FDP zu Maut-Ausschuss - „Ein Torpedo auf das Schiff CSU“

Nach den Maut-Betreibern musste sich Verkehrsminister Scheuer vergangene Nacht dem U-Ausschuss stellen. Die Bilanz am nächsten Morgen: Aussage gegen Aussage. Christian Jung, Obmann der FDP im Ausschuss, hofft auf investigative Journalisten – und fordert ein Kreuzverhör.

Soll sich im Untersuchungsausschuss für die Maut-Affäre verantworten: Verkehrsminister Scheuer / dpa
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Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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Der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Christian Jung koordiniert als FDP-Obmann im Maut-Untersuchungsausschuss die Aufklärungsarbeit der Opposition.

Herr Jung, gestern Abend war Andreas Scheuer mit seiner Aussage im Maut-Untersuchungsausschuss an der Reihe. Wie lang war die Nacht? 

Der Ausschuss ging bis 04:20 Uhr. Ich hatte eine Stunde Schlaf, aber mir geht es gut. 

Bevor wir zu der Aussage Scheuers kommen: Auch die Manager der ursprünglich vorgesehenen Maut-Betreiber waren gestern als Zeugen geladen. Auch die haben einen Ruf zu verlieren, weil Scheuer ihnen wegen Schlechtleistung gekündigt hat. Was war da der Tenor? 

Die haben unisono gesagt, dass dem Minister angeboten worden sei, dass man das EuGH-Urteil abwartet und danach erst die Verträge unterschreibt. Das wollte aber Bundesminister Scheuer damals nicht, so die Betreiber, weil er ja unbedingt zum 1. Oktober 2020, also eigentlich zum gestrigen Tag, die Maut beginnen wollte. Er hätte immer gesagt, er wolle das nicht in einem Wahljahr machen, damit die Menschen noch eine Gewöhnungszeit haben.  

Für wie glaubwürdig halten Sie die Aussagen der Maut-Betreiber? 

Ehrlich gesagt halte ich die Aussagen für sehr glaubwürdig, weil das Persönlichkeiten sind, die seit vielen Jahrzehnten erfolgreich in der Wirtschaft tätig sind und eine sehr große Reputation haben. Das waren unter anderem zwei CEOs von börsennotierten Unternehmen, ich kann mir nicht vorstellen, dass die die Unwahrheit sagen. Das hätte sofort Auswirkungen auf ihren Aktienkurs. Die wären schlecht beraten, wenn sie jetzt ihr Lebenswerk, ihre Reputation und den Firmenwert wegen Andreas Scheuer zerstören würden. 

Und was hat Scheuer ausgesagt? Die Befragung hat sich dann ja doch sehr in die Länge gezogen.

Es steht jetzt Aussage gegen Aussage. Der Minister und der Toll Collect Chef, Gerhard Schulz, der Staatssekretär war und damit direkt abhängig von Minister Scheuer, haben natürlich genau das Gegenteil gesagt. Bundesminister Scheuer hat sich immer wieder in Widersprüche verwickelt und plötzlich Gedächtnislücken gehabt, genauso wie Herr Schulz. Deshalb wollen wir nächste Woche ein Kreuzverhör beantragen. 

So ein Kreuzverhör gab es in einem Untersuchungsausschuss noch nie. Was erhoffen Sie sich von einer solchen Befragung? 

Wenn die Betreiber und Bundesminister Scheuer gegenübergestellt werden und im Kreuzverhör Fragen beantworten müssen, kann man durch die sogenannte Inaugenscheinnahme erkennen, wer die Wahrheit gesagt haben könnte.

Scheuer bekräftigt, nach seiner Erinnerung habe es kein Angebot zur Verschiebung gegeben. Warum muss sich der U-Ausschuss auf das Gedächtnis der Zeugen verlassen? Gibt es kein schriftliches Protokoll besagter Treffen?

Das ist das, was wir merkwürdig finden. Wenn sie einen Termin bei einem Minister ausmachen, dann wird das alles vorbereitet, dann steht das im Terminkalender drin und es gibt zu jedem Treffen infolgedessen Protokolle. Aber zu den entscheidenden Treffen, die für uns interessant waren und zu fünf weiteren Treffen gibt es keine Protokolle.

Christian Jung (FDP)

Kurzfristig wurde noch „Mr. Maut“, Gerhard Schulz, als Zeuge geladen. Zu welchen Erkenntnissen führte dessen Befragung?

Bei Staatssekretär Dr. Schulz war es sehr interessant, die verschiedenen Sphären der Erinnerung zu bewundern. Er hatte zum Beispiel bei Dingen, die man sich eigentlich einfach merken kann, Erinnerungslücken und bei sehr komplizierten Details konnte er sich plötzlich erinnern. Das war schon sehr interessant zu beobachten. 

Was waren das für Details?

Dinge aus seinem früheren Tätigkeitsbereich im BMVI. Daraus hat er viel erzählen können. Aber als es um die persönlichen Gespräche ging, hatte er plötzlich Erinnerungslücken. 

Haben die Aussagen von Schulz Scheuers Glaubwürdigkeit beeinflusst?

Herr Schulz hat nicht dazu beigetragen, dass Bundesminister Scheuer entlastet wurde. Aus dem angedachten Entlastungszeugen wurde wegen dieser Erinnerungslücken eigentlich ein Belastungszeuge oder zumindest ein Zeuge, der ziemlich viele Fragezeichen hinterlassen hat.

Was hat sich die CSU Ihrer Meinung nach davon erhofft, Schulz so kurzfristig als Zeugen zu laden?

Die CSU wollte diesen Zeugen unbedingt, sie hat sich damit aber mehr geschadet, als dass sie sich genützt hätte. Die haben natürlich versucht, abzulenken. Dadurch, dass wir alle Zeugen intensiv befragt haben, kam der Verkehrsminister aber erst um 23:30 Uhr dran. Und ehrlich gesagt, so eine Nachtbefragung, bei der dann auch die Konzentration nachlässt, ist keine gute Idee. Das hat man ab zwei Uhr auch beim Minister gemerkt. Er hat irgendwann auf Fragen geantwortet, die ihm gar nicht gestellt wurden.

Es steht jetzt Aussage gegen Aussage, es gibt keine schriftlichen Protokolle, keine handfesten Beweise – wie kann der U-Ausschuss so überhaupt noch zu einem Ergebnis kommen? 

Es gibt sehr viele Medien, die immer wieder, wie in den vergangenen Tagen geschehen, plötzlich Unterlagen vorliegen haben. Wir wundern uns manchmal, wie die dazu gekommen sind, aber Gott sei Dank haben wir die Pressefreiheit in Deutschland. Da kann man sehen, was für eine Dynamik in die parlamentarische Arbeit durch die vierte Gewalt kommen kann. Ich bin gespannt, was in den nächsten Tagen und Wochen zum Vorschein kommen wird. Bisher waren alle zusätzlichen Veröffentlichungen ein Torpedo auf das Schiff CDU/CSU oder auf das Beiboot Andreas Scheuer. 

Die SPD hat sich noch nicht klar zu Scheuer positioniert. Sie sagten heute Morgen im ARD Morgenmagazin, dass es vielleicht auch ein quid pro quo gegeben haben könnte, der Wirecard-U-Ausschuss steht ja auch bald an. Könnte das ihre Arbeit behindern? 

Wenn die SPD wollte und ihre sozialdemokratische Ehre ein bisschen ernster nehmen würde, dann wäre Herr Scheuer vielleicht gar nicht mehr dabei. Die haben natürlich das Problem, dass sie mit ihrem Finanzminister und Kanzlerkandidaten einen U-Ausschuss vor sich haben. Das Interessante war: Dass der Wirecard-Ausschuss nur neun statt 18 Mitglieder haben wird, wurde fast zeitgleich mit der Ladung des fünften Zeugen bei der Sitzung des Maut-Ausschusses vereinbart. Normalerweise gibt es pro Sitzung nur drei Zeugen. Wir haben natürlich auch Flurfunk im Bundestag, man redet miteinander. Da ist klar geworden, dass es einen Deal gab oder eine Form von liebevoller Erpressung nach dem Motto: „Wenn ihr uns helft beim Scheuer, dann helfen wir euch beim Scholz“. Sie müssen sehen: Wenn Oppositionsparteien statt nur einem zwei Abgeordnete im Ausschuss haben plus zwei Stellvertreter, dann ist der natürlich viel schlagkräftiger. 

Sie sagten bereits, der U-Ausschuss könnte auch eine Signalwirkung für zukünftige Minister haben. Geht es also eher darum, ein Exempel zu statuieren, als tatsächlich für Gerechtigkeit zu sorgen?

Ich glaube, dass so ein Untersuchungsausschuss immer auch eine prophylaktische und pädagogische Wirkung hat. Es ist aber in den letzten Jahren nie ein Minister wegen eines U-Ausschusses zurückgetreten. 
Im November 1962 musste Franz Joseph Strauß als Bundesverteidigungsminister vor allem auf Druck der FDP zurücktreten, bei der Spiegel-Affäre. Danach war er nicht mehr Minister und hat trotzdem später ein Comeback geschafft. Das wäre vielleicht auch mal ein Vorbild für Andreas Scheuer.

Wie geht es jetzt weiter im Untersuchungsausschuss? 

Wir werden jetzt die Protokolle des Ausschusses auswerten und in den nächsten 14 Tagen wahrscheinlich weitere Zeugen benennen. Außerdem werden wir das Kreuzverhör beantragen. Minister Scheuer kommt da nicht mehr raus, auch wenn die CSU in der Vergangenheit durchaus versucht hat, das Thema aus dem Bewusstsein zu drängen.

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