Rettungsaktion für Flüchtlinge aus Griechenland - Migrationspolitik ist keine Sache der Kommunen

Immer mehr Kommunen wollen auf eigene Faust Flüchtlinge und Migranten aus dem überfüllten Lager Moria. holen. Damit fallen sie jedoch nicht nur dem Bundesinnenminister in den Rücken, der für Migration zuständig ist. Sie gefährden auch die Existenz der EU.

Auf dem Weg in ein besseres Leben: Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Nach einer aktuellen und repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sehen 21 Prozent der Europäer die Migration als Bedrohung für die nationale Sicherheit an. 64 Prozent der Griechen sehen das so, in Deutschland sind 24 Prozent dieser Meinung. Diese Zahl mag absolut nicht groß erscheinen. Das Thema rangiert damit aber auf Platz eins der Sorgen der europäischen Bevölkerung, gefolgt vom Klimawandel mit 17 Prozent.

Nicht nur dieser Befund macht die Dringlichkeit deutlich, dass die Europäische Union in dieser Frage endlich zu einem einheitlichen Ansatz kommen muss. Mit einigem Ach und viel Krach haben sich die Staats- und Regierungschefs beim vergangenen Gipfel auf eine gemeinsame, hunderte Milliarden Euro schwere Verschuldung für die Finanzlöcher geeinigt, die das Virus reißt. Wenn sie beim Umgang mit Migration nicht zu einer gemeinsamen Politik kommt, dann droht der Bruch an dieser Stelle in mindestens dem Maß, wie das bei den Corona-Bonds der Fall war.

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Der Riss in der Asylpolitik   

Deutschland hat die Europäische Union mit seiner Flüchtlingspolitik 2015 tief gespalten, und an diesem Riss hat sich seither nichts geändert. Es ist daher richtig und höchste Zeit, dass sich Bundesinnenminister Horst Seehofer bisher ebenso beharrlich wie vergeblich darum bemüht, diesen Riss mit einem gemeinsamen Konzept einer abgestimmten Asyl- und Migrationspolitik zu überwinden. Es ist deshalb falsch, wenn ihm die Kommunen aktuell in den Rücken fallen und eine kommunale Flüchtlingspolitik betreiben wollen, indem sie Migranten aus dem überfüllten Lager in Moria und anderswo direkt in ihre Gebietskörperschaften holen wollen. So menschlich nachvollziehbar dieser Reflex der Hilfe ist: Er bleibt politisch ebenso falsch wie die private Seenotrettung. 

Die Europäische Union ist nach dem Prinzip der Subsidiarität aufgebaut. Das heißt, jedes Thema ist nach Möglichkeit so tief wie möglich in der Struktur von der EU über die Länder und die Bundesländer (oder ihrer jeweiligen Entsprechung) bis hin zu den Kommunen organisiert und aufgehängt. Und das Thema Migration hängt nicht nur in der Wahrnehmung der Bevölkerung sehr hoch beziehungsweise ganz oben. Es gehört auch in der Zuständigkeit ganz nach oben. Auf die Ebene der Europäischen Union. 

Zerbricht die EU an der Migration?  

Konkret: Es kann nicht sein, dass einzelne Schiffe von Kirchen, Privatpersonen oder nichtstaatlichen Organisationen auf dem Mittelmeer kreuzen und hoheitliche Aufgaben wie Küstenwache und Seenotrettung übernehmen, beziehungsweise konterkarieren. Ebenso wenig kann es sein, dass einzelne Bundesländer oder Kommunen eine europäische Lösung unterlaufen, indem sie einfach die Regie übernehmen. Nicht der Schultes von Kleinkleckersheim und auch nicht der Innensenator von Berlin machen in Europa Migrationspolitik, sondern der Europäische Rat, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und in der Billigung am Ende die nationalen Parlamente. Genauso wie bei der 750 Milliarden Euro schweren gemeinsamen Corona-Schuldenaufnahme auch. 

Das kann noch dauern. Und das ist angesichts des offensichtlichen Leids in den Lagern schwer auszuhalten. Die Sache als Bürgermeister einfach selbst in die Hand zu nehmen, verkürzt vielleicht das Leid Einzelner. Es erschwert aber die Suche nach einer europäischen Lösung. Es kann sie am Ende vielleicht sogar noch unmöglicher machen, als sie es nach dem ersten deutschen Sonderweg ohnehin schon ist. Auch eine Akuthilfe für die Flüchtlinge in den Lagern muss daher europäisch konzertiert werden. Wer das nicht einsieht, der gefährdet die Existenz des Bündnisses. Denn an der Migration kann die EU zerbrechen. Das Zerbröseln hat mit dem Austritt Großbritanniens schon begonnen, auch da hat Migration eine erhebliche Rolle gespielt, weil das Referendum in die Zeit von 2015 fiel. 

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