Konservative in der CDU - „Wer nur die Laufkundschaft bedient, verliert die Stammkunden“

Unter Angela Merkel sind viele konservative Bastionen gefallen. Innerhalb der CDU formiert sich jetzt Widerstand in Form des Verbands „WerteUnion“. Doch werden diese Stimmen auch in der Parteispitze gehört? Ein Gespräch mit Christean Wagner, Mitglied des Verbands und ehemaliger Justizminister in Hessen

Die gute Laune zwischen Christean Wagner (ganz rechts) und Angela Merkel ist verflogen / picture alliance
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Herr Wagner, Angela Merkel hat die „Ehe für alle“ mehr oder weniger durchrutschen lassen und damit eine weitere konservative Bastion geschleift. Sie sind Mitglied des Zusammenschluss „WerteUnion“, der konservativen Themen innerhalb der CDU mehr Gewicht geben will. Stehen Sie jetzt vor einem Scherbenhaufen?
Ich weiß nicht, ob Frau Merkels diesbezügliche Äußerung in der Brigitte versehentlich gefallen ist oder absichtsvoll. Wenn die CDU-Bundesvorsitzende das Thema „Ehe für alle“ aus Versehen angestoßen hat, wäre das eine nicht entschuldbare Nachlässigkeit. Hat sie das Thema aber bewusst in die politische Debatte getragen, muss ich nachdrücklich auf das Grundsatzprogramm der CDU verweisen. Dort steht klar und eindeutig, dass die „Ehe“ die Verbindung zwischen Mann und Frau ist. Außerdem haben wir entsprechende Parteitagsbeschlüsse. Deswegen ärgert mich auch das Prozedere. Die SPD hat einen Koalitionsbruch begangen. Sich mit der Opposition verbündet und die „Ehe für alle“ in der letzten Sitzung des Bundestags vor der Sommerpause durchgepaukt. Immerhin hat Frau Merkel mit „nein“ gestimmt und befindet sich damit in der Mehrheit der Unions-Abgeordneten.

Die ganze Geschichte hat aber den Eindruck verstärkt, dass die Konservativen große Schwierigkeiten haben, sich in der CDU durchzusetzen. Werden die konservativen Stimmen in der CDU nicht mehr gehört?
Wir weisen schon lange darauf hin, dass der CDU wertkonservative und liberal-konservative Wähler abhanden kommen. Nicht zufällig ist ja rechts von der CDU die AfD entstanden, in der einige langjährige CDU-Mitglieder mitwirken. Dabei haben die Konservativen immer untrennbar zum Stammwählerbestand der CDU gehört. Es ist dauerhaft kein erfolgreiches Geschäftsmodell, die Laufkundschaft zu bedienen, aber dabei die Stammkundschaft zu verlieren.

Aber liegt es auch daran, dass konservative Stimmen wie die der „WerteUnion“ sich nicht genügend Gehör verschaffen?
Die WerteUnion ist ja erst ein halbes Jahr alt. Und ich halte es für ein Phänomen, wie plötzlich in allen CDU-Landesverbänden konservative Initiativen wie Pilze aus dem Boden schießen. Das ist doch ein deutlicher Hinweis darauf, dass unter den CDU-Mitgliedern eine große Unzufriedenheit herrscht. Unter unseren Mitgliedern befinden sich übrigens viele Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren.

Aber warum dringt die Unzufriedenheit nicht zu Angela Merkel und Peter Tauber durch? Oder wird da ein Deckel drauf gehalten? Die CDU ist ja nicht erst seit gestern an der Regierung, und seitdem sind viele für Konservative eigentlich unmögliche Dinge passiert: die Abschaffung der Wehrpflicht, die doppelte Staatsbürgerschaft, die Energiewende, die Flüchtlingspolitik und jetzt eben die „Ehe für alle“.
Die Ergebnisse dieses Kurses kann man ja auch betrachten. Vor den jüngsten Siegen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben wir zehn Jahre lang katastrophale Niederlagen in den Ländern erleiden müssen: weniger als 20 Prozent der Stimmen in Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin, den Verlust der Regierungsmehrheit in Baden-Würtemberg. Gerade deswegen haben sich ja die Initiativen gegründet. Wir wollen  den Wählern vermitteln, dass auch weiterhin Konservative in der Union eine Heimat finden. Wir werden dauerhaft den Druck auf die Parteispitze erhöhen, konservative Themen nicht zu vernachlässigen.

Aber laut den Umfragen sieht es doch für Angela Merkel wieder gut aus. Hat sie nicht doch alles richtig gemacht, indem sie die SPD-Themen für sich vereinnahmt und damit auch den Schulzzug zum Halten gebracht hat?
Naja, wenn eine große Volkspartei knapp bei 40 Prozent liegt, ist das kein Anlass zum Jubeln. Wir sind nach dem katastrophalen Absturz im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise auf 30 Prozent abgerutscht. Der Anstieg ist zwar erfreulich. Aber die knapp 40 Prozent reichen eindeutig nicht, wenn wir im Bund eine schwarz-gelbe Regierung anstreben wollen. Und bei aller Freude über die Ergebnisse bei den vergangenen Landtagswahlen muss man auch festhalten: Das war alles sehr knapp.

In Nordrhein-Westfalen hat sich ihr bester Mann, Wolfgang Bosbach, mit Armin Laschet zusammengetan, einer der treuesten Verteidiger der Kanzlerin. War das nicht ein Verlust für die Konservativen in der CDU?
Erst einmal war das ein äußerst kluger Zug von Herrn Laschet, sich mit Herrn Bosbach den profiliertesten Konservativen der CDU mit ins Boot zu holen. Ich bin mir sicher, dass bei diesem knappen Ergebnis in Nordrhein-Westfalen die Unterstützung durch Herrn Bosbach wahlentscheidend war. Außerdem hat Herr Bosbach seine Meinungen nicht geändert und sich auch nicht verbogen. Ich halte es für völlig legitim und notwendig, dass Herr Bosbach seinen Beitrag dazu geleistet hat, Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen abzulösen und den CDU-Spitzenkandidaten zum Regierungschef zu machen.

Solange es erfolgreich ist, heiligt der Zweck also die Mittel? Gilt das auch für die Bundestagswahl?
Natürlich werbe ich dafür, dass die Union mit ihrer Spitzenkandidatin Angela Merkel möglichst viele Stimmen in der Bundestagswahl bekommt, auch wenn ich mit einer Reihe von Grundsatzentscheidungen nicht einverstanden bin.

Es wird also so weitergehen, dass die Konservativen ein bisschen meckern dürfen, aber nur solange es den Wahlerfolg der Partei nicht gefährdet?
Ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird.

Wieso?
Es gibt gerade unter den jüngeren aufstrebenden Persönlichkeiten nicht wenige, die unseren Positionen sehr nahe stehen. Das macht mich zuversichtlich. Es sind eben nicht nur die Alten, die angeblich den früheren Zeiten nachtrauern. Wenn ich die Junge Union oder auch die Schülerunion betrachte, dann wird da eine konservative Renaissance sichtbar. Ich kann der Parteispitze nur dringend empfehlen, diesen Markenkern der Union ernst zu nehmen. Wir müssen von unseren Mitbewerbern deutlich unterscheidbar bleiben.

Trotzdem hat man oft den Eindruck, dass gerne Konservative wie Wolfgang Bosbach oder Jens Spahn an die Basis oder in Talkshows geschickt werden, um die Wähler zu beruhigen. Aber dann wird an der Spitze wieder ein konservatives Heiligtum gekippt. Noch einmal: Wie schafft man es, dass die Bedürfnisse der Konservativen an die Spitze durchdringen?
Erst einmal dadurch, dass Herr Bosbach und Herr Spahn sich genau darum auch parteiintern kümmern. Herr Spahn ist ja immerhin Mitglied des CDU-Parteipräsidiums. Dort und in der Öffentlichkeit bringen sie liberal-konservative Zielsetzungen zu Gehör.

Kann denn ein konservativer Kritiker wie Spahn unter einer Kanzlerin Merkel Minister werden?
Ich beteilige mich nicht an Spekulationen. Und alles, was ich hier sage, könnte für die Beteiligten kontraproduktiv sein. Ich kann aber Frau Merkel sehr empfehlen, dass sie in ihr Kabinett engagierte Wertkonservative aufnimmt, die auch innerhalb der Partei ein Profil entwickeln dürfen.

 

Christean Wagner / picture alliance

 

Dr. Christean Wagner war Hessischer Kultus- und Justizminister und von 2005 bis 2014 Vorsitzender der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag. Von 2007 bis 2013 war er zudem Vorsitzender der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden der CDU und CSU in Deutschland.

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