gebührenden Ernst dekretiert: „Wir machen hier kein Theater.“ Kein Theater? In der ersten Reihe sitzen bereits hoffnungsfroh die neoliberalen Claqueure.

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.












 

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