Linkes Selbstverständnis - Artensterben ist cooler als Altersarmut. Gender hipper als Grundrente

Die Kommilitonen unseres 22-jährigen Gastautors Clemens Traub sind mehrheitlich politisch links eingestellt. In ihrem vermeintlichen Individualismus aber pflegen sie das Linkssein auf eine überhebliche, großstädtische Weise, schreibt er. Dabei ginge Linkssein doch auch anders

„Links-Grün versifft und stolz“ / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Dienstagmorgen. Pünktlich um zehn Uhr beginnt das Politik-Seminar. Der Dozent blickt durch Reihen von müden Studenten. Vor ihnen stehen Club-Mate-Flaschen und Laptops mit Aufklebern, auf denen „FCKAFD“, „Links-Grün versifft und stolz“ oder „Refugees welcome!“ zu lesen ist. Die durchsichtigen Designer-Brillen eingequetscht zwischen Kopf und Hand. Sie könnten alle auch Mode-Blogger sein. Alle wählen sie grün oder Satire. Alle scheinen irgendwie gleich zu sein im anders sein.

Meine Kommilitonen sehen sich politisch fast allesamt als links an. Irgendwie auf der richtigen Seite halt. Oftmals ist das aber mehr Lifestyle als Politik. Gin-Tasting und Diskussionen über plastikfreies Einkaufen gehören einfach zusammen. Artensterben ist irgendwie cooler als Altersarmut. Gender-Diskussionen hipper als Grundrente. Linkssein hört für sie dort auf, wo es irgendwie nach Kleinbürgertum und Kleintierzuchtverein aussieht. Passt nicht in die Instagram-Story. Zu wenig Sexappeal. Passt so gar nicht rein in die Lebenswelt eines linksliberalen Selbstverwirklichers. Sie studieren eher in Leipzig als in Ludwigshafen. Das Praktikum machen sie natürlich in Brüssel und nicht in Bottrop.

Hippe Überheblichkeit

Für mich bedeutet links sein etwas anderes. Aus tiefem Herzen auf der Seite derer zu stehen, über die sich ein Loriot damals oder Jan Böhmermann heute lustig machen würde. Menschen, die vielleicht keine ironischen Überflieger sind, aber alles für das Wohl ihrer Kinder machen würden. In meiner Vorstellungswelt riecht links sein nach deftigem Wiener Schnitzel in einem geselligen Vereinsheim. Weniger nach fein serviertem Bio-Sushi in schickem Etablissement. Links sein hört sich für mich nach unverständlichem, herzlichen Dialekt an und weniger nach hippen Anglizismen. Links sein bedeutet für mich, jene Orte zu schätzen, die für keinen Travel-Blog geeignet scheinen, aber die einem mehr Halt geben als jede Ratgeberliteratur auf dieser Welt. Für mich selbstverständlich. Für viele meiner Kommilitonen das reine Entsetzen.

Ich bin Feminist, und auch für mich gehören Umweltschutz und Gerechtigkeit zusammen. Klare Sache. Aber immer mehr stört mich die hippe, großstädtische Überheblichkeit vieler meiner Kommilitonen. In die Lebenswelt anderer möchten sie sich nur hineindenken, wenn sie ihr eigenes Weltbild bestätigt. Solidarität gibt es aber nicht zum Nulltarif. Das richtige, trendigere Weltbild zu haben, ist vielen meiner Kommilitonen wichtiger, als die Ängste anderer Menschen zu verstehen. Moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, das ist geil. Sorgen anderer und Selbstkritik, irgendwie ein heftiger Abturner. 

Aus der eigenen Blase austreten

Sind wir doch mal ehrlich. In einer Blase zu leben hat gerade in unserer orientierungslos gewordenen Zeit etwas Verführerisches. Wer ist nicht insgeheim auf der Suche nach Anerkennung? Das ist das normalste Bedürfnis der Menschheitsgeschichte. Egal ob in Berlin-Kreuzberg oder in Buxtehude. Aber daher umso wichtiger: Wir müssen wieder lernen, einander zu verstehen und wertzuschätzen. Auch Meinungen anderer zu ertragen. Brücken bauen, die Blasen zum Platzen bringen. Auf der einen Seite der Brücke wie auf der anderen.

Gerade wir als junge Menschen, denen die Welt vor Füßen liegt, müssen die Skeptiker und Besorgten mit auf unser Boot nehmen. Den Menschen die Angst vor Zukunft und Veränderung nehmen. Gemeinsam. Und glaubt mir, die allermeisten sind keine Nazis, Sexisten oder abschätzig als „alte weiße Männer“ bezeichnete. Hören wir auf, Menschen so zu ettiketieren, die dies nicht verdient haben. Sie sind unsere Nachbarn, Fußballtrainer und zukünftigen Schwiegerväter.

Junge Menschen interessieren sich nicht für Politik, sagen die einen. Die Politik interessiert sich nicht für die jungen Menschen und ihre Anliegen, sagen die anderen. Tatsache ist: Politik wird mehrheitlich von älteren Leuten gemacht und zunehmend auch für ältere Leute, denn die bilden den größten Anteil der Wähler. Mit unserer Serie „Junge Stimmen“ wollen wir darum jenen Gehör verschaffen, die schließlich auch unsere Zukunft sind.

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