Markus Söders Attacke auf die Regierung - Ein Affront der Extraklasse

In einem Interview kritisiert der CSU-Chef das Kabinett von Angela Merkel in beispielloser Weise – obwohl seine eigene Partei selbst drei Bundesminister stellt. Die Frage ist: Was bezweckt Markus Söder mit seinem Rundumschlag?

Maulheld oder Möchtegernkanzler? / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Da hat sich der bayerische Löwe ja mal ordentlich in Rage gebrüllt. Dass Markus Söder mit seinem vielzitierten Interview in der jüngsten Bild am Sonntag unmittelbar vor der CSU-Klausur im Kloster Seeon lautstark auf den Putz gehauen hat, ist zwar nicht weiter verwunderlich – so etwas gehört eben zum jährlichen Ritual der parteiinternen Selbstvergewisserung.

Aber was der bayerische Ministerpräsident konkret gesagt (und an manchen Stellen geradezu dröhnend offen gehalten) hat, ist dann doch bemerkenswert. Denn tatsächlich steht er damit Friedrich Merz in nichts nach, der das schlechte CDU-Ergebnis bei der Landtagswahl in Thüringen bekanntlich mit dem (wörtlich) „grottenschlechten“ Erscheinungsbild der Bundesregierung erklärte.

Die Groko hat abgewirtschaftet 

Wer Söders BamS-Interview in Gänze liest, kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass der CSU-Chef und der Möchtegern-Kanzlerkandidat von der CDU sich in ihrer Einschätzung völlig einig sind: Das Regierungspersonal der Großen Koalition hat abgewirtschaftet und ist nicht mehr in der Lage, irgendwelche Blumentöpfe zu gewinnen.

Nur macht es eben einen Unterschied, ob solcherlei Kritik von einem politischen Außenseiter wie Merz kommt – oder vom Vorsitzenden einer Partei, die selbst drei amtierende Bundesminister und eine Staatsministerin stellt. Was wohl der einzige Grund dafür sein dürfte, warum Söder keine Wörter wie „grottenschlecht“ in den Mund nimmt, sondern sich ein bisschen diplomatischer artikuliert. Aber auch nur ein bisschen.

Warnschüsse in Richtung Altmaier und Karliczek 

In der Sache ist Markus Söder jedenfalls knallhart: Angesichts „der Probleme in der Welt“ brauche es „eine Regierung, die durchstartet“; es reiche nicht, „nur die Zeit bis 2021 abzusitzen“. Ob die GroKo „noch zu Großem fähig“ sei, bleibe „abzuwarten“, so der bayerische Ministerpräsident. Das ist nun wirklich Tobak der allerstärksten Sorte: Der Vorsitzende einer Regierungspartei attestiert ebendieser Regierung, im Zustand der Erschlaffung die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl abzusitzen und nichts Vernünftiges mehr auf die Reihe zu bekommen. Da ist sein im selben Atemzug vorgebrachter Wunsch nach personeller Verjüngung schon fast harmlos, weil das ja die mindeste Konsequenz aus dem bayerischen Scherbengericht wäre.

In diesem Ton geht es munter weiter. Für die Union müssten  Innovation und Wirtschaft an erster Stelle stehen, fordert Söder und stellt damit implizit fest, dass dies nicht der Fall ist. Konkret auf die Namen der entsprechenden CDU-Fachminister angesprochen, nimmt er Peter Altmaier (Wirtschaft) und Anja Karliczek (Forschung) keineswegs in Schutz, sondern antwortet vielsagend, dass von diesen Themen „die Zukunft und der Wohlstand Deutschlands“  abhängen würden. Das kann man nicht anders verstehen als: Diese beiden Kabinettsmitglieder verspielen die Substanz der Bundesrepublik. Solche Töne sollte man eigentlich eher aus der Opposition erwarten, namentlich aus den Reihen von FDP oder AfD. Das ist ein fast schon beispielloser Affront, auch wenn er inhaltlich natürlich durchaus berechtigt ist.

Watschen für Esken und Walter-Borjans 

Die SPD wird von Markus Söder eher im Vorbeigehen abgewatscht: Über sozialdemokratische Herzensprojekte wie Tempolimit, Vermögenssteuer oder die Aufgabe der Schuldenbremse brauche man gar nicht erst zu reden. Dass der CSU-Chef die beiden neuen SPD-Vorsitzenden für nicht satisfaktionsfähig hält, war zwar schon vorher bekannt, aber jetzt haben Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans es eben auch schriftlich. Es sei ja ohnehin unklar, ob nicht Kevin Kühnert der wahre Parteivorsitzende sei, sinniert Söder. Soviel zum Rundumschlag des bayerischen Ministerpräsidenten, der im Interview noch die eine oder andere Spitze zusätzlich gesetzt hat. Die Frage ist nur: zu welchem Zweck?

Denn tatsächlich wird Markus Söder im Alleingang keine Kabinettsumbildung in Berlin durchsetzen können. Es ist ja schon fraglich, ob er überhaupt den reichlich in die Jahre gekommenen Bundesinnenminister seiner eigenen Partei ablösen könnte. Denn was will er denn unternehmen, wenn Horst Seehofer sich querstellt und Merkel nicht mitmacht? Außerdem hat Söder selbst zu Protokoll gegeben, dass sein jüngster Vorstoß weder mit der Bundeskanzlerin noch mit der CDU-Vorsitzenden abgesprochen war.

Maulheld oder Spalter der Groko? 

Und da Merkel auf Druck von außen bekanntlich mit besonderer Bockigkeit reagiert, ist kaum damit zu rechnen, dass sie dem lieben Kollegen Söder alsbald Folge leistet. Wenn aber alles beim Alten bleibt, riskiert letzterer, als Maulheld dazustehen und somit in die unrühmlichen Fußstapfen Seehofers zu treten. Weil Markus Söder solche Fehler allerdings nicht macht und ohnehin nichts unternimmt, ohne vorher sämtliche Folgen und Eventualitäten bedacht zu haben, muss es also um mehr gehen.

Möglichkeit Nummer eins: Der starke Mann aus Bayern betreibt von München aus die Spaltung der GroKo und beschleunigt damit das Szenario baldiger Neuwahlen. Damit würde es wohl auf eine Kanzlerkandidatur Annegret Kramp-Karrenbauers hinauslaufen. Ob das in Söders Sinne wäre, ist nicht genau bekannt. Angeblich will er ja in München bleiben, wiewohl er sich das Kanzleramt durchaus zutraut.

Sehnsucht nach dem Anti-Mehltau-Politiker

Möglichkeit Nummer zwei: Söder präsentiert sich in der Öffentlichkeit als Antreiber, dessen Dynamik lediglich an den Berliner Beharrungskräften scheitert. Es wäre der Anti-Mehltau-Politiker, nach dem sich die deutschen Wähler sehnen. Und indem Söder von außen Druck auf Merkels Kabinett ausübt, sorgt er gerade für dessen Zusammenhalt. Die Hängepartie geht bis 2021 weiter; vor den nächsten regulären Bundestagswahlen erschiene der Ministerpräsident aus Bayern wie ein weißer Ritter.

Möglichkeit Nummer drei: Söder animiert mit seinem Aktivismus die CDU-Chefin dazu, es ihm gleichzutun. Das Signal an AKK: Unternimm jetzt endlich etwas, entferne die CDU-Schwachposten aus dem Kabinett – sonst gehen die Unionsparteien bei der nächsten Wahl gemeinsam unter! Und zwar unabhängig davon, wer Kanzlerkandidat wird. Dann allerdings hätte er Kramp-Karrenbauer vorher konsultieren sollen, was angeblich nicht der Fall war. Und da auch AKK sich überrumpelt fühlen muss, wird sie jetzt kaum brav nach Söders Pfeife tanzen.

Heute ist die CDU-Chefin übrigens bei der CSU-Klausur in Seeon zu Gast. Es ist davon auszugehen, dass es einiges zu besprechen gibt.

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