Kopftuch-Debatte - Warum wir ein Kopftuchverbot für Mädchen brauchen

Die CDU will ein Kopftuchverbot für Mädchen an Grundschulen prüfen lassen. In Österreich gilt dieses Verbot schon seit Mai. Jetzt könnte ihm das Gutachten eines Verfassungsrechtlers auch hierzulande den Weg ebnen

Nicht ohne mein Kopftuch? Können muslimische Mädchen selber entscheiden, ob sie sich verhüllen? / picture alliance
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Christine Zinner studierte Sozialwissenschaften und Literaturwissenschaft und ist freie Journalistin.

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Im Mai wurde in Österreich ein Kopftuchverbot an Grundschulen beschlossen. Auch in Deutschland wäre die Mehrheit der Bevölkerung nach einer YouGov-Umfrage für ein solches Verbot. In der CDU findet die Debatte darüber Zustimmung. „Kopftücher im Kindergarten oder in der Grundschule haben mit Religion oder Religionsfreiheit nichts zu tun, das sehen auch viele Muslime so“, kritisierte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz befürwortete die Prüfung eines Verbots. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Alexander Lorz (CDU), glaubte dagegen nicht, dass ein solches vor dem Verfassungsgericht bestehen könnte.

Ein Gutachten, das der Verfassungsrechtler Martin Nettesheim gerade für die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes erstellt hat, kommt jedoch zu einem anderen Schluss. Ein Verbot von Kopftüchern für Mädchen unter 14 Jahren sei durchaus möglich. Nettesheim verweist auf Artikel 7, der seiner Ansicht nach auf der Überzeugung fußt, dass Kinder „noch nicht die Reife haben, in Glaubens- und Weltanschauungsfragen selbstbestimmt entscheiden zu können“. Die religiöse Selbstbestimmung gilt bei uns ab 14 Jahren.

Akt der religiösen Indoktrination 

Alexander Lorz glaubt, dass dieses Gutachten deshalb nicht vor dem Verfassungsgericht bestehen wird, weil die Eltern sich auf ihre Religionsfreiheit berufen würden. Aber was ist mit der Religionsfreiheit der Kinder? Freiheit setzt voraus, dass sich Menschen bewusst für oder gegen etwas entscheiden können. Ob Neun- oder Zehnjährige dazu in der Lage sind, ist fraglich. Zwar merken sie, dass sie das Kopftuch im Alltag einschränkt. In diesem Alter dürften sie sich der Bedeutung des Anlegens eines Kopftuches aber noch nicht bewusst sein. 

Schon unter Vierzehnjährige dazu zu nötigen, das Tuch zu tragen, ist religiöse Indoktrination. Wenn Mädchen schon von klein auf lernen, dass sie ohne  Kopftuch unehrenhaft und gottlos seien, werden sie dazu konditioniert, sich ohne es nackt  zu fühlen. Von einer freien Entscheidung kann dann auch keine Rede sein. Wer hier mit dem Recht der Eltern argumentiert, ihre Kinder religiös zu erziehen, kann auf die Rechte der Mädchen auf  freie Entfaltung keinen großen Wert legen. Er setzt das Recht der Eltern über das Wohlergehen des Kindes.

Ein Akt der Männerverachtung

Terre de Femmes weist darauf hin, dass  das Kopftuch Mädchen dazu zwingt, „möglichst früh ein patriarchalisches Frauenbild zu verinnerlichen, das diskriminiert und dadurch sexuelle Gewalt sogar verstärkt.“ Das Verdecken des Haares symbolisiert  zwar Keuschheit und Reinheit. Trotzdem  sexualisiert das Kopftuch die Mädchen, denn es verweist ja darauf, dass sie von den begehrenden Blicken der Männer irgendwie geschützt werden müssen.

Damit ist der Akt des Verhüllens eines Kindes mindestens ebenso männer- wie mädchenverachtend. Denn was für ein Männerbild steckt dahinter, wenn eine Neunjährige Kopftuch tragen soll, um Männer nicht in Versuchung zu führen? Sehen die Eltern in jedem Mann einen potentiellen Pädophilen und Vergewaltiger? Und wenn das so ist, sollten Mädchen dann wirklich dazu erzogen werden, dem Vorbild ihrer Mütter zu folgen? 

Hindernis auf dem Weg zur Integration

Was so eine Neunjährige wohl ihren Klassenkameraden erzählt, wenn die sie fragen, warum sie immer ein Tuch auf dem Kopf trägt? Und ob die das dann nachvollziehen können? Die Gefahr der Ausgrenzung besteht. Auch die Teilnahme am Schwimm- und Sportunterricht wird erschwert. Wenn die Mädchen schon in der Kindertagesstätte oder in der Grundschule zu spüren bekommen, dass sie anders sind, behindert das die Integration. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, in dem die Mehrzahl der islamischen Mädchen an einer Schule Kopftuch tragen. Dann werden manchmal diejenigen gemobbt, die ihr Haar zeigen. Erzieht man Mädchen so zu Offenheit und Toleranz?

In Deutschland gibt es inzwischen zu viele Verbotsdebatten. Verbote sind jedoch nur dann angemessen, wenn sie verhindern können, dass die Freiheit des einen die Freiheit des anderen verletzt. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Sie sollten nur dann eingesetzt werden, wenn sie helfen, die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Deswegen ist auch ein allgemeines Kopftuchverbot abzulehnen. Erwachsenen Frauen kann man zutrauen, dass sie zu einer bewussten Entscheidung fähig sind. Nötigen jedoch Eltern ihre Kinder dazu, das Kopftuch zu tragen, schränkt ihre Religionsfreiheit  die Entfaltungsfreiheit ihrer Mädchen ein. Damit diese überhaupt die Möglichkeit haben, diese Freiheit kennenzulernen, gilt es, sie mit einem Verbot zu schützen.

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