Digitaler Bürgerdialog mit Eltern - Die Schmerzensmutter

Im Rahmen des Bürgerdialogs sprach Angela Merkel heute mit 14 Müttern und Vätern. Im Zentrum stand die angespannte Situation der Familien in der aktuellen Corona-Krise. Neben berechtigten Klagen gab es auch viel Verständnis für das Handeln der Regierung. Vor allem aber förderte der Dialog die realen Probleme der Menschen zutage.

/innenpolitik/merkel-buergerdialog-eltern-schule-corona
Anzeige

Autoreninfo

Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

So erreichen Sie Jens Nordalm:

Anzeige

In einer Folge von The Crown sitzt am 9. Juli 1982 der von diesem Tag an berühmte Londoner Arbeitslose Michael Fagan als Eindringling am Morgenbett der Queen im Buckingham Palace und erzählt ihr eindringlich von seinen Erfahrungen und seinen Sorgen und wie nach seiner Wahrnehmung dies Land unter Margaret Thatcher auseinanderbreche. Die Queen, nach anfänglicher Angst, wird ruhiger, hört zu, ermuntert den Mann zu reden – und fühlt mit und will ernsthaft etwas lernen. Fagan spürt das und schätzt seine Königin dafür. So schön war es in Wirklichkeit nicht – aber es ist eine wunderbare Szene. Das Bild eines gelingenden Gesprächs zwischen Staat und Bürger.

4. Februar 2021. Bald ein Jahr nun sind Schulen und Kitas geschlossen oder nicht wirklich offen. Die Bundeskanzlerin spricht in der Reihe ihrer „Bürgerdialoge“ mit Eltern, unter Mithilfe von Familienverbänden sorgfältig ausgewählt aus den verschiedensten Lebenslagen und Regionen. Viel kritisiert ist das oft zahme Format – aber warum ausschließen, dass es irgendwie hilft.

Familien leisten Außergewöhnliches

Jede Mutter, jeder Vater, jede Familie in diesem Land leistet seit vielen Monaten Außergewöhnliches. Das muss man nicht mehr näher ausführen. Inzwischen geraten die Folgen der Situation für die Kinder mehr und mehr in den sorgenvollen Blick von Lehrern, Ärzten und Psychologen. Also keine Frage: Das Gespräch muss sein – man hofft trotzdem, die Kanzlerin hatte schon vorher Gelegenheit, sich die Situation von Eltern anzuhören. Bemerkenswert ist jedenfalls, wie leidensfähig Eltern und Familien bisher sind. Die große Wut findet eher woanders statt.

 

 

Das ist auch der Eindruck in diesem Gespräch. 14 Mütter und Väter erzählen, virtuell, von ihren Erfahrungen. Alle sind angestrengt, entnervt, auch verzweifelt, wie zu erwarten. Es sind eindringliche Schilderungen aus dem Alltag einer großen Überforderung. Es gibt Kritik an einem Lehrermangel, der jetzt Wechselunterricht erschwere, und am Stand der Digitalisierung im Land. Es gibt die Sorge um den 13-Jährigen, für den die Regeln von Sonderurlaub, Notbetreuung oder Kinderkrankentagen nicht gelten und der zu sehr auf sich allein gestellt ist. Es gibt die Forderung, aus der Leistung der Familien müsse nach der Pandemie auch ein neuer Stellenwert der Familie folgen, oder den dramatischen Bericht einer Sozialpädagogin unter den Müttern, wie schlimm die Lage von Kindern analphabetischer oder sprachlich überforderter Eltern sei. Über die digitale Erreichbarkeit existierender mehrsprachiger Informationsangebote will die Kanzlerin mit der Familienministerin sprechen.

Gegenseitige Hochachtung

Wichtig sind der Kanzlerin, auch in ihrem jüngsten Podcast zum Thema, die neuen materiellen Hilfen für die Familien in dieser Situation. Aber den Kinderbonus von 150 Euro als einmaligen Zuschlag auf das Kindergeld in diesem Jahr findet man in der Runde einhellig einen Tropfen auf den heißen Stein. Die Kanzlerin will auch über die besondere Lage der Alleinerziehenden hier, die sich diesen Bonus noch mit dem nicht erziehenden Elternteil teilen müssen, noch einmal mit der Familienministerin reden.

Ansonsten auch Hochachtung. Hochachtung und Respekt für die Arbeit der Kanzlerin – siehe erstaunliche Leidensfähigkeit der Eltern und fehlende Wut. Und Hochachtung der Kanzlerin vor der Leistung der Familien in der Pandemie. Merkel versteht, fragt detailliert nach, denkt konkrete Lösungen an, bedauert und leidet mit. Und beteuert, natürlich wolle man so schnell wie möglich aus dieser Lage heraus. Kitas und Grundschulen werde man zuerst wieder öffnen. Dass sich Kinder selbst als „Corona-Generation“ zu beschreiben begännen, das sei nicht gut. Aber man dürfe nicht zu früh öffnen. Zuerst müssten die Fallzahlen gesenkt werden. Und die Mutationen machen Sorgen.

Das Limit ist erreicht

Die Kanzlerin tut an einer Stelle das, was man selbst auch schon getan hat, wenn einem andere Eltern dann doch zu viel klagten. Dann hat man gestanden, dass man tatsächlich auch dankbar sei für diesen Zwang, so viel Lern-Zeit mit dem eigenen Sohn zu verbringen. Merkel will etwas Ähnliches von den Eltern hören. Die geben das zu. Aber jetzt werde es zu viel. In der Tat.

Ein Gefühl am Ende wie zwischen Michael Fagan und der Queen? Vielleicht insofern, als beide Seiten in beiden Fällen im Tiefsten wissen, dass die Queen sowenig die Amtszeit der Premierministerin wie die Kanzlerin die Pandemie beenden kann.

Anzeige