Michael Kretschmer - „Die Lebensleistung der Sachsen wird in den Schmutz gezogen“

Nach dem Rücktritt von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich soll Generalsekretär Michael Kretschmer dessen Nachfolger werden. Im Dezember des vergangenen Jahres sprach er im „Cicero“ über das schlechte Image seines Landes, die AfD und grüne Kröten

„Während die Forderungen der AfD populistisch sind, sind die der Grünen elitär“ / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Herr Kretschmer, was ist eigentlich los in Sachsen?
Sachsen ist ein wunderbares Land mit freundlichen Menschen. Der Aufbau nach 1990 war hart, aber erfolgreich, Sachsen hat das beste Bildungssystem und eine solide wirtschaftliche Entwicklung.

Kritiker sprechen von einem failed state, von einem gescheiterten Staat. 
Das ist Unsinn. Anders kann man es nicht sagen. Wo gearbeitet wird, werden Fehler gemacht. Die Art und Weise der aktuellen Kritik haben allerdings jedes Maß verloren. So zieht man die Lebensleistung der Sachsen in den Schmutz und bewirkt statt einer kritischen Auseinandersetzung das Gegenteil. 

Was ist in Sachsen denn schiefgegangen?
Es gab rechtsextreme Vorfälle, zu denen man ganz klar Stellung beziehen muss. Die Pfiffe am Tag der Deutschen Einheit haben ein schlechtes Bild vermittelt, auch wenn es insgesamt ein gelungener Nationalfeiertag war. Wir sehen, dass die Menschen in ganz Deutschland aufgewühlt sind. Die Asylpolitik, ihr Gelingen und ihr Scheitern, bewegt alle. 

Es gibt in Sachsen mehr Gewalt gegen Ausländer. Woher kommt das?
Es gibt Straftaten in ganz Deutschland und wer das Recht bricht, gegen den muss der Staat mit aller Härte vorgehen. Aber die Täter sind doch nicht die Deutschen oder die Sachsen. Es sind einzelne Personen, die nicht für die Allgemeinheit stehen. 

Trotzdem hat man den Eindruck, die Sachsen ticken irgendwie anders.
Das bezweifle ich. Viele Journalisten blicken von außen auf Sachsen und schreiben darüber, ohne das Land und die Menschen zu kennen. Hinzu kommt, dass über die sozialen Netzwerke immer wieder Nachrichten verbreitet werden, die keinen substanziellen Kern haben.

Sind jetzt wieder die Medien schuld?
Es mag schon sein, dass die Sachsen einen anderen Zugang zum Thema Einwanderung haben. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass es Parallelgesellschaften wie in Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh nicht gibt. Und wir wollen die auch nicht haben. Aber es kursieren über die Sachsen und über die Ostdeutschen auch viele Klischees. Die Ossis seien demokratieunerfahren, vielleicht auch ein bisschen dumm und kennen ja keine Ausländer. 

Der Ausländeranteil in der Bevölkerung ist deutlich niedriger.
Aber es stimmt einfach nicht, dass die Ostdeutschen keine Erfahrung mit Ausländern haben. Schon in der DDR haben sie mit Kubanern, Vietnamesen oder Mosambikanern zusammengelebt. Aber sie haben dort auch erlebt, dass der Staat im Fall von Kriminalität ganz konsequent gehandelt hat. Die Leute wurden zügig in ihre Heimatländer zurückgeführt. 

Sie können doch nicht eine Diktatur mit dem heutigen Rechtsstaat vergleichen. 
Das will ich auch gar nicht. Aber die These, dass DDR-Bürger keinen Kontakt zu Ausländern hatten, ist schlicht und einfach falsch. Es gab viele Begegnungen, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in Diskotheken. Und es gab auch Auseinandersetzungen. Die DDR ist sicherlich anders mit Gastarbeitern umgegangen als die Bundesrepublik. Aber Straftaten wurden ganz konsequent geahndet, und heute haben die Leute das Gefühl, dass das Recht nicht mehr durchgesetzt wird.

Sie haben einmal gesagt, Sachsen sei ein Seismograf für die Stimmung in ganz Deutschland. Wofür ist Sachsen derzeit ein Seismograf?

Seit dem vergangenen Jahr kamen fast eine Million Menschen neu ins Land, und niemand hat die Deutschen gefragt, ob sie das richtig oder falsch finden. Jetzt zeigt sich, wie schwer es ist, diese Flüchtlinge in unserem Land zu integrieren. Dann erleben wir, dass in der Talkshow bei Anne Will eine Vollverschleierte sitzt und islamistische Propaganda verbreitet. Jetzt fragen sich viele Menschen, wollen wir das wirklich? Am meisten profitiert von dieser Stimmung die AfD. Warum gelingt es den etablierten Parteien nicht mehr, die AfD-Wähler zu erreichen? Die Leute haben Fragen und sie haben Ängste. Allzu häufig werden diese beiseite geschoben. Wir haben schon bei der Pegida-Bewegung in Dresden gesehen, was passiert, wenn man nicht miteinander redet, sondern nur übereinander. Die Linken haben alle Teilnehmer pauschal als Nazis tituliert. Wenn Menschen so stigmatisiert werden, darf man sich nicht wundern, wenn sie sich radikalisieren. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat dann das Gespräch gesucht, Bürgerforen initiiert. Danach sank die Zahl der Teilnehmer an den Pegida-Demonstrationen wieder.

Wie setzt man sich erfolgreich mit der AfD auseinander?
Zunächst einmal ist die AfD ein Sammelsurium aus allem Möglichen. Da passt nicht viel zusammen. Die reichen Adligen in der Partei wollen etwas ganz anderes als die Protestwähler, die von Hartz IV leben. Da werden die Fliehkräfte noch zunehmen. Und dann brauchen wir einen anderen Umgang mit den Themen Einwanderung und Asyl. Als in den neunziger Jahren die Republikaner erfolgreich waren, ist es gelungen, dass die großen Parteien gemeinsam vor die Bevölkerung getreten sind und gesagt haben, wir haben verstanden. Union und SPD haben damals das Asylrecht reformiert. Heute verweigern sich SPD und Grüne einer grundsätzlichen Lösung. Über Asylbewerber, Flüchtlinge und Migranten sprechen beide Parteien in einer romantisch verklärten Weise.

Noch regiert auch die Union dieses Land, noch stellt die CDU die Bundeskanzlerin. Muss dann nicht zuallererst auch Angela Merkel den Deutschen sagen, ich habe verstanden?
Wir werden daran gemessen, was wir umsetzen. Um Gesetze zu ändern, brauchen wir Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag. Schon im Bundestag haben wir diese oft nicht, weil die SPD sich verweigert. Im Bundesrat sperren sich die Grünen. Die Bundeskanzlerin hat sich immer um eine Lösung bemüht.

Zunächst hat die Bundeskanzlerin im vergangenen Jahr die Grenze geöffnet.
Sie hat auf eine unhaltbare humanitäre Situation reagiert. Aber es war weder ihr Ziel und auch nicht ihre Absicht, dass ungesteuert Hunderttausende Flüchtlinge ins Land kommen. Sicherlich hat es eine Weile gedauert, bis der Flüchtlingsstrom gestoppt wurde. Aber wenn man sich die Größe der Herausforderung anschaut und wenn man sieht, dass in der EU über Jahrzehnte große Fehler gemacht wurden, dann ging es doch vergleichsweise schnell. Wir müssen dafür sorgen, dass die Grenzen gesichert werden und dass wir die Menschen, die hier keine Bleibeperspektive haben, wieder zurückbringen können. 

Ist die Zusammenarbeit mit der AfD für Sie eine Option?
Für die AfD ist die CDU der Hauptgegner. Mit der Partei machen wir nichts gemeinsam. Für die Fragen, die die AfD aufwirft, bietet die Partei keine Lösungen. Die Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen muss die CDU geben. Denn auch von links kommt da nichts. 
Die CDU steht von rechts unter Druck und muss zugleich Wähler in der Mitte mobilisieren. Wie verhindern Sie, zerrieben zu werden?
Vieles lichtet sich, wenn wir einen vernünftigen Umgang mit dem Thema Asyl gefunden haben. Sie sehen ja, dass die Umfragewerte wieder steigen. 

Die Unzufriedenheit über die SPD ist in der Union groß. Wäre Schwarz-Grün für Sie eine Alternative? 
Ich weiß, in meiner Partei gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die wollen in Zukunft lieber mit den Grünen regieren. Denen sage ich: mal langsam. Wir mussten in der Großen Koalition viele Kröten schlucken, beim Mindestlohn, bei der Leiharbeit, bei der Rente. Demnächst werden uns die Grünen dann neue Kröten servieren. Beim Umweltschutz, in der Landwirtschaftspolitik. Ich bin kein Freund davon, jetzt in Schwarz-Grün das christdemokratische Heil zu suchen. Während die Forderungen der AfD populistisch sind, sind die der Grünen elitär.

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