Lockdown in der Verlängerung - Es wirkt, oder etwa nicht?

Der Lockdown geht weiter. Auf der am Abend zu Ende gegangenen Ministerpräsidentenkonferenz wurde beschlossen, dass es außer für Kitas, Schulen und Friseure vorerst keine weiteren Lockerungen geben wird. Zwar wird alles irgendwie besser, aber nichts wird richtig gut. Und das Verwunderliche: Es wundert nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), zu Beginn der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Es wirkt! Nach gut 14 Wochen Lockdown, nach Schließung von Kindergärten und Schulen, nach Unternehmensinsolvenzen und Hungerkuren bei Künstlern und Soloselbständigen zeigt die Covid-Strategie der Bundesregierung endlich kleine Teilerfolge: Seit gut einem Monat fällt die Kurve bei den Neuinfektionen stetig ab, und auch die Zahl der täglichen Toten geht spätestens seit dem 2. Februar leicht zurück. Wer heilt hat recht, meinte schon vor 2500 Jahren der griechische Arzt Hippokrates. So gesehen scheint die Strategie der anwachsenden Härte und der anhaltenden Grundrechtsbeschneidung, die die Kanzlerin zusammen mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder seit dem sogenannten „Lockdown light“ vom 2. November mit ruhiger Hand zur Anwendung gebracht hat, genau die richtige gewesen zu sein. 

Denn – oh, ihr Maßnahmen-Kritiker höret! – es wirkt! Nun ist die Bundeskanzlerin noch nie eine Freundin verzückter Jubelschreie gewesen. In ihren eigenen Worten klingt die Freude über den selbst diagnostizierten Erfolg der recht schonungslosen Heilbehandlung weit preußisch-protestantischer: „Man könnte sehr zufrieden sein“, so Merkel bei der gerade zu Ende gegangene Pressekonferenz zu den Ergebnissen der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz. „Die Maßnahmen, die mühselig und hart sind, zeigen Wirkung.“ 

Klatschen hilft!

Doch egal, mit welchen Worten man die bisherige Lockdown-Bilanz auch zur Sprache bringen mag: Ein wenig erinnert das ganze ohnehin an jenen Mann aus einer kleinen Geschichte des großen Wiener Psychologen Paul Watzlawick. Dieser Mann steht irgendwo im Menschenmeer einer x-beliebigen Fußgängerzone und klatscht alle zehn Sekunden wild in die Hände. Auf die erstaunte Frage eines Passanten, was er denn da so treibe, entgegnet er mit gelassener Selbstverständlichkeit: „Ich vertreibe die Elefanten.“ Als ihm der Passant daraufhin erklärt, dass es in der Fußgängerzone doch gar keine Elefanten gäbe, bricht der Mann in Jubel aus: „Sehen Sie, es wirkt!“ 

Und was derart wirkt, das sollte auch in Zukunft jäh zur Wirkung kommen. Es kann so gesehen nicht verwundern, wenn Angela Merkel nun abermals erklärt hat, dass der Lockdown weitergehe; schließlich liege die Sieben-Tage-Inzidenz erst bei 68, und die Mutanten könnten weiterhin zum Problemfall werden. Bis Mitte März, so Merkel unter Bezugnahme auf nicht näher benannte Experten, könne das mutierte Virus „die Oberhand gewinnen“.

Sicher ist also sicher: Zwar dürfen die Länder von nun an selbständig entscheiden, wann und ob sie Kitas und Schulen wieder öffnen wollen; weitere Öffnungsschritte aber – etwa beim Einzelhandel oder bei den Kultureinrichtungen – würden erst bei einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner zur Debatte stehen. Wider alle Klagen von Wirtschaftsfachleuten und entgegen dem Rat vieler Psychologen: „Weitere Fragen werden ab dem 3. März erörtert.“ Sprachs und lehnte sich gelassen zurück. Warum auch nicht, es wirkt ja!

Erfolg nach 94 Tagen

Nun ist das mit der Wirkung und ihrem Bezug zur Ursache eine wirklich mehr als vertrackte Geschichte. Generationen von Physikern und Philosophen haben sich über dieses eigentümliche Phänomen schon den Kopf zerbrochen. David Hume etwa hat bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts darauf verwiesen, dass es nicht notgedrungen einen kausalen Zusammenhang geben muss, wenn auf einen Lockdown nach sage und schreibe 94 Kalendertagen auch mal ein Abflachen einer Infektionskurve festzustellen ist: „Wenn aber viele gleichförmige Beispiele auftreten und demselben Gegenstand immer dasselbe Ergebnis folgt, dann beginnen wir den Begriff von Ursache und Verknüpfung zu bilden“, so Hume in der Manier eines britisch-snobistischen Spielverderbers.

Aber man will der Kanzlerin ihren Erfolg nicht madig machen – auch wenn man in einem kleinen Zwischenruf durchaus darauf hinweisen sollte, dass in Ländern mit weit weniger harten Maßnahmen die Infektionskurve seit Anfang Januar ebenfalls stetig abgenommen hat. Aber so ist das eben mit den mannigfachen Verflechtungen von Ursachen und Wirkungen: Hauptsache, dem gemeinen Hausverstand erscheint in den verzwickten Beziehungen zwischen den Dingen ab und an eine halbwegs logische Korrelation.

Der gewollte Lockdown

Und tritt diese dann auf, will man es nicht mehr allzu genau wissen. Wie sonst wäre zu erklären, was da am 7. Februar eine leider wenig beachtete Recherche der Welt am Sonntag ans Licht gebracht hat: Laut der Wochenzeitung aus dem Axel-Springer-Verlag nämlich hat das von Horst Seehofer (CSU) geführte Bundesinnenministerium bereits zu Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 die Ursachen von ihren Wirkungen weitestgehend entkoppelt. Laut eines mehr als 200 Seiten starken internen Schriftverkehrs zwischen dem Ministerium und Vertretern verschiedenster deutscher Spitzenforschungsinstitute – darunter das Robert-Koch-Instituts, das Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, das Institut der Deutschen Wirtschaft, die Stiftung Wissenschaft und Politik sowie mehrere Universitäten – habe die Politik damals darum gebeten, ein Modell zu erarbeiten, auf dessen Basis „Maßnahmen präventiver und repressiver Natur“ geplant werden könnten. Mit anderen Worten: Das gewünschte Forschungsziel – die Rechtfertigung von harten Corona-Maßnahmen – wurde bereits vor der eigentlichen wissenschaftlichen Leistung definiert. Das Kausalitätsprinzip schlug fröhlich Purzelbäume, und alle Seiten machten munter mit. 

Möglich ist so etwas nur, wenn man es in einem gesellschaftlichen Klima anhaltender Panik mit den Zahlen und Ursachen, den Herleitungen und Wirkungen nicht mehr so genau nehmen muss. Unter anderen Umständen hätte das von der Welt am Sonntag zutage geförderte Material ganz sicher zum Rücktritt der politisch Verantwortlichen geführt. Im Corona-Winter 20/21 aber zuckt man nur müde mit den Schultern und erträgt weiterhin, was die Ministerpräsidentenkonferenz auf Grundlage einer anhaltend lückenhaften Datenbasis verordnet. 

Kritik verpufft

Renommierte Medizinstatistiker wie der Freiburger Mathematiker Gernd Antes pfeifen es derweil durch alle TV- und Radiostationen: Die Daten, die als Grundlage der anhaltenden Grundrechtsbeschneidung herhalten müssen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Doch all die alarmierende Kritik verpufft. Während sich bei einem Fünftel der Bevölkerung mittlerweile depressive Symptome eingestellt haben, psychische Auffälligkeiten bei Kindern rapide zugenommen haben und Esstörungen, Wutausbrüche und Ängste mehr und mehr den Alltag prägen, lautet die einzig erlösende Sentenz, die die Kanzlerin nach der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz für den längst erschlafften Souverän bereithält: „Die Überbrückungshilfe III kann ab heute beantragt werden“. Man kann es eigentlich gar nicht glauben: Es wirkt!
 

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