Markus Söders Corona-Panne - Wer handelt, macht Fehler. Wer nicht handelt, macht den größeren

In Bayern ist es zu einer massiven Panne bei den Coronatests gekommen. Dafür gibt es zu Recht Kritik. Markus Söder ist aber vor allem die Häme jener sicher, die die Hände lieber in den Schoß legen, bevor sie Fehler machen.

Opfer seiner Eitelkeit: Markus Söder / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Bei Hyperventilation soll es helfen, für eine Weile in eine Plastiktüte oder auch in eine Atemmaske zu atmen, damit der Sauerstoffüberschuss wieder abgebaut wird. Bei politischer Hyperventilation hilft Nachdenken und der Versuch von strukturiertem Denken. Die jüngste politische Hyperventilation vollzieht sich seit einigen Tagen um die 900 durchgeschlüpften Coronisten aus den bayerischen Corona-Kontrollen unter den Reiserückkehrern. 

Und jetzt bitte mal für eine Moment das Hecheln einstellen und das Gehirn einschalten. Bayern hat in den betreffenden Tagen 44.000 Reisende getestet, darunter sind 900 Infizierte, die wegen Schlamperei bei der Datenaufnahme (verwischter Bleistift, Sauklaue, fehlende Adresse oder Telefonnummern) nicht erreicht werden können. 

Es ist zulässig und geschieht ihm auch ein Stück weit recht, dass Bayerns Ministerpräsident dafür jetzt einen politischen Abschlag auf seine corona-bedingten Spitzennoten hinnehmen muss. Wer so strunzt, der muss sich nicht wundern, wenn alle über den ersten Fehler herfallen. 

„Es passiert nur dem, der wo's macht“

Aber: Es bleibt trotzdem so, dass Bayern das vorgemacht hat, was andere Bundesländer dann nachgemacht haben. Jenseits der 900 Durchgeschlüpften (knapp 50 davon sind gewissermaßen noch auf der Flucht, Stand Sonntagabend) wird es eine erkleckliche Anzahl von dingfest gemachten Corona-Kranken geben. Wer nichts macht an seinen Grenzen bei der Heimreise, der findet gar keine Kranken. Und es rutschen ihm auch keine durch. „Es passiert nur dem, der wo’s macht“ sagte meine selige Schwiegermutter in solchen Fällen immer, wenn jemandem ein Malheur passiert war. Besonders dann, wenn ihr eins passiert war. 

Lieber also handeln und Fehler machen als nicht handeln und es hinterher besser wissen. So hat sich dieser Tage Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther verhalten, Söders verhinderter Wattwanderfreund. Der bayerische Ministerpräsident musste seinen Besuch an der Küste wegen der Panne absagen. 

Der Naseweise aus dem Norden

Daniel Günther behauptet einfach aus dem Bauch heraus und nach Gutsherrenart, dass an den überfüllten – oder jedenfalls massenhaft heimgesuchten – Stränden an Nord und Ostsee seines Bundeslandes keine Ansteckungen stattgefunden hätten. „Seit Wochen haben wir viele Tausend Touristen in Schleswig-Holstein. Das hat nicht zu steigenden Infektionszahlen geführt. Die Gemeinden und Städte haben gute Konzepte wie Kontrollen an den Stränden mit Ampeln, sodass diese nie überfüllt sind. Bei den Kontrollen unterstützt auch die Polizei. Es läuft insgesamt sehr gesittet ab“, sagte  er am Wochenende in einem Interview mit der Bild am Sonntag. 

Woher er das so ganz genau weiß und wieso das gegen jeden gesunden Menschenversand ist, warum es in Mallorca anders sein soll als in St- Peter Ording, bleibt sein Geheimnis. Er steht aber sauber da. Es gibt keine Belege dafür, dass seine These stimmt. Weil gar nicht getestet wird. Weder vor noch nach dem Strandbesuch beziehungsweise der Cocktailbar am Abend zum Sundowner.  

Meine eigene Mutter selig hatte wiederum für dieses Verhaltensmuster des Daniel Günther immer einen passenden Satz parat, den Komplementärsatz zu jenem meiner Schwiegermutter: „Nimm Dir nix vor, dann schlägt Dir nichts fehl.“

Das Image von Herrn Söder

Der gravitätische Außenminister hat sich auch in diese innere Angelegenheit eingemischt und mit einem persönlichen Schlenker die Vermutung verlauten lassen, das die 900 bayerischen Durchgeschlüpften inzwischen tausende Mitbürger angesteckt haben werden. „Mehr Sorgen als um das Image von Herrn Söder mache ich mir um alle, die nicht wussten, dass sie infiziert waren. So konnten sich durch die Testpannen in Bayern weitere Menschen mit Corona infizieren.“

Bitte aber auch hier noch mal für einen Moment die Plastiktüte vors Gesicht und Hecheln einstellen: Die 900 hätten das ohne Test an den bayerischen Grenzen getan, und die Entdeckten, die die bayerischen Kontrolleure rausgefischt haben obendrein. 

Häme größer als der Fehler

Es ist das gute Recht der Opposition und auch eines Koalitionärs, dem politischen Gegner oder Wettbewerber dessen Missgeschicke und Fehler reinzureiben. Es ist aber das ebenso gute Recht der politischen Konsumenten, über die Stichhaltigkeit beziehungsweise Fadenscheinigkeit eines solchen Vorgehens im Einzelfall nachzudenken. Und in diesem Fall ist bei allem Selbstverschulden wegen teilweise unerträglicher Selbstinszenierung die Häme gegen Markus Söder weitaus größer als der Fehler, der ihr zugrunde liegt. 

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