Corona-Maßnahmen - Masken und Freiheit

Gegner der Maskenpflicht sehen darin eine Einschränkung ihrer Freiheit. Ein Blick auf die Vergangenheit zeigt jedoch: Uneingeschränkte Selbstbestimmung kann der Mehrheitsgesellschaft schaden – vor allem dann, wenn nur für die Rechte der eigenen Gruppe gekämpft wird.

Protestieren mit durchlässigen Netzen gegen die Maskenpflicht: Gegner der Corona-Beschränkungen / dpa
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Autoreninfo

Matthias Soyka ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, für Physikalische und Rehabilitative Medizin und für Spezielle Schmerztherapie. Er lebt in Hamburg. Er betreibt einen YouTube Kanal für „Hilfe zur Selbsthilfe“ und ist Autor des Buches „Dein Rückenretter bist du selbst“ bei Ellert & Richter, Hamburg. Seine Kolumnen erscheinen regelmäßig beim Ärzte-Nachrichtendienst. 

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Ich trage in meiner Praxis fast den ganzen Tag eine Maske, einen chirurgischen Mundnasenschutz und gelegentlich eine FFP2 Maske. Wenn ich danach zum Einkaufen gehe, benutze ich natürlich wieder eine Maske. Als Orthopäde bin ich daran gewöhnt, OP-Masken zu tragen. Jetzt in diesem heißen Sommer und über so lange Zeit am Tag ist es zugegebenermaßen anstrengender als sonst.

Ich fühle mich allerdings durch das Tragen der Maske überhaupt nicht in meiner Freiheit eingeschränkt, wie der notorische Maskengegner, der mich vor kurzem anfuhr: „Sollen doch diejenigen, die Angst vor dem Virus haben, ihre Maske tragen und die anderen, die auf ihr Immunsystem vertrauen, damit in Ruhe lassen.“

Die Maskenverweigerer und das Präventionsparadox

Die OP-Maske trage ich auch nicht aus Angst. Mein Immunsystem ist top und ich schaffe locker noch mehr Liegestütze als Boris Johnson, dem das allerdings auch nur bedingt nützte.

Ich habe vor allem deshalb keine Angst, eine schwere Covid-19 Erkrankung zu erleiden, weil das Risiko dafür in Deutschland –und in Hamburg-Bergedorf erst recht – zur Zeit sehr niedrig ist. Ich trage die Maske nur aus einem einzigen Grund: Ich will daran mitwirken, dass das Risiko so niedrig bleibt.

Genau das kapieren die Masken-Verweigerer nicht. Wenn man jetzt mit Blick auf noch relativ niedrige Infektionszahlen die Erfolge der Pandemiebekämpfung gefährdet, indem man die Sicherheitsmaßnahmen unterlässt, wäre das genau absurd, als würde man den Deichbau einstellen, weil es schon so lange keine Sturmfluttoten mehr gegeben hat.

Die Freiheit der Anderen 

Und die Maskenverweigerer haben genauso wenig verstanden, dass die moderaten Einschränkungen, die es in Deutschland bislang aufgrund der Pandemie gab, nichts mit Unfreiheit zu tun haben. Dennoch vergleichen sich einige Corona-Ignoranten  mit den Opfern der Nazis. Das ist wirklich lumpig!

Das bizarre Denken kann daran liegen, dass es immer mehr Menschen gibt, für die Freiheit vor allem freies W-LAN bedeutet. Es kann auch daran liegen, dass für andere Freiheit darin besteht, dass ihnen niemand irgendetwas zu sagen hat und keinerlei Einschränkungen ihren Willen begrenzen. Doch eine solche Freiheit wäre nur eine für eine kleine Gruppe – nämlich für die, die sich gerade durchsetzt. 

In einem freien, demokratischen Rechtsstaat endet die Freiheit des Einen, wo sie die Freiheit und die Rechte der Anderen verletzt. Und wenn ein Staat funktionieren soll, gibt es auch einige andere Einschränkungen des individuellen Willens. Beim Zahlen von Steuern, bei Bebauungsplänen, beim Militärdienst oder in der Straßenverkehrsordnung, um nur einige zu nennen.

Auch das Selbstbestimmungsrecht ist begrenzt 

Wo die Grenze der Freiheit sein darf, muss ständig neu entschieden und austariert werden. Es gibt naturgemäß keine einzige Wahrheit darüber – oft muss durch die gewählten Repräsentanten abgestimmt werden.

Einigkeit herrscht darüber, dass die Fürsorge des Staates nicht so weit reichen darf, dass sie den Einzelnen vor Fehlern oder Fehlverhalten bewahren will. Das Recht, sich selbst zu schaden, ist ein Teil der Freiheit – aber auch hiervon gibt es Ausnahmen. Selbstmörder zum Beispiel werden in der Regel daran gehindert, ihr Anliegen umzusetzen. Wir gehen davon aus, dass ihr Entschluss nicht wirklich frei ist, sondern durch Krankheit bewirkt wird, was oft stimmt, aber sicherlich nicht immer.

Über sinnvolle Unfreiheiten

Schon immer wurde von Leuten, die bestimmte Einschränkungen nicht akzeptierten, mit dem Selbstbestimmungsrecht argumentiert, das durch diese Einschränkungen „mit Füßen getreten werde“. Und sehr oft lagen sie daneben. Dazu ein paar Beispiele:

Am 1. September 1957 wurde etwas völlig Verrücktes und Unfreies beschlossen – eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Ortschaften, so dass man in Städten nicht mehr 120km/h oder schneller fahren durfte. Das sei eine „totalitäre Maßnahme“ schimpfte damals ein Vorgesetzter meines Vaters, ein stilvoller Kavalier am Steuer. Die Geschichte war so absurd, dass ich sie in meiner Jugend oft zu hören bekam.

Die Gurtpflicht als Präventionsmaßnahme 

Auch bei der Einführung der Gurtpflicht war es nicht anders. In der Tat war die Gurtpflicht ja eine Maßnahme, durch die der Fahrer geschützt werden sollte. Reichte hier die staatliche Fürsorge so weit, dass sie die Freiheit, sich selbst zu schädigen, unangemessen beschränkte? 

Zumindest war die Einführung der Gurtpflicht eine der effektivsten Präventionsmaßnahmen, die es je gegeben hat. Sie nahm nicht nur viel Leid von den an der Selbstschädigung Gehinderten, sondern entlastete auch in ganz erheblichem Maße das Gesundheitswesen. Denn viele bis dahin schwere Unfälle wurden abgemildert. Und das wiederum ersparte vielen professionellen und freiwilligen Helfern im Rettungsdienst manchen schrecklichen Anblick – auch wenn mit Gurt leider immer noch genug davon übrig blieben.

Die Unfreiheit, andere nicht vollqualmen zu können

Ähnlich verhielt es sich mit dem Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Einrichtungen. Von dessen Gegnern wurden mit Vorliebe die Beweggründe des Gesetzgebers verwechselt. Sie redeten von Bevormundung, in dem sie so taten, als würde auch in diesem Fall der Staat die Raucher zu ihrem gesundheitlichen Glück zwingen. Aber darum ging es nie. Das Rauchverbot wurde zum Schutz der Nichtraucher erlassen, die von der verpesteten Luft und dem widerwärtigen Geruch kontaminiert und belästigt werden. Es ist der klassische Fall eines Eingriffs in die Freiheit einzelner Personen (der Raucher) zum Schutz der Rechte anderer.  

Das Rauchverbot war wie die Gurtpflicht eine sehr effektive präventive Maßnahme, von der Raucher wie Nichtraucher profitierten. Die Zahl der Herzinfarkte sank, die Luft roch besser; man muss heutzutage sein Jackett nicht mehr nach jedem Kneipenbesuch in die Reinigung bringen. Nicht zuletzt fiel vielen Kneipiers nach dem Start des Rauchverbots auf, dass sie mehr in die Sauberkeit ihrer Sanitäranlagen investieren mussten.  

Die Freiheit war durch das Rauchverbot in Gaststätten nie gefährdet.
Trotzdem wurde auch hier wieder die Sorge um Unfreiheit bemüht, nämlich von denen, die weiter hemmungslos andere belästigen wollten und so deren Freiheit einschränkten.

Kondome zur Bekämpfung der AIDS Epidemie

Ein anderes Beispiel ist der Umgang mit der AIDS Epidemie. In den Ländern, in denen sie geleugnet wurde, ist die Seuche bis heute ein gravierendes Problem für die Gesundheit der Menschen, die Ökonomie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das wichtigste Mittel zur Eindämmung der Epidemie war Safer Sex. Kondome waren unüblich in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre.

Uns, die damals jung waren, erschien ungeschützter Sex dank der Erfolge der Medizin ziemlich ungefährlich, sowohl was Geschlechtskrankheiten als auch ungewollte Schwangerschaften anging. Es erschien uns so selbstverständlich zu sein, wie vielen der heutigen Jugendlichen häufige Reisen, Partys, Raves und Großevents. Den meisten von uns war nicht klar, dass dieser Zustand von Leichtigkeit nicht selbstverständlich war und eine historische Ausnahme darstellte. 

Es dauerte daher eine Zeit, bis die übergroße Mehrheit erkannte, dass Kondome unerlässlich waren beim Kampf gegen AIDS. Es gab trotz anfänglichem Gemaule über die Einschränkung der sexuellen „Gefühle“ und der Spontaneität bald kaum noch Verfechter des ungeschützten Sex –  außer eben den heuchlerischen Egoisten, die ihr Einzelinteresse über die körperliche Unversehrtheit anderer stellen – ausgerechnet im Namen der Freiheit.

Die offensive Einforderung von Sex ohne Kondom gegen den Willen des Anderen – zum Beispiel durch Kunden von Prostituierten – wird von der übergroßen Mehrheit als das gesehen, was es ist: Nötigung und, wenn es dazu kommt, Körperverletzung.

Beidseitiger Schutz reicht für die Eindämmung der Pandemie 

Das Kondom und der Mund-Nasenschutz haben im Kampf gegen die Seuche ähnliche Funktionen. Beide schützen sowohl den Träger als auch die Anderen. Und neben dieser direkten Wirkung haben sowohl Präservative als auch Masken eine weitere, noch viel wichtigere Funktion. Sie helfen, die Seuche einzudämmen. Dafür ist kein absoluter Schutz notwendig wie bei den Schutzanzügen, die das medizinisches Personal auf einer Infektionsstation trägt. Für die Eindämmung der Epidemie reicht die Reduktion der Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken.
 
Ich meine nicht, dass man über die Sinnhaftigkeit von Masken keine abweichende Meinung haben dürfe, obwohl die wissenschaftliche Studienlage genau wie der gesunde Menschenverstand  nahelegen, dass Masken nützen. 
Aber es ist unverantwortlich, keine zu tragen oder sie bewusst nicht richtig zu benutzen, weil man selbst in seiner Überheblichkeit glaubt, es besser zu wissen als die Top-Experten dieser Welt.

Boykott der Maßnahmen verlängert sie nur 

Eine medizinische Maske zu tragen ist nur ein kleines Opfer. Es hilft nicht nur die Pandemie zu bekämpfen, es hilft auch der Wirtschaft. Denn wenn es zu einem exponentiellen Anstieg der Coronainfektionen käme, würde das auch zu einem wirtschaftlichen Desaster führen.

Wir hatten in Deutschland bislang noch keinen Lockdown, sondern nur Kontaktbeschränkungen. (Wer den Unterschied nicht kennt, sollte eine Italienerin oder einen Franzosen fragen). Aber völlig unabhängig davon, ob im Falle eines Wiederaufflackerns der Pandemie ein Lockdown beschlossen wird oder nicht, würde die Wirtschaft stark geschädigt. Denn durch die berechtigte Sorge der Menschen, sich anzustecken, würde der Konsum und die Wirtschaftstätigkeit erneut massiv einbrechen. Die Boykotteure der Pandemiebekämpfung gefährden daher nicht nur die Gesundheit, sondern auch das wirtschaftliche Wohlergehen der Mehrheitsgesellschaft.

Die Ignoranten sind die, die unsere Freiheit gefährden

Wer die einfachen Mittel der Pandemiebekämpfung (Maske und Abstand) nicht akzeptiert und anwendet, der wird schon bald der gesamten Gesellschaft ganz andere Probleme und Entscheidungen aufzwingen. Durch die Ignoranten wird daher unser aller Freiheit mit Füßen getreten.

Die Maskenverweigerer sind Egozentriker, sie kämpfen nicht für die Freiheit, sondern sie wollen die Freiheit exklusiv nur für sich und ihre Marotten reserviert haben. Die Freiheit der anderen ist ihnen völlig egal. Ich befürchte deshalb, dass eine Diskussion zumindest mit den Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern unter ihnen nicht viel bringen wird. Trotzdem muss die Gesellschaft auch auf diese zugehen und versuchen, sie in Gesprächen zur Vernunft zu bringen. 

Aber auf schmerzhafte und wirksame Sanktionen zur Durchsetzung von Maskenpflicht und Abstandsregeln sollten Staat und Gesellschaft dabei nicht verzichten. 

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