Corona-Gipfel - Lockdown mit Frühjahrsanstrich

Die Ministerpräsidentenkonferenz hat kaum konkrete Erleichterungen für die Bürgerinnen und Bürger gebracht. Ein wenig großzügigere Begegnungen im Freundeskreis, ein paar geöffnete Blumenläden: Das war es im Wesentlichen. Merkel bleibt stur. Und der Souverän sollte es ihr gleichtun.

Michael Müller und Angela Merkel zu Beginn des Bund-Länder-Treffens / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Um es vorwegzuschicken: Es gibt Menschen in diesem Land, die müssen sich seit nunmehr gut einem Jahr wie ehedem der römische Staatsmann und Schriftsteller Marcus Porcius Cato fühlen. Der soll bekanntermaßen vor Ausbruch des Dritten Punischen Krieges jede seiner öffentlichen Reden im Senat mit den immer gleichen Worten beendet haben: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.“ Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss. Zeitgenossen dürfte der unnachgiebige Mann mit dieser hypnotischen Technik wie eine Nervensäge vorgekommen sein. Denn egal, ob es um Reden zum Haushalt, zur Bildung oder zur Rüstung ging: Immer folgte bei Cato dieses „Ceterum censeo …“, immer hörte man die gleiche Leier.

Das mag nerven. Doch es gibt Situationen, in denen ist Beharrlichkeit das wichtigste Mittel in der Politik. Niemand weiß das vielleicht besser als Angela Merkel, die Kanzlerin, deren Macht seit nunmehr 16 Jahren auf drei bewährten Säulen ruht: Ausharren. Schweigen. Abwarten. Und das in einer immerwährenden Kreisbewegung. Da capo al fine. Im Idealfall ist der politische Gegner bereits nach wenigen Runden müde gedreht. Und dann, am Nullpunkt seiner Spannkraft und Abwehr, fährt Merkel zur wahren Größe auf. Denn das Management des Merkelismus, so hat es der Kulturtheoretiker Georg Seßlen einmal formuliert, fußt auf dem „Prinzip des aggressiven Nicht-Handelns“, und das betreibt die stoische Uckermärkerin solange, bis sie den Vorteil aus dem Nicht-Handeln als eigenes Handeln verkaufen kann.

Der Trotz der Kanzlerin

Man mag diese längst legendäre Technik des Einsäuselns für perfide halten, und zum Glück hat sie die Kanzlerin bis vor einem Jahr nahezu ausschließlich am politischen Gegner vollführt. Wer hätte sich nicht dann und wann auch mal im Zustand heimlicher Freude wiedergefunden, wenn links und rechts der politischen Bühne die Recken fielen, während Merkel in einer Art meditativen Ruhe erhaben und schier unantastbar über dem Berliner Schlachtfeld thronte.

Doch dann kam der 28. März 2020, jener Tag, an dem der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellte. Seither scheint die Kanzlerin einen neuen, ja einen vielleicht letzten Gegner mit in ihre Strategie hineinziehen zu wollen: Es ist der Bürger selbst, dem nun Trotz und Starrheit der Kanzlerin gilt – und das solange, bis er müde ist. Denn seien wir ehrlich: Wer fühlte sich nach 120 Tagen Lockdown nicht längst auch schlaff und abgespannt. Das ewige Cocooning in den eigenen Wänden, die Ereignislosigkeit des Daseins, das paternalistische Rumgefummel der Politik: All das hat die Seele des Souveräns wund und schläfrig werden lassen. 

Der republikanische Rumpf

Hinzu kommt immer mehr des tagtäglichen Wahnsinns: Impfchaos, Test-Verzögerungen, ein angezählter Gesundheitsminister, ein Fraktions-Vize unter Korruptionsverdacht, bewusste Spielereien mit Expertisen, drohende Massenpleiten bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Lage scheint schier uferlos zu sein, und fast möchte man seine Bürgerrechte schon freiwillig an der Garderobe abgeben, wenn dann nur endlich Ruhe wäre.

Doch dann ist da dieser republikanische Rumpf, dieser Rest einer ehemals gelebten Demokratie: Alle vier Wochen schaut der Bürger nun gebannt auf den heimischen Fernseher und hofft darauf, dass nach Abschluss einer weiteren Ministerpräsidentenkonferenz doch noch weißer Rauch aus dem Kanzleramt aufsteigen mag. 

Ausharren, schweigen, abwarten

Und just am Mittwoch war es wieder soweit. Umrahmt von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) und dem Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) verkündete die Kanzlerin nach achtstündigen Beratungen das, was ohnehin zu erwarten und was zuvor bereits in die Öffentlichkeit durchgedrungen war: Der Lockdown geht weiter, bekommt aber einen hoffnungsvollen Frühjahrsanstrich. „Der Frühling 2021 wird anders sein als der Frühling 2020“, so Merkel, die anschließend tatsächlich eine kleine Perspektive für Öffnungen vorlegte. Die aber ähnelte eher dem Regelwerk eines kaum durchschaubaren Familienspiels, als dass sie den Menschen und der Wirtschaft wirklich konkrete Hoffnungen auf Besserung machten. 

Immerhin, vom 8. März an können Blumenläden, Buchhandlungen und Fahrschulen wieder öffnen. Auch Zusammenkünfte zweier Haushalte bis zu fünf Personen sind wieder erlaubt – das aber nur, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner die Zahl 100 nicht überschreitet. Andernfalls wird nach bereits drei Tagen die Freiheit wieder rückabgewickelt. Alle weiteren Öffnungen richten sich dann nach einem komplexen Zusammenspiel aus Zeit- und Inzidenzwerten, deren Kombinationsmöglichkeiten einen ganzen DIN-A4-Bogen füllen und die aller Voraussicht nach ab spätestens Ende März zu einem unüberschaubaren Chaos führen werden. 

Das märkische Kaltblut

Eine Fata Morgana sei das, meinte denn auch schon vor der Sitzung FDP-Parteichef Christian Lindner. Man könne als Bürger die Öffnungen sehen, könne sie aber letztlich nicht erreichen. Und längst ist es nicht mehr nur die Opposition, die mit solch barschen Worten gegen Merkels Corona-Linie Stimmung macht. Ministerpräsidenten aus der eigenen Partei – darunter besonders Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet – haben sich schon im Vorfeld immer deutlicher von Merkel und ihrem Gesundheitsminister abgesetzt.

Es hilft also nichts: Wenn die Kanzlerin dennoch wie ein märkisches Kaltblut zur nächsten Runde in ihrer schier unendlichen Meditationsmühle ansetzt und der Bürger für weitere Wochen auf viele seiner angestammten Rechte verzichten soll, so muss wohl auch der Souverän weiterhin die alte Platte spielen: „Ceterum censeo …“. Was sonst bliebe an demokratischen Gepflogenheiten übrig in einem Land, in dem nun unzählige Freiberufler vor dem Ruin stehen, Unternehmer in die Insolvenz getrieben werden und leichtfertig mit der psychischen Gesundheit breiter Bevölkerungsschichten gespielt wird. 

Das Heiligste der Demokratie

Dann ist da nur noch der Widerhall des alten Cato – und das nicht, weil man es in jedem Punkt besser wüsste oder weil Corona nur ein Schnupfen wäre. Die Lage ist weiterhin bitterernst. Dies aber längst nicht nur auf dem Feld der Gesundheit, sondern bei dem Heiligsten, was Demokratie und Rechtsstaat aufzubieten haben: den Abwehrrechten der einzelnen Bürger. Denn Grundrechte, so hat es Heribert Prantl jüngst formuliert, sind das „Schönste und Beste und Wichtigste, was wir in unserem Staat haben“. Man sollte sie nicht länger beschränken, um so vermeintlich eine pandemische Lage in den Griff zu bekommen. Und das schon gar nicht, wenn die Regierung mit diesem kostbaren Pfand nichts anzufangen weiß.

Übrigens: Karthago ist im Dritten Punischen Krieg tatsächlich zerstört worden. Störrische Wiederholung zahlt sich vielleicht doch irgendwann aus.

Und im Übrigen ist der Kommentator der Meinung, dass jetzt kontrolliert, aber unverzüglich geöffnet werden muss.

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