Landtagswahl in NRW - Die SPD und das Ypsilanti-Gespenst

Kolumne: Grauzone. Erst in den letzten Zügen des Wahlkampfs hat NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft versprochen, dass es unter ihr keine Regierung mit Beteiligung der Linkspartei geben wird. Wer so lange zögert, sich klar zu positionieren, der hat dafür Gründe

Spieglein, Spieglein an der Wand – wird es Hannelore Kraft wie Andrea Ypsilanti gehen? / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Erinnert sich noch jemand an Andrea Ypsilanti? Richtig, da war doch was. Genau: Die Landtagswahl 2008 in Hessen. Hoch und heilig hatte die damalige Spitzenkandidatin der hessischen SPD während des Wahlkampfes eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei ausgeschlossen. Doch dann kam der Wahlabend. Und die mögliche rot-grüne Minderheitsregierung war auf Stimmen durch die Linke angewiesen. Ypsilanti entschied sich für die Machtoption, hatte die Rechnung jedoch ohne die Dissidenten in ihrer eigenen Fraktion gemacht. Die Wahl Ypsilantis wurde abgesagt. Der Rest ist Geschichte.

Seit jenen traumatisierenden Wiesbadener Herbstwochen werden die Sozialdemokraten das Gespenst Ypsilanti nicht mehr los. Und egal mit welchen Mittel sie es zu verscheuchen suchen: Der Plagegeist spukt durch die Köpfe aller Beteiligten, zumindest in den westlichen Bundesländern.

Wie sehr Ypsilanti die Genossen nach wie vor paralysiert, konnte man vor zwei Monaten im Saarland beobachten. Tapfer wählte Herausforderin Anke Rehlinger die Flucht nach vorn und schloss vor der Wahl eine rot-rote Koalition ausdrücklich nicht aus. Das Ergebnis ist allgemein bekannt.

Krafts Aussage kommt zu spät

Nun also trifft es Hannelore Kraft. Und keiner wird behaupten, dass sie bei dem Lavieren zwischen der Skylla der rot-roten Option und der Charybdis, diese vollständig auszuschließen, bisher eine gute Figur gemacht hat.

Am Mittwoch zog sie die Notbremse. Mit den Linken sei „keine seriöse Politik möglich“, weshalb es mit ihr als Ministerpräsidentin „keine Regierung mit Beteiligung der Linken geben“ werde, so Kraft gegenüber dem WDR.

Nun hätte eine solche Aussage vielleicht überzeugend gewirkt – wenn sie vor zwei Monaten gekommen wäre. Doch vier Tage vor der Wahl hinterlassen derartige Beschwichtigungsversuche einen schalen Beigeschmack. Denn hätte Hannelore Kraft eine Zusammenarbeit mit den Linken schon immer aus innerster Überzeugung abgelehnt – sie hätte sich schon vor langer Zeit von solchen Planspielen distanzieren können. Hat sie aber nicht.

Reines Lippenbekenntnis

Mehr noch: Selbst nach dem Untergang der mit Rot-rot kokettierenden Genossen von der Saar distanzierte sich Kraft nicht von dieser Option, obwohl das der letzte glaubwürdige Zeitpunkt gewesen wäre. Erst musste sich ihr neuer Parteivorsitzender, der ehemalige Hoffnungsträger Martin Schulz, gegen eine rot-rote Koalition aussprechen, bevor auch sie sich zu einem entsprechenden Statement durchrang.

Man braucht nicht jahrelang Psychologie studiert zu haben, um zu wissen: Wer so lange zögert, sich klar zu positionieren, der hat dafür Gründe. Und das bedeutet in anderen Worten: Der möchte sich alle Optionen so lange wie möglich offen halten. Es erhärtet sich ein Verdacht: Natürlich ist die Beteiligung der Linken an der Regierung des größten deutschen Flächenlandes für Hannelore Kraft im Grunde kein Problem. Sie hält es nur nicht für opportun, das auch zu sagen. Erst war es Desorientierung, dann kam auch noch Mangel an Haltung hinzu.

Die SPD ist nervös

Hinzu kommt: Hannelore Kraft ist nicht nur Ministerpräsidentin, sie ist auch Mitglied des SPD-Bundesvorstandes. Und in der ablaufenden Legislaturperiode wirkte sie häufig lustlos, manche würden sagen: amtsmüde. Die Formulierung, dass es mit ihr als Ministerpräsidentin keine rot-rote Zusammenarbeit geben werde, muss vor diesem Hintergrund nachdenklich stimmen. Mit ihr als Ministerpräsidentin mag ja sein. Aber wer garantiert, dass sich Kraft im Zweifelsfall nicht zurückzieht, um ihrem Landesverband mehr Beinfreiheit zu verschaffen?

Nach den Wahlschlappen im Saarland und in Schleswig-Holstein ist man in der SPD aus gutem Grund nervös. Hinzu kommt, dass die Bilanz der Regierung Kraft alles andere als glänzend ist: Bildung, Kriminalität, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Staatsfinanzen – NRW gibt in diesen Schlüsselbereichen kein gutes Bild ab. Auf eine erfolgreiche Landespolitik kann man kaum verweisen. Da kann der Amtsbonus leicht zum Amtsmalus werden. Die jüngsten Umfragen sehen auf jeden Fall traurig aus. Die Forschungsgruppe Wahlen sah am Freitag die CDU einen Prozentpunkt vor der SPD.

Mit dem Rücken zur Wand

Im Grunde steht die SPD in NRW vor einer No-win-Situation: Verliert sie die relative Mehrheit an die CDU, so ist das ein Debakel. Rettet sie ihre Rolle als stärkste Fraktion, wird sie in unattraktive Koalitionsverhandlungen gezwungen. Am Ende des Tages kann sie froh sein, mit der CDU in eine große Koalition zu gehen. Rückenwind ist das nicht.

Und dann droht da noch das Ypsilanti-Gespenst. Vermutlich wird manch einer im Willy-Brandt-Haus heimlich drei Kreuze machen, wenn es für Rot-rot-grün ohnehin nicht reichen sollte. Souveränität sieht anders aus. Und dem Land NRW und seinen Bürgern nützt dies alles ohnehin nicht.

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