Krisenkommunikation der Bundesregierung - „Ein paar Wahrheiten müssten noch härter formuliert werden“

Wie gut die Bundesregierung die Corona-Krise managt, hängt auch von ihrer Kommunikation ab. Bislang hat die Mehrheit der Bürger die Ausgangsbeschränkungen befürwortet, doch jetzt werden die Nerven dünn. Ein Experte erklärt, was passiert, wenn sich die Kommunikation in Durchhalteparolen erschöpft.

Ansprache an die Nation: „Und wenn Ihr nicht brav seid, ist es auch nicht so schlimm“ / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Christian Scherg ist einer der bekanntesten deutschen Reputationsmanager. Seit 13 Jahren macht er Krisenmanagement für Politik und Wirtschaft. 

Herr Scherg, normalerweise spricht die Kanzlerin nur an Silvester direkt zu den Bürgern. Jetzt hat sie sie auch in der Coronakrise eine Rede an die Nation gehalten. Wie wichtig ist die persönliche Ansprache in einer Ausnahmesituation?  
Das ist absolut wichtig. Die Kanzlerin hat in dieser Rede das überwunden, was sie von uns verlangt, den gefühlten Sicherheitsabstand. Mich hat das berührt.

Die Kanzlerin, mal ganz menschlich?
Ja, sie hat zum ersten Mal versucht, die Menschen emotional abzuholen. Aber das geht natürlich auf Kosten der Eindringlichkeit. Sie hat ein bisschen was von Mutti: „Und wenn ihr nicht brav seid, ist es auch nicht so schlimm.“

Wäre es ehrlicher gewesen, wenn sie wie Frankreichs Präsident Macron gesagt hätte: „Wir sind im Krieg?“
Ja, es trifft es besser. Aber es hätte nicht zu unserer Bundeskanzlerin gepasst.

Die Bundesregierung wird weltweit für ihr „vorbildliches Krisenmanagement“ in der Corona-Krise gelobt. Wie wichtig ist dabei die Kommunikation?
Die  Corona-Krise bedeutet massive und plötzliche Veränderungen, die den Lebensalltag der gesamten Bevölkerung erheblich einschränken. Gerade in einer so hochdynamischen Krise ist eine gute und vor allem vorausschauende Krisenkommunikation absolut notwendig. Die Kommunikation darf den Ereignissen nicht wie ein Lazarettwagen hinterherfahren, sonst droht ein massiver Reputations- und Vertrauensverlust, und ohne Vertrauen in die Politik richtet eine globale Krise dieser Größenordnung auch über die nächsten Jahre noch viel mehr Schaden an, als sie es jetzt schon tut.

In einem Leitfaden des Bundesinnenministeriums zur Krisenkommunikation von 2008 heißt es: „In der Krise ist es erforderlich, bei allen Verantwortlichen den gleichen Informations – und Wissensstand sicherzustellen sowie Medien und Bevölkerung möglichst umfassend, aktuell, widerspruchsfrei und wahrheitsgemäß zu informieren. Wird die Regierung in der Coronakrise ihren eigenen Ansprüchen gerecht?
Die genannten Punkte sind erstmal ehrenwerte, aber abstrakte Ansprüche. Sie müssen hinter den realen Bedingungen einer hochdynamischen Krise wie einer Pandemie zurückbleiben. Widerspruchsfrei, aktuell und umfassend zu informieren, ist ein hehres Ziel – wie ein auf dem Reißbrett geplanter Spielzug, der auf dem Platz mit seinen vielen Parametern niemals so sauber und stringent umzusetzen ist. Zumal dann nicht, wenn der Gegner so unberechenbar wie das Coronavirus ist.

Wieviel Wahrheit darf die Regierung den Bürgern denn zumuten, ohne das Risiko einzugehen, Panik auszulösen?
Es gibt nicht nur besorgte Bürgerinnen und Bürger – wenn ich mir am Osterwochenende die Massen an Spaziergängern angeschaut habe, die nicht den notwendigen Abstand einhielten, sind wir von Panik bei vielen noch weit entfernt. Ganz im Gegenteil: Ein paar Wahrheiten müssten noch härter formuliert werden, um die Dringlichkeit und Alternativlosigkeit der verordneten Maßnahmen deutlich zu machen. Wohldosierte Angst ist manchmal leider ein notwendiges Übel, um kollektive Disziplin und die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten.

Anfang April wurde den Medien ein internes Papier aus dem Innenministerium zugespielt, das düstere Szenarien zwischen einem geordneten Krisen-Ausstieg und Corona-Aufständen enthielt. Darin heißt es unter anderem, im schlimmsten Falle könne eine ungebremste Ausbreitung des Corona-Virus eine Million Menschen das Leben kosten und zum wirtschaftlichen Zusammenbruch führen. Wer, glauben Sie, hatte ein Interesse daran, dass dieses Papier an die Öffentlichkeit kam?
Keine Ahnung, aber ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung das Papier selbst veröffentlicht hätte, um die Ernsthaftigkeit der Situation zu unterstreichen und aufzuzeigen, dass sie auch vor den schlimmsten möglichen Szenarien nicht die Augen verschließt.

Strapaziert man die Geduld und die Leidensfähigkeit der Bürger so nicht über?  
Nein, den Arbeitsplatz zu verlieren und abgeschnitten zu sein von Freunden und Kollegen, das ist für viele jetzt schon der worst case. Wenn ich schon so ein großes Opfer bringe, muss ich doch auch wissen, wofür. Und dann muss mir die Bundesregierung auch erklären, womit ich im schlimmsten Fall noch zu rechnen habe.

Christian Scherg / privat 

Die Union hat so gute Umfragewerte wie schon lange nicht mehr. Kann sich eine Regierung in Krisenzeiten mehr erlauben oder arbeitet die Kanzlerin so gut, dass ein Lapsus wie der mit dem geleakten Papier nicht ins Gewicht fällt?
Die emotionale Ansprache von Angela Merkel strahlt noch immer positiv aus – stärker als jedes geleakte Papier. Momentan geht es um Reputation und Vertrauen – wie gut oder schlecht die geleistete Arbeit ist oder sein wird, ist in dieser Phase noch nicht entschieden. Die Infektionsgeschwindigkeit wurde ja schon gedrosselt, aber dieser erste Erfolg ist noch ein zartes Pflänzchen. Deshalb zehren die Politiker von ihrem in der Vergangenheit angesparten Konto – nur ist hier die Währung nicht Euro, sondern Vertrauen. Nur durch Handeln, Erfolge und Kommunikation kann dieses Konto wieder aufgefüllt werden.

Aber das Vertrauen in die Kanzlerin hat doch schon in der Flüchtlingskrise einen Kratzer bekommen.
Keine Frage, und dieser Kratzer war erheblich. Trotzdem traut man ihr immer noch am ehesten zu, dass sie diese Krise ruhig und sachlich meistert. Ich würde mir da allerdings mehr Klarheit und Stringenz wünschen. Wir brauchen jemanden, der wie so ein Käptn sagt: Wir fahren da jetzt durchs Eis.  

Sie meinen Markus Söder?
Ja, in der jetzigen Situation vereint er tatsächlich eine Reihe von Eigenschaften, die in der Krisenkommunikation wichtig sind.

Der Ethikrat kritisiert, dass die Regierung keine breite Debatte über die Auswirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronakrise führt. Warum scheut die Regierung diesen öffentlichen Diskurs? 
Jede öffentliche Diskussion dieser Art ist zum jetzigen Zeitpunkt denkbar ungeeignet. Es ist wichtig und folgerichtig, dass der Ethikrat diese Kritik äußert. Ebenso folgerichtig ist es von der Regierung, diese Debatte zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu führen, da es erst kleine Erfolge zu kommunizieren gibt. Wir können uns diese ethische Diskussion erst leisten, wenn wir Menschenleben gerettet haben. Sonst müssen wir uns als nächstes die Frage stellen, welches Menschenleben wichtig ist und welches weniger wichtig ist. Und ich würde mir wünschen, dass uns diese Entscheidung erspart bleibt. 

Was würden Sie der Bundesregierung empfehlen: Was könnte sie besser machen?
Die gesamte Bevölkerung ist aktuell zum Abwarten verdammt. Die Kommunikation der Bundesregierung fokussiert sich zurzeit auf Durchhalteparolen und den Appell an die individuelle Disziplin jedes einzelnen, auf persönliche Kontakte zu verzichten. Die Bundesregierung braucht aber eine übergeordnete Strategie die sie neuen Situationen anpassen kann. Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Das muss klar kommuniziert werden. Wenn dieses Ziel fehlt, geht auch noch die Solidarität verloren. Der Virus vernichtet dann nicht nur wirtschaftliche Güter, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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