Merkels Koalitionspartner - Tödliche Nähe

Noch immer ringen Union und SPD um eine Einigung in den Koalitionsverhandlungen. Die FDP tat gut daran, sich nicht wieder auf eine Regierungsbeteiligung unter Angela Merkel einzulassen. Doch SPD-Chef Martin Schulz hat keine andere Wahl

Angela Merkel umgeben von Sicherheitsleuten / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die SPD und die FDP sind zwei programmatisch recht konträre Parteien. Zugespitzt gesagt, sehen die Liberalen das Heil in der möglichst uneingeschränkt wirkenden unsichtbaren Hand des Marktes nach Adam Smith, während die SPD Adam Smith mit staatlichen Mitteln in den Arm fallen möchte, ihm die Hand führen möchte, weil in ihren Augen sonst der soziale Ausgleich auf der Strecke bleibt. 

In einem Punkt aber sind sich die Sozialdemokraten und die Freidemokraten nahe, ganz nahe, wie die vergangenen Woche und Monate seit der Bundestagswahl gezeigt haben: Sie beide sind bereits Koalitionspartner von Angela Merkel gewesen. Beiden ist infolgedessen eine politische Nahtod-Erfahrung gemeinsam. 

Der Merkel-Effekt

Christian Lindner, der Trümmermann der Liberalen der vergangenen gut vier Jahre, hat miterlebt, wie seine Partei von einem historischen Höchstergebnis nach vier Jahren an der Seite Merkels aus dem Bundestag gefallen ist. 

Und die Sozialdemokraten haben unter Sigmar Gabriel zwei Große Koalitionen mit der Kanzlerin bestritten, die sich für die Partei auch nicht gerade als Fitnessprogramm erwiesen haben. Generell geht der Bonus in einer Koalition immer mit dem Kanzler nach Hause. Bei Angela Merkel kommt aber eine Absorptionsgabe der Standpunkte und Themen des Koalitionspartner obendrauf, die diesen gleichermaßen unkenntlich wie unschädlich macht. 

Lindners „Nein“ und Schulz‘ „Ja“

Es ist daher kein Zufall, dass die einzige Partei, die sich seit der Bundestagswahl der Merkel-CDU als bereitwilliger Partner angedient hat, die Grünen sind. Sie haben diese Nahtod-Erfahrung der beiden anderen potenziellen Koalitionspartner noch nicht gemacht. Christian Lindner hat für die Liberalen die Lehre gezogen, dass es für deren Re-Etablierung im Parlament bekömmlicher ist, das Angebot auszuschlagen, auf einer der beiden Seiten die Schleppe Merkels zu tragen. 

Martin Schulz, der SPD-Chef, hat das intuitiv nach der Bundestagswahl im September auch so gesehen und wurde erst von Lindners Sidestep in die unangenehme Lage gebracht, der SPD ein Dasein in einer dritten Großen Koalition unter Merkel in Aussicht zu stellen. Warum Schulz entgegen anderer apodiktischer Festlegungen nun „Ja“ sagen will, wo Lindner „Nein“ gesagt hat? Weil es zu seiner persönlichen politischen Schicksalsfrage geworden ist. Lindner ist jung genug für eine Absage an Regierungsverantwortung, und er hat in der Partei weitgehenden Rückhalt für seinen Schritt in die Opposition. 

Der schicksalhafte Mitgliederentscheid

Schulz ist in einer ungleich schwächeren Position, es ist seine letzte Chance. Seine Hinwendung zu einer Großen Koalition ist die persönliche Flucht nach vorn. Im Unterschied zu Lindner liegt die letzte Entscheidung aber nicht in seinen Händen. Bei ihrem Parteiplebiszit entscheiden die Genossen daher nicht allein über die Große Koalition. Sondern auch über den Verbleib ihres Vorsitzenden im Amt.

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