Masken, Aserbaidschan, Schwarzgeld - ...der werfe den ersten Stein

Während sich die Unionspolitiker angesichts des Korruptionsskandals in den eigenen Reihen fassungslos zeigen, schlagen Sozialdemokraten genüsslich auf den Koalitionspartner ein. Was hätte Jesus gesagt?

Erhobener Zeigefinger – aber hat Wolfgang Schäuble nicht selbst Erfahrung mit Korruption? / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Wolfgang Schäuble, der alte Herr der CDU, Bundestagsmitglied seit 1972 und dessen Präsident seit 2017, erhob am gestrigen Tage den Zeigefinger. Zu den Fällen der Masken-Gewinnler Nüsslein und Löbel sagte er der FAZ: „Wenn dabei einzelne Abgeordnete die Notlage ausgenutzt haben, um sich persönlich zu bereichern, ist das schlicht unanständig und mit dem Mandat nicht vereinbar.“ Und er fügte hinzu, nun schon in Richtung des Thüringer CDU-Abgeordneten Hauptmann, der im Verdacht steht, für Geld Lobby-Arbeit für das diktatorisch regierte Aserbaidschan gemacht zu haben: „Das gilt genauso, wenn der Verdacht im Raum steht, ein Abgeordneter sei in der Mandatsausübung zugunsten eines anderen Landes käuflich gewesen.“

In den Reihen der CDU und CSU herrscht kollektiver Schüttelfrost, weil die Skandale dieser Woche den Sinkflug in den Umfragen zur Bundestagswahl noch verstärken dürften. Die Opposition, aber auch der Koalitionspartner SPD dreschen fröhlich ein auf die Union. Angesichts des Furors wünschte man sich da doch zuweilen einen Moment des Innehaltens und der Bibellektüre.

100.000 Mark vom Waffenhändler

Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“, sagt Jesus auf dem Ölberg zu den Pharisäern, die eine Frau steinigen wollen, die sie auf frischer Tat beim Ehebruch erwischt haben. „Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten“, heißt es im Johannes-Evangelium.

Kommen wir nun nochmal zu Wolfgang Schäuble, der die mangelnde Moral seiner Fraktionskollegen Nüsslein, Löbel und Hauptmann beklagte. Jener Wolfgang Schäuble nahm 1994 in seinem Bonner Büro vom Waffenhändler und CSU-Mitglied Karlheinz Schreiber in einem Briefumschlag 100.000 Mark in bar entgegen. „Ungeöffnet und unverändert“ will er den Umschlag an die CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister weitergegeben haben, wie er im Jahr 2000 aussagte. Das Geld tauchte in keinem Rechenschaftsbericht der CDU auf und gehört zum Komplex der millionenschweren CDU-Schwarzgeldaffäre, die nach dem Ende der Ära Kohl aufflog. Sein Bundestagsmandat legte Schäuble nicht nieder. Nur seine Träume, Bundeskanzler zu werden, musste er wegen der Verwicklung in die Spenden-Affäre begraben.

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Die Affäre um schwarze Kassen bei der CDU, deren Existenz 1999 und 2000 aufflog, ist anders gelagert als der jetzige Skandal. Aber er hat auch nicht „nullkommanull“ damit zu tun, wie es CDU-Chef Armin Laschet am Donnerstag ausdrückte. Zwar war das, was die CDU-Granden um Helmut Kohl taten, keine persönliche Bereicherung wie im Fall der Masken-Geschäfte. Aber politische Korruption, wie im Fall der Aserbaidschan-Freunde innerhalb der Union, lautete auch damals der Vorwurf. Warum sollte ein Waffenhändler wie Schreiber sonst 100.000 Mark an die CDU spenden, und warum sonst landete das Geld in einer schwarzen Kasse?

Roter Filz von Düsseldorf bis Frankfurt

Dass führende Sozialdemokraten nun genüsslich auf die CDU eindreschen, ist erwartbar: Schließlich ist Wahlkampf! Aber auch in diesem Teil des politischen Spektrums täte anstelle der moralischen Zeigefinger-Twitterei ein wenig Bibel-Lektüre gut.

„Es ist beängstigend, was dieser Tage alles ans Tageslicht befördert wird. Aber es ist gleichzeitig gut zu sehen, dass es einen kritischen Journalismus gibt, der seine Aufgabe ernst nimmt und sich um die Transparenz verdient macht, die andere krampfhaft vermeiden wollen“, schreibt SPD-Parteivize Kevin Kühnert am heutigen Tage. Er selbst mag angesichts seines Alters und seiner Ämterlosigkeit noch frei von Sünde sein, aber in Sachen Korruption kann auch seine Partei auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen.

Lobby für Gazprom

Man kann bei Ex-Kanzler Gerhard Schröder beginnen, der sich für seine Lobbyarbeit in Diensten von Gazprom und Rosneft fürstlich bezahlen lässt. Oder beim Filz aus Politik, Wirtschaft und Banken, der sich in Nordrhein-Westfalen nach vier Jahrzehnten SPD-Regierung herausgebildet hatte – googeln Sie einfach mal „Düsseldorfer Flugaffäre“. Oder wie wärs mit einem frischen Beispiel? Gerade heute gab die Staatsanwaltschaft Frankfurt bekannt, dass sie gegen den sozialdemokratischen Oberbürgermeister Peter Feldmann wegen des Verdachts der Vorteilsnahme ermittelt. Dahinter steht ein Geflecht, in dem sich Sozialdemokraten und führende Mitarbeiter der SPD-nahen Arbeiterwohlfahrt über Jahre gegenseitig Posten, Aufträge und Dienstwagen zugeschoben haben. Dass das hessische AWO/SPD-Geflecht kein Unikum ist, zeigen vergleichbare Fälle aus Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

Vielleicht, dieser Gedanke sei mir erlaubt zum Ende meiner kurzen Freitagspredigt über Pharisäer und Moral, sind die aktuellen Korruptionsfälle auch ganz einfach ein Hinweis darauf, dass dieser auf 709 Mitglieder aufgeblähte Bundestag einfach zu groß ist, um jedem Mitglied eine sinnstiftende Aufgabe zu ermöglichen.

In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, auch der CDU-Abgeordnete Olav Gutting sei in Aserbaidschan gewesen. Richtig ist, dass er mehrere Jahre Mitglied der Parlamentariergruppe Südkaukasus war. Gutting ist jedoch nie nach Aserbaidschan gereist. Richtig ist, dass Gutting in einem Interview 2020 folgendes sagte: "Was ich immer wieder faszinierend finde in Aserbaidschan, ist zum Beispiel die lange demokratische Historie, dass Sie schon seit 100 Jahren Demokratie und Parlament haben."

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