Ärger über Winfried Kretschmann - Winnie, the Pooh

Das „Sommerlochtier“ des Jahres 2021 ist ein Problembär, der zielsicher von Fettnapf zu Fettnapf tappst, um von der Kampagne gegen die grüne Kanzlerkandidatin abzulenken. Gute PR geht anders. Aber Winfried Kretschmann spielt seine Rolle überzeugend.

Der Problembär der Grünen: Winfried Kretschmann / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Erinnert sich noch jemand an Bruno, den Problembären? An Kuno, den Killerwels oder die Kuh Yvonne, die einfach so mir nichts, dir nichts aus ihrer Weide im österreichischen Liesertal ausbrach? Diese drei Tiere hatten alle eines gemeinsam. Sie verschwanden ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. Mitten im Sommerloch. In der Zwischenzeit sorgten sie dafür, dass es den Menschen in der nachrichtenarmen Zeit nicht langweilig wurde. Ein Braunbär, der Schafe riss. Ein Killerwels, der Dackel fraß. Oder eine Kuh, die sich selbständig machte. Über mangelnden Gesprächsstoff konnte man sich da nicht beklagen.

In diesem Sommer ist noch kein Tier in Sicht, das uns die Schlagzeilen-ärmeren Wochen versüßt. Macht aber nix. Wir haben ja Winfried Kretschmann. Winnie the Pooh glänzt in diesem Sommerlochtheater in der Rolle als Bär mit Hose, aber ohne Impulskontrolle. Kaum hatten die Ferien begonnen, da ploppte die erste Hiobsbotschaft auf: „Kretschmann stellt Bundesbildungsministerium in Frage.“ Für Bildung seien schließlich die Länder zuständig.

Gendern in der Krabbelgruppe 

Kaum hatte er das ausgesprochen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Genau daran kranke doch das Bildungssystem, wetterten Liberale. Der Bund müsse eher noch mehr Kompetenzen bekommen, damit die Schere zwischen den Bundesländern nicht noch weiter auseinandergehe. Hinke Deutschland im internationalen Vergleich nicht auch deshalb schon heute weit hinterher, weil jedes Land macht, was es will?

%paywall%

Baden-Württemberg galt lange als Klassen-Primus unter den Bundesländern. Doch bei Bildungstests ist es zuletzt abgesackt. In der Corona-Krise dürfte das Niveau noch weiter gesunken sein. Eine grüne Kultusministerin soll das Ruder jetzt herumreißen. Viele verfolgen das mit Argwohn. Was kommt da auf die Kinder zu? Gendern schon in der Krabbelgruppe? Vegetarisches Kochen als Schulfach? Schon in der Vergangenheit war die Partei damit angeeckt, dass sie den Kampf um Anerkennung sexueller Vielfalt im Bildungsplan festschrieben ließ.

Der Traum vom eigenen Außenministerium 

Doch noch abenteuerlicher als die Forderung nach Abschaffung des Bundesbildungsministeriums war jetzt die Begründung dafür, warum die Hoheit über die Schulen künftig allein bei den Ländern liegen sollte: „In Baden-Württemberg gibt es ja auch kein Außenministerium.“ Wer wollte, konnte das als Bewerbung des Landesvaters für die Nachfolge des glücklosen Heiko Maas (SPD) in einer schwarz-grünen Bundesregierung interpretieren. Winnie the Pooh – in neuer Mission.

War Kretschmann die baden-württembergische Sonne zu lange auf den Kopf gebrannt? Oder sah er sich angesichts sinkender Umfragewerte für die Grünen genötigt, von der Kampagne gegen ihre grüne Kanzlerkandidatin abzulenken, indem er sich selbst zur Zielscheibe der Kritik machte? Die Empörung über seinen Vorstoß war kaum verraucht, da tappste unser Problembär in den nächsten Fettnapf. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung forderte er harte Eingriffe in die Bürgerfreiheiten, um Pandemien schneller in den Griff zu bekommen. Auch jetzt ging wieder ein Rascheln durch den Blätterwald.

Das Schreckgespenst vom grünen Verbotsstaat  

War die Bundesnotbremse nicht schon hart genug? Hatte sie die Demokratie nicht auf eine Zerreißprobe gestellt? Lockdown, Homeschooling, das existenzielle Aus für Gastronomen, Einzelhändler oder Künstler – und das alles bei sinkenden Inzidenzen im einstelligen Bereich. Woher nahm Kretschmann das Recht, neue Eingriffe zu fordern, obwohl nicht mal erwiesen war, ob die bisherigen Eingriffe das Infektionsgeschehen eingedämmt hatten?

Da stand es plötzlich wieder im Raum – das Schreckgespenst des grünen Verbots- und Überwachungsstaats. Jetzt hebe Kretschmann endgültig ab, hieß es bei der SPD in Baden-Württemberg. Und es fiel der Name Louis XIV. Sonnenkönig von Gottes Gnaden. Irgendjemand muss dem Ministerpräsidenten schonend beigebracht haben, dass das keineswegs ein Akt der Ehrerbietung war, sondern eine Klatsche. Jedenfalls beeilte er sich, wieder zurückzurudern. „Im Rechtsstaat gilt immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – und zwar immer und ohne Einschränkung.

Noch mehr Ärger kann Baerbock nicht gebrauchen 

Die beiden Chefs der Bundespartei werden es mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben. Noch mehr Ärger können sie nach der Kritik an dem geschönten Lebenslauf der Kanzlerkandidatin und den Plagiatsvorwürfen wegen ihres Buchs nicht gebrauchen. Seither ist es wieder still um Winnie the Pooh geworden. Wenn nichts alles täuscht, ist er im Sommerloch verschwunden. Von dem Comic-Zeichner Rötger Feldmann („Werner“) stammt der schöne Satz: „Ein Taucher, der nicht taucht, taugt nix.“ Ein Problembär, der zielsicher in jeden Fettnapf tritt, aber auch nicht.

Sommerloch hin, Wahlkampf her.

Anzeige