Nach Anschlag in Kabul - Die Vermarktung von Sicherheit

Der Anschlag in Kabul hat wieder einmal verdeutlicht: Sichere Orte gibt es in Afghanistan nicht. Dennoch will die Bundesregierung weiter in das Land abschieben. Es ist nicht der einzige Fall, der die deutsche Einwanderungspolitik als chaotisch und zynisch entlarvt

Krater vor deutscher Botschaft in Kabul: ein sicherer Ort? / picture alliance
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Dass Afghanistan ein sicheres Land sei, davon will selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizère nicht sprechen. Aber es gebe immerhin sichere Orte, hatte er noch im Februar in den Tagesthemen gesagt. Und auch damit gerechtfertigt, dass die Bundesregierung Menschen nach Afghanistan abschiebt. Also nehmen wir den Bundesinnenminister beim Wort. Das diplomatische Viertel in Kabul ist der am besten bewachte Teil der am besten bewachten Stadt Afghanistans. Man kann die Gebäude vor lauter Stacheldraht und Mauern von außen kaum erkennen, um zu ihnen gelangen, muss man eine schier endlose Anzahl von Checkpoints passieren. Dennoch war es möglich, dass genau dort ein Anschlag mehr als 90 Menschen in den Tod riss. Wenn man an diesem Ort schon nicht sicher ist, wo bitte soll man es sonst sein in Afghanistan?

Einwanderungspolitik chaotisch und zynisch

Tatsächlich offenbart der grausame Anschlag in Kabul einmal mehr, wie absurd das Chaos in der deutschen Einwanderungspolitik ist. Und wie zynisch. Zuerst lässt man Hunderttausende Menschen herein ins Land, ohne sie sich vorher genau angeschaut zu haben. Wie der groteske Fall Franco A. gezeigt hat, war es sogar möglich, als syrischer Flüchtling anerkannt zu werden, wenn man kein Wort Arabisch spricht. Schon vorher hatte sich der Wind gedreht im Land. Die anfangs willkommensbegeisterten Deutschen wollen nun Härte bei der Terrorismusbekämpfung sehen und, damit einhergehend, bei der Abschiebung.

Doch die Maßnahmen, die der Staat ergreift, sind willkürlich und ineffizient. Statt die wahren Probleme anzugehen, setzt man auf Aktionismus. Wie das im Fall der konkreten Terrorismusbekämpfung aussieht, hat der Journalist Sascha Lobo in einer bemerkenswerten Recherche dargelegt.

Das erschreckende Ergebnis: Seit 2014 verübten insgesamt 24 identifizierte Täter 13 islamistische Mordanschläge in der EU – und alle Attentäter waren zuvor den Behörden bekannt und gewaltaffin. Das ganze Ausmaß wird einem klar, wenn man sich noch einmal die Vorgeschichte des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri vor Augen führt, wie es Lobo tut.

Fall Amri verdeutlicht Schwächen

Nachdem Amri in Italien wegen Körperverletzung und Brandstiftung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war, kündigte er während der Haft Gewalt gegen Andersgläubige an. Danach überwachte ihn der italienische Geheimdienst. Als er nach Deutschland kam, galt er bei den Behörden als Teil eines Islamistennetzwerks, er wurde sechs Monate lang abgehört und vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen als Gefährder eingestuft.

Amri erzählte einem V-Mann von seinen Anschlagsplänen. Er stand auf einer No-fly-Liste der USA. Der marokkanische Geheimdienst warnte die deutschen Behörden vor ihm. Und gegen Amri wurde wegen zahlreicher anderer Vergehen ermittelt. Dennoch wurde er nicht abgeschoben und konnte so lange frei herumlaufen, bis er den Anschlag am Breitscheidplatz verübte. Was muss man sich eigentlich zuschulde kommen lassen, damit die Behörden eingreifen und so ihrer Aufgabe gerecht werden, Verbrechen zu verhindern und Menschenleben zu retten?

Das Gefühl zählt

Stattdessen setzt der Staat im „Kampf gegen den Terror“ darauf, mit der Vorratsdatenspeicherung die Grundrechte aller Bürger abzubauen, auch wenn natürlich 99,9 Prozent der so gewonnenen Daten völlig irrelevant sind. Und er schiebt Menschen nach Afghanistan ab, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie dort Opfer eines Anschlags werden, größer ist als in fast jedem anderen Land. Warum tut er das? Die Antwort ist in beiden Fällen die selbe: Weil der Staat so zumindest das Gefühl vermitteln kann, dass er was tut.

Und weil die meisten Bürger nichts zu verheimlichen haben, akzeptieren sie, wenn auch manchmal etwas grummelig, in der Regel den Ausbau der staatlichen Überwachung. Wer will schon auf seine Persönlichkeitsrechte pochen, wenn es angeblich um die Verhinderung terroristischer Anschläge geht? Afghanistan wiederum ist gezwungen, die deutschen Abschiebungen zu akzeptieren.Tunesien, Algerien und Marokko – die Länder, aus denen die meisten Straftäter unter den Asylbewerbern stammen – weigern sich unterdessen, diese zurückzunehmen. Obwohl es zum Beispiel mit Algerien ein Rücknahmeabkommen gibt, das rechtlich seit mehr als zehn Jahren in Kraft ist. Deutschland hat jedoch kaum Sanktionsmittel, mit denen es auf diese Länder Druck ausüben kann. Außerdem ist man auf sie angewiesen, damit sie in der Region immerhin für ein bisschen Stabilität sorgen, sodass nicht noch mehr Flüchtlinge aus Afrika nach Europa kommen.

Afghanistan hingegen ist abhängig von Entwicklungshilfe, auch von der deutschen. Präsident Ashraf Ghani hält das Land mehr oder weniger mit Alleskleber und Heftklammern zusammen, damit es nicht ganz auseinanderfliegt. Deswegen ist er mit de EU im Februar einen Deal eingegangen: Die Regierung in Kabul garantiert die Rücknahme der abgelehnten Asylbewerber und erhält dafür bis Ende 2020 pro Jahr rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die Unterschrift war gerade getrocknet, da kam es schon zur ersten Sammelabschiebung aus Deutschland.

Niemand kontrolliert die Regierung

Das Problem ist, dass beim Thema Sicherheit in Deutschland niemand dem Bundesinnenminister und Kanzlerin Angela Merkel ernsthaft auf die Finger schaut. Die SPD hat das Thema verschlafen und auch im Wahlkampf lieber auf den sozialdemokratischen Gassenhauer Soziale Gerechtigkeit gesetzt. Die eiligst hinzugefügten Programmkorrekturen sind nicht durchdacht und kaum glaubhaft. Die Linke und die Grünen konnten sich bisher nicht durchringen, die Urlaubsländer Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer einzustufen. In Bundesländern, in denen sie mitregieren, blockieren sie den Datenaustausch unter den Polizeibehörden und erschweren jegliche Abschiebungen. FDP und AfD versuchen beide, mit dem Thema Innere Sicherheit im Wahlkampf zu punkten, aber sie sind (noch) nicht im Bundestag vertreten und verfügen deshalb nicht über wirksame parlamentarische Instrumente. So bleibt die Debatte vor allem unionsintern, wird aber, mitten im Wahlkampf, kaum noch hörbar geführt.

Keine Frage: Der Kampf gegen den Terror ist unendlich kompliziert und schwierig. Auch sollte man den Behörden zugestehen, dass viele Gräueltaten verhindert werden, ohne dass wir es mitbekommen. Man hofft es jedenfalls. Denn der Eindruck drängt sich auf, dass der Staat hauptsächlich nach dem englischen Prinzip „making it up as we go along“ verfährt. Statt um echte Sicherheit geht es um die Vermarktung einer gefühlten Sicherheit. Das aber hat den Menschen in Berlin, in Manchester und in Kabul nicht geholfen. 

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