Kritik an Polizeikontrollen - Ein Rechtsstaat muss sich an Regeln halten

Die diesjährige Silvesternacht in Köln verlief friedlich. Auch deshalb, weil die Polizei gezielt arabisch aussehende Männer kontrollierte. Das sogenannte Racial Profiling ist in diesem Fall zwar nachvollziehbar, sollte aber nicht zum Vorbild werden

Balanceakt für die Kölner Polizei: Zwischen Sicherheit-Gewährleisten und „Racial Profiling“ / picture alliance
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Houssam Hamade ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die taz und den Freitag.

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Die derzeitige Debatte um den Vorwurf des „Racial Profiling“ am Silvesterabend in Köln krankt an zu viel Wut. Dabei haben beide Seiten sinnvolle Argumente, blenden aber die der Gegenseite oft aus.

Zum einen ist klar: Es war richtig, dass die Polizei nach den schrecklichen Vorfällen im vergangenen Jahr große Anstrengungen unternommen hat, um eine Wiederholung zu vermeiden. Insbesondere im Hinblick auf die Opfer der Übergriffe ist der Polizei zu danken. An sich wäre es selbstverständlich richtig, genau die Männer herauszufiltern, die sich übergriffig und aggressiv verhalten. Eine Tatsache ist aber, dass die Dinge in Wirklichkeit oft nicht so funktionieren, wie sie eigentlich sollten. Vielleicht ist dieser Silvesterabend ein solcher Fall, in dem gehandelt werden musste, um erneut Schlimmes zu verhindern.

Aussehen als Auswahlkriterium

Also wurden Männer nach bestimmten äußeren Merkmalen eingeteilt, und zwar auf Grundlage von Erfahrungen des vergangenen Silvesters. Ein großer Teil der Personen waren „phänotypisch”, wie es heißt, „nordafrikanischer Herkunft”. So sind Gruppen, die diesem Phänotyp entsprechen, einige Stunden lang festgesetzt und ihre Personalien festgestellt worden. An diesem Abend in Köln gab es nur wenige Übergriffe. Wird das verursachte Leid der unschuldig festgesetzten Männer direkt in Vergleich gesetzt zum Leid der Frauen, die unter sexualisierten Übergriffen von vorherigem Silvester zu leiden hatten, ist ganz eindeutig, dass Letzteres wichtiger ist. Das Verhalten der Polizei scheint hier im Sinne einer Interessenabwägung richtig.

Allerdings lässt sich so alles Mögliche rechtfertigen. Gerade angesichts des Traumas terroristischer Gewalttaten schmelzen die bürgerlichen Grundrechte im direkten Vergleich zu einer Belanglosigkeit zusammen. Plötzlich scheint der Polizeigewahrsam ohne richterliche Erlaubnis sinnvoll, ebenso wie die Aufhebung der Privatsphäre. Auch Folter lässt sich nach dieser Denkweise rechtfertigen. Es wird ja „nur“ eine Person gefoltert, um möglicherweise das Leben von hunderten zu schützen.

Das Problem ist, dass der Staat damit langsam aber sicher selbst zum Verbrecher wird. Diese Erfahrung haben verschiedenste Gesellschaften immer wieder gemacht. Genau darum bedeutet eine liberale Demokratie zuallererst auch Rechtsstaatlichkeit. Gerade dies macht einen Rechtsstaat aus: Dass er sich an unbequeme Regeln halten muss, die im Einzelfall unlogisch erscheinen mögen. Eine demokratische Zivilgesellschaft macht wiederum aus, dass Ärger gemacht wird, sobald der Staat diese Grenzen überschreitet. Die Grundrechte müssen verteidigt werden. Es reicht auch nicht zu behaupten, diese eine Grenzüberschreitung mache noch keinen autoritären Polizeistaat. Denn die Grenzen sind selten eindeutig und verschieben sich mit der Zeit immer weiter. Selbst ein Erdogan hat, glaubt man ihm und seinen Anhängern, gute Gründe für das Auflösen des türkischen Rechtsstaates.

„Racial Profiling“ widerspricht dem Grundgesetz

Die Grenze ist in unserem Grundgesetz in Artikel 3.3 festgelegt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, [..] benachteiligt oder bevorzugt werden. Racial Profiling“ ist verboten. Und selbstverständlich ist es eine rassistische Benachteiligung, wenn jemand auf Grund seiner Haar- und Hautfarbe nicht Silvester am Kölner Hauptbahnhof feiern darf. Insofern war das Verhalten der Polizei eine Grenzüberschreitung. Daran kann es keinen Zweifel geben. Rassismus ist nicht nur das, was Hitlers Helfer in den Gaskammern betrieben haben, sondern es beginnt schon damit, „Südländern“ zu unterstellen, keine Individuen zu sein, sondern blind ein kulturelles oder genetisches Programm abzuspulen.

Und dem ist nur beizukommen mit der Bereitschaft zu handeln und zu reflektieren. „Racial Profiling“ ist Alltag in Deutschland. Menschen mit dunklerem Teint werden häufiger kontrolliert und angezeigt als augenscheinlich Deutschstämmige. Das hat beispielsweise den Effekt, dass es die Kriminalstatistiken verzerrt. Auch ist nachweisbar, dass Ausländer weniger leicht Jobs und Wohnungen bekommen. Wer selbst schon die Erfahrung gemacht hat, wie es ist, als Typus und nicht als Individuum behandelt werden, weiß, wie demütigend das ist. Es gibt sehr gute Gründe dafür, dass das Grundgesetz in seinen ersten Worten die Würde des Menschen verteidigt. Diese Anerkennung der Menschenwürde sollte die Grundlage unseres Wertesystems sein und ebendiese muss entschlossen verteidigt werden.

Zu jenen guten Gründen gehört auch, dass das Einordnen und unter Generalverdacht stellen der „Nafris“ eine schlimme Art zu denken stärkt: Nämlich das Einsortieren einer bestimmten Gruppe Menschen, hier „die Nordafrikaner“, in eine nach ethnischen Kriterien sortierte Schublade und den Inhalt dieser Schublade zu homogenisieren und zu kriminalisieren.

„Der Nordafrikaner“ als Feindbild

Das führt in Deutschland und vielen anderen Ländern zu grassierendem Rassismus. Viele scheinen überzeugt davon, dass Nordafrikaner, zu denen ganz unterschiedliche Menschen zählen, mehrheitlich aggressive Grabscher seien, die es zu kontrollieren gilt. Dabei trifft das auf die Mehrheit eben nicht zu. Wenn es innerhalb dieser Gruppen zu Häufungen kommt, kann das alle möglichen Gründe haben. Einfach nur den „Kulturkreis, der genau so wenig homogen ist, wie Deutsche homogen sind, oder gar irgendwelche Gene dafür verantwortlich zu machen, ist gefährlich und zu kurz gedacht. Menschliches Verhalten ist komplex und lässt sich nicht auf einen einzelnen Faktor reduzieren. Kulturelle Faktoren spielen zwar stets eine Rolle, aber das tun auch Alter, Geschlecht, die soziale Lage, die Biographie, der Bildungsstand und das persönliche Umfeld. Wie groß wäre der Aufschrei, wenn Leute aus Sachsen – weil sie Sachen sind – zu Silvester stundenlang eingekesselt und festgesetzt würden, weil man ja wisse, dass „die Sachsen” zu Rechtsextremismus neigten?

Noch einmal: Oft lässt sich das, was eigentlich richtig ist, nicht durchsetzen. Insofern ist das Handeln der Kölner Polizei um die Trefferquote zu erhöhen an besagtem Abend nachvollziehbar. Gleichzeitig ist es verlockend einfach, andere, eine sowieso schon marginalisierte Gruppe, diesen hohen Preis bezahlen zu lassen. Nur zu sagen, das habe nichts mit Rassismus zu tun, man solle doch bitte den Mund halten, die Polizei mache eben ihre Arbeit, wie Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft das tut, ist falsch. Zu Recht wurde er in einem Facebook-Post der Gewerkschaft der Polizei als Populist angegriffen. Der Post wurde inzwischen gelöscht. Auch den Sachverhalt auf die Entscheidung zwischen „Racial Profiling“ und Massenvergewaltigung zu reduzieren, wie Beatrix von Storch bei Twitter schreibt, ist unredlich und treibt die Spaltung unserer Gesellschaft weiter voran.

Racial Profiling“ führt nicht zum Ziel

Richtig und in einer demokratischen Zivilgesellschaft angemessen ist es, die Debatte offen und nüchtern zu führen. Vielleicht war das Verhalten der Polizei in diesem speziellen Fall zu rechtfertigen, weil damit Schlimmeres vermieden wurde. Ein „Ausnahmezustand nach dem Ausnahmezustand, wie es im Tagesspiegel hieß. Polizeiarbeit ohne das Verwenden von äußerlichen Merkmalen ist schließlich schwerlich möglich. Laut Kriminologin Daniela Hunold lässt sich aber nachweisen, dass gerade das Racial Profiling nicht zu vernünftigen Ergebnissen führt und andere polizeiliche Methoden deutlich besser geeignet sind.

Von einem „Alles richtig gemacht“, wie es von der Bild-Zeitung und allen Kommentarspalten der Republik her tönt, ist die Sachlage aber weit entfernt. Es ist nämlich nicht nur Aufgabe der Polizei, sich innerhalb bestimmter Regeln zu bewegen, sondern auch, Menschen vor möglicher rassistischer Diskriminierung zu schützen.

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