Maskenpflicht in Zügen - „Zugbegleiter sind doch keine Sheriffs“

Fahrgäste, die die Maskenpflicht boykottieren, machen Zugbegleitern das Leben schwer. Schon vor der Coronakrise wurde jeder von ihnen zweimal im Jahr Opfer von Gewalt. Hier erzählt einer, wie er den Alltag mit dem Virus bewältigt.

„Maskenkontrolle“: Nur in Ausnahmefällen bekommen Zugbegleiter Unterstützung von der Bundespolizei / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Christian Deckert ist Zugbegleiter im DB-Fernverkehr und Mitglied im Hauptvorstand der Bahngewerkschaft GdL. 

Herr Deckert, immer häufiger beschweren sich Bahnkunden darüber, dass sich Sitznachbarn nicht an die Maskenpflicht halten. Ist das auch Ihre Erfahrung als Zugbegleiter?
Der überwiegende Teil der Fahrgäste hält sich an die Maskenpflicht. Die gefühlte Zahl der renitenten Maskenverweigerer liegt bei fünf Prozent. Die Frage ist aber: Wie tragen die Leute die Maske? 

Eine Kollegin von Ihnen schätzt, dass nur ein Drittel der Gäste die Maske richtig trägt, der Rest bedeckt nur den Mund. Weisen Sie Fahrgäste darauf hin? 
Ja, aber man muss unterscheiden zwischen Regional- und Fernverkehr. Reisende im Regionalverkehr sind ja nicht so lange unterwegs, und da ist die Frage: Ist ein Zug richtig voll? Und wie ist das Wetter? Wenn es richtig heiß ist, kann es schon mal vorkommen, dass die Maske weiter runterrutscht. Im Fernverkehr sind Reisende ja manchmal stundenlang unterwegs, ich kann schon verstehen, dass sie das Tragen der Maske anstrengt. Aber es ist nun mal Pflicht und noch wichtiger: Es hilft, Infektionen zu verhindern. 

Aber wie verhalten Sie sich da als Zugbegleiter?
Wir versuchen, entspannt damit umzugehen, mit einem Augenzwinkern oder indem wir auf unsere eigene Maske zeigen. In der Regel hilft das. Aber dann gibt es auch Fälle, wo Fahrgäste probieren, Ausnahmen für sich einzufordern. Da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Nehmen Sie zum Beispiel die Telefonierer. Natürlich ist es nicht schön, mit Maske zu telefonieren. Leute, die die Maske dafür abnehmen, frage ich immer: „Was ist so wichtig, dass man es nicht auch nach der Fahrt telefonisch regeln könnte?“

Was ist mit der Ausrede: „Ich habe ein Attest vom Arzt?“ 
Wenn ein Fahrgast die Maske aus gesundheitlichen Gründen nicht tragen dürfen, nehmen wir darauf natürlich Rücksicht. Wir gucken: Wo sitzt er? Ist es möglich, ihn da hinzusetzen, wo wenig Leute sitzen. Das gehört zum Service dazu. Natürlich lassen wir uns die Bescheinigung aber zeigen. 

Und wenn Fahrgäste die nicht dabei haben? 
Dann sagen wir, sorry, aber solange man das nicht nachweisen kann, müssen wir darauf bestehen, dass die Maske getragen wird. 

Schaffner, Busfahrer oder Lokführer treffen immer häufiger auf Fahrgäste, die in solchen Situationen pöbeln oder sogar handgreiflich werden. Ist Ihnen das auch schon passiert?
Ja, zum Glück jedoch noch nie mit grober Gewalt. Gewalt und Beleidigung von Zugpersonal sind aber nicht erst Beginn der Coronakrise ein Problem. Nach einer Umfrage, die die Gewerkschaft 2019 unter 2.500 Zugbegleitern und Lokführern gemacht hat, werden Lokomotivführer und Zugbegleiter im Durchschnitt zweimal im Jahr körperlich angegriffen. Im Vergleich zu 2016 hat sich diese Zahl verdoppelt. 

Worum geht es?
Typische Auslöser sind Zugverspätungen oder Unregelmäßigkeiten, die wir bei der Fahrkartenkontrolle festgestellt haben.  

Christian Deckert / privat

Inwiefern hat die Coronakrise die Situation verschärft?
Es kommt die Angst um die eigene Gesundheit hinzu, wenn man als Mitarbeiter unterwegs ist. Das Virus ist keine Bedrohung, die sichtbar ist. Wir reden über kleinste Teile in der Luft, die nicht wahrnehmbar sind … 

.. und das in vollbesetzten Regionalzügen, wo kein Mindestabstand eingehalten werden kann. 
Es gibt leider noch keine Möglichkeit, das zu beschränken.  Hier ist ein komplettes Umdenken erforderlich. Man muss über eine Reservierungspflicht oder technische Möglichkeiten nachdenken, um die Auslastung zu steuern. Solange es das nicht gibt, müssen wir Angst haben, uns anzustecken. Je mehr Leute zusammenkommen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Infizierter in der Nähe sein könnte. Die psychische Belastung hat extrem zugenommen. 

Sie haben keine Angst, dass Sie von einem Maskenverweigerer was aufs Maul bekommen?
Das ist zumindest nicht mein erster Gedanke. Aber auf Diskussionen muss man sich immer einstellen. Und viele Kollegen haben schon die Lust verloren, Fahrgäste an den Mund-Nase-Schutz zu erinnern und das zum x-ten Mal zu wiederholen. Irgendwann zieht man die Bundespolizei dazu, um einen Fahrausschluss zu erwirken. 

Wo können sich Zugbegleiter sicherer fühlen, im Nah- oder im Fernverkehr?
Wenn Sie die Kollegen im Nahverkehr fragen, sagen sie: „Bitte niemals im Fernverkehr arbeiten.“ Und die Kollegen aus dem Fernverkehr sagen: „Oh Gott, Naheverkehr ist die Hölle.“ Die Leute stehen dazu, wo sie arbeiten. Sie machen den Job mit Leidenschaft, auch wenn er verrufen ist. Wer erlebt schon so viel wie wir? Die Sicherheit muss sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr drastisch erhört werden für das Personal. Es kommt auf unvorhergesehene  Situationen an.

Bundesweit gibt es immer noch keine einheitliche Maskenpflicht für den Schienenfernverkehr. Was bedeutet das für die Zugbegleiter?
Angekommen ist die Maskenpflicht schon in allen Bundesländern. Was ein bisschen schwierig ist, sind die Sanktionen, die von Land zu Land unterschiedlich sind. im Nahverkehr ist das recht einfach. Man verlässt das Land nicht unbedingt, und man kann kontrollieren, ob die Regeln eingehalten wurden. Schwieriger wird es im Fernverkehr, weil man verschiedene Ländergrenzen passiert und gucken muss: Wo befindet man sich? 

Kennen Sie die Bußgeldkataloge alle auswendig?
Natürlich nicht (lacht). Es kann auch nicht Aufgabe der Zugbegleiter sein, das zu wissen. Sie brauchen eine klare Anweisung und Sanktionen, die sie verhängen können. Aber Strafen sind Ländersache. Die müssen von Behörden ausgesprochen werden. Und da sind wir bei der Politik. 

Die setzt die Deutsche Bahn unter Druck. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat in einem Brief  angemahnt, „dass die DB strikt auf die Einhaltung der Maskenpflicht achtet.“ Was würden Sie ihm antworten?
Ich würde ihn gerne einladen, dass er mal einige Tage mit uns zusammen unterwegs ist. Ich glaube, wenn unser Bundesverkehrsminister eine Uniform der DB an hätte, würde den nicht jeder sofort erkennen. Aber er würde sehr schnell merken, wie die Situation in den Zügen ist. Er würde erkennen, dass die Maskenpflicht gar nicht vollständig umsetzbar ist. Es braucht die Hilfe des Bundes und der Bundespolizei. Die klagt übrigens auch über Personalnot. Bundesweit gibt es 5.400 Bahnhöfe. Und sie hat ihre Leute nur an den größeren Bahnhöfen stationiert. 

Das heißt, der Fahrgast, der die Maske verweigert, sitzt am Ende am längeren Hebel?
Ja, aber er hat ja auch ein Ziel, das er erreichen will. Erreicht er das noch, wenn er zwischendurch mit Polizeibegleitung aussteigen muss? Das ist für alle Beteiligten nicht schön. Extremfälle wie der in Augsburg sind aber zum Glück die Ausnahme. 

Was ist passiert?
Im ICE von München nach Augsburg wurde am Sonntag ein Kontrolleur mit mehreren Messerstichen schwer verletzt, als er einen 25-jährigen kontrollieren wollte, der keine Fahrkarte dabei hatte. Dem Kollegen geht es zum Glück schon wieder ganz gut, er wird aber noch psychologisch betreut.  

Fordert Ihre Gewerkschaft einen privaten Sicherheitsdienst für das Bahn-Personal?
Klar, die GdL fordert mehr Zug- und Sicherheitspersonal. Das schreckt notorische Maskenverweigerer ab. Die Umsetzung ist allerdings nicht flächendeckend machbar. 

Was ist die Alternative? Selbstverteidigungskurse oder Deeskalationstrainings für Bahnmitarbeiter?
Das ist leider ein Thema, was immer wieder hochkommt. Wir brauchen aber keine Ausbildung zum Boxkämpfer. Der Arbeitgeber muss alles tun, um die Mitarbeiter zu schützen. Deeskalationstrainings müssen Bestandteil der Ausbildung werden. Es muss auch eine stabile Betreuung von Opfern nach solchen Ergebnissen geben. Es müssen technische Vorkehrungen getroffen werden, um solche Angriffe zu verhindern. Zum Beispiel eine bessere Videoüberwachung. 

Sie fordern jetzt, dass Strafen für Maskenverweigerer in die Beförderungsbedingungen oder in die Eisenbahnverkehrsordnung mit aufgenommen werden. Würde das den Umgang mit den renitenten Maskenverweigerern erleichtern? 
In beiden steht heute schon drin, dass man einen Fahrgast von der Fahrt ausschließen kann, wenn die Sicherheit des Personals oder der Fahrgäste bedroht ist. Der Boykott der Maske ist auch ein gewisses Sicherheitsrisiko. Nach der Eisenbahnverkehrsordnung können auch 60 Euro kassiert werden, wenn der Fahrgast keine gültige Fahrkarte hat. So eine Regelung müsste es auch für Maskenverweigerer geben – und zwar nach einem bundesweit einheitlichen Tarif. 

Ist das Problem damit gelöst?
Nein, es kann aber auch nicht darum gehen, Zugbegleiter zu Sheriffs auszubilden, um darauf zu achten, dass die Maskenpflicht umgesetzt wird. 

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