Liberale Moscheen - Eine wandelnde Provokation

Die Deutschtürkin Seyran Ates hat in Berlin eine liberale Moschee gegründet, um mit dem Islam den Islamismus zu bekämpfen. Nun steht sie unter Polizeischutz

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Ates war schon immer eine wandelnde Provokation, vor allem für türkische Männer / picture alliance
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Zwei Dinge fallen auf, wenn man Seyran Ates in ihrer Mitte Juni eröffneten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee besuchen will: Die Moschee befindet sich auf dem Gelände einer evangelischen Kirche in Berlin-Moabit. Und: Vor der Tür stehen drei Männer, in Zivil, aber einer trägt offen eine kugelsichere Weste. Es sind Polizisten. „Draußen im Hof sind auch noch welche“, sagt Ates lachend zur Begrüßung. „Viele von denen kenne ich noch vom letzten Mal.“

Die 53-jährige Frauenrechtlerin und Anwältin steht unter Polizeischutz. Wie zuletzt 2009, nachdem die Deutschtürkin ihr Buch „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ veröffentlicht hatte. Bereits 1984 wurde sie mit 21 Jahren Opfer eines Überfalls. Sie arbeitete damals in einem Beratungszentrum für türkische Frauen in Berlin-Kreuzberg. Ein Mann drang in die Praxis ein und schoss ihre Klientin nieder. Die Frau starb. Ates wurde von einer Kugel am Hals getroffen, sie überlebte wie durch ein Wunder.

Drohbotschaften an der Tagesordnung

Seit der Eröffnung der Moschee geht das wieder los. Seyran Ates, die ihre grauen Haare kurz hält, erzählt davon ganz in Ruhe, sie sitzt dabei gelassen auf der einen Stufe des Moscheeraums. Davon, wie sie Nachrichten erhält wie „Du verreckst in der Hölle“ oder „Schlagt dieser Schlampe den Kopf gegen die Wand“. Und davon, wie ihr drei Männer auf der Straße entgegenkamen, von denen einer sie anzischte: „Hey, du bist doch die, die diese liberale Moschee eröffnet hat, für diese Perversen, wo Schwule und Lesben zusammen beten ohne Kopftuch. Du stirbst bald!“ 

Ates war schon immer eine wandelnde Provokation, vor allem für türkische Männer. Mit 17 ist Ates von Zuhause weggelaufen,  sie ist Atomkraftgegnerin, bisexuelle Mutter einer 13-jährigen Tochter, Kämpferin gegen Kopftuch und Patriarchat. Aber diesmal hat die Bedrohung für sie eine neue Qualität. „Ich mache die türkische Regierung und die türkische Presse dafür verantwortlich, dass ich die Morddrohungen erhalte.“

Dabei soll die Moschee doch ein Projekt des Friedens und der Öffnung sein. Acht Jahre lang hat Ates die Eröffnung vorbereitet,  drei Männer und  vier Frauen machen mit. Frauen und Männer sollen dort gemeinsam beten können. Frauen dürfen auch predigen, und zwar auf Deutsch. Homosexuelle sind willkommen. Und vor allem: Der Koran wird modern und liberal ausgelegt. 

Moderne Auslegung des Korans

„Es gibt nicht nur den Dschihad, sondern auch den Idschtihad“, erklärt sie, nicht nur den heiligen Krieg zur Verbreitung des Islam, sondern auch eine selbstständige islamische Rechtsfindung, die Setzung von Normen durch eigenes Urteil. Für einen solchen Islam sollen auch die beiden Namensgeber der Moschee stehen. Ibn Rushd war ein muslimischer Reformator aus dem 11. Jahrhundert, dessen Bücher verbrannt wurden. Goethe offenbarte in seinem „West-östlichen Divan“ Zuneigung zum Islam. Seyran Ates, selbst nie um wirkungsvolle Schlagwörter verlegen, beschreibt es so: „Wir bekämpfen mit dem Islam den Islamismus.“

Zur Eröffnung platzte der kleine Raum im dritten Stock eines Hinterhauses aus allen Nähten, auch weil 20 Fernsehteams dabei waren. Dass anschließend nie mehr als etwa zehn Muslime kamen, liegt für Ates an den Berichten der regierungsnahen türkischen Medien. Da stand, dass sie in der Moschee den Koran auf den Boden gelegt und draufgetreten hätten. Außerdem wurden Ates Verbindungen zur Gülen-Bewegung nachgesagt, die von der türkischen Regierung für den Militärputsch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. „Damit hat man uns zum Abschuss freigegeben, weil Gülen-Anhänger als Terroristen gelten.“ Auch die oberste Fatwa-Behörde in Ägypten, Dar al Iftaa, kritisierte die Moschee scharf. „Die haben geschrieben, die Gläubigen wüssten, was zu tun sei. Das ist nichts anderes als ein direkter Aufruf.“

Niemand stellt sich hinter sie

Aber auch die Reaktionen aus Deutschland haben sie verärgert, vor allem aus den islamischen Verbänden. Niemand stellte sich klar hinter Ates und ihr Projekt. „Dabei breite ich denen doch den großen Teppich aus. Warum ergreifen die nicht die Chance, dass wir Schulter an Schulter gegen Terrorismus kämpfen“, fragt sie und kennt schon die Antwort: „Dass Männer und Frauen hier zusammen beten, damit kommen die nicht klar.“

„Wir müssen innerhalb der Religion dafür kämpfen, dass es mehr Gleichberechtigung und weniger Extremismus gibt“, sagt Ates, „anders geht es nicht.“ Und selbstverständlich habe sie Angst. Aber gerade das mache sie wütend. „Ich lebe hier in einem freien Land,  und dass wir hier nicht in Freiheit leben können, weil immer mehr Extremisten herkommen und hier herangezogen werden, die uns das Leben zur Hölle machen, dagegen kämpfe ich.“ Immerhin sei sie nicht mehr allein: „Wir sind jetzt eine Gemeinde.“

 

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