Ampel-Koalition - Grün ist die Hoffnung

In den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP knirscht es. Auslöser sind die Grünen, die gegenüber ihren Anhängern den Eindruck verhindern wollen, sie hätten nicht hart genug für ihre Ideen gekämpft.

In der Ökopartei müssen die Mitglieder grünes Licht geben / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Im kleinen Kaukasusstaat Armenien wurde vor einigen Tagen ein Offizier festgenommen: Ihm wird vorgeworfen, im Krieg um die umstrittene Enklave Berg-Karabach vor einem Jahr mit seiner Einheit den ihm unterstehenden Frontabschnitt mit zu wenig Verve verteidigt zu haben. Das nahe gelegene Dorf wurde schließlich von der aserbaidschanischen Armee eingenommen.

In Berlin gehen derweil die Sitzungen der 22 Arbeitsgruppen der rot-grün-gelben Koalitionspartner in die letzte Runde: Am Mittwoch sollen sie ihre Positionspapiere vorlegen. Auf den letzten Metern versuchen die Grünen nun den Eindruck zu verhindern, sie hätten zu wenig für ihre Belange gekämpft. Denn nichts fürchtet diese Partei so sehr wie diesen Sprechchor auf der nächsten Fridays for Future-Demo: „Wer hat uns verraten, die grünen Demokraten!“ Baerbock und Habeck spüren den scharfen Wind, der ihnen von Campact, Fridays for Future, aber auch aus der eigenen Grünen Jugend entgegenbläst. „Bleibt es bei diesem Ergebnis, versagt die Ampel beim Klimaschutz“, schrieb Campact schon im Oktober, nach Bekanntwerden des Sondierungspapiers, an seine hunderttausenden Unterstützer.

Drohung mit Neuwahlen

Und so kommt es, dass der baden-württembergische Fundi (und Verkehrsminister) Winfried Herrmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die ganz große Drohkulisse aufbaut: „Wenn wir beim Klimaschutz nicht zusammenkommen, drohen Neuwahlen.“ Parteichefin Annalena Baerbock dagegen wählte die Form eines Hilferufs. In einem Brief an grüne Vorfeldorganisationen wie BUND und Greenpeace forderte sie diese dazu auf, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen: Beim Klimaschutz und beim Biodiversitätsschutz gebe es noch viel zu verhandeln: „Es wäre dafür sehr hilfreich – und in Teilen seid ihr ja bereits dran – wenn Ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen.“

Es hakt bei den Finanzen – in diesem Bereich deutet einiges darauf hin, dass FDP-Chef Christian Lindner das Ressort führen wird. Auch die FDP unterstützt das Ziel der im Werden begriffenen Ampelkoalition, in Digitalisierung, Bildung, Klimaschutz, Forschung und Infrastruktur zu investieren. Aber Lindner hat klargemacht, dass es dafür „klare finanzielle Leitplanken gibt“. Für eine Partei wie die Grünen, die für die nächsten zehn Jahre im Wahlkampf zusätzlich 500 Milliarden Euro Investitionen in die „sozial-ökologische Transformation“ versprochen haben, ist das keine gute Nachricht.

Zwist um Grenzkontrollen

Auch das Feld der Migrationspolitik beinhaltet Zündstoff: Einigkeit besteht zwischen den Parteien zwar bei einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts – der „Doppelpass“ wird wohl wieder eingeführt. Aber vor dem Hintergrund der Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze wird die Frage nach dem Asylrecht, die im Sondierungspapier noch mit grundsätzlichen Bekenntnissen abgehandelt wird, plötzlich akut: Braucht Deutschland Grenzkontrollen an seiner östlichen Grenze? Wie hart sollen europäische Außengrenzen verteidigt werden? Auf BILD TV konnte man da vor einigen Tagen den Zwist zwischen den zukünftigen Koalitionären Linda Teuteberg (FDP) und Erik Marquardt (Grüne) live erleben – beide verhandeln in der Arbeitsgruppe Migration über den migrationspolitischen Kurs der Ampelkoalition. Das Problem der Grünen: Neben dem Umweltschutz ist die Migrationspolitik das Thema, bei dem die eigene Anhängerschaft besonders hohe (moralische) Erwartungen hat. Grenzschutz und Zäune passen da überhaupt nicht ins Bild.

Gekämpft wie die Tiger

Und natürlich wird unter den Koalitionären schon eifrig über den Zuschnitt der Ministerien geschachert: Annalena Baerbock steuert auf das Außenministerium zu, Robert Habeck könnte ein neu zugeschnittenes Superministerium für Umwelt, Verkehr und Infrastruktur bekommen. Ob er dazu auch noch das Ressort Bauen erhält, ist strittig – das würde Olaf Scholz, der mit einer Wohnungsbauoffensive Wahlkampf gemacht hat, gerne beim Innenministerium halten. Das will sich die SPD sichern – im Gespräch für den Posten ist der bisherige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius. Wirtschaftsminister könnte Hubertus Heil werden. Justiz und Verteidigung dürften an die FDP fallen: Als Justizminister ist FDP-Generalsekretär Volker Wissing im Gespräch, als Favoritin für die Hardthöhe gilt die ehemalige Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich seit 2017 ein Profil als Sicherheitspolitikerin erarbeitet hat. Für die Frauenquote sind bei der SPD die 2019 nach Brüssel abgewanderte Katarina Barley und Christine Lambrecht im Gespräch – allerdings taucht auch der Name Andrea Nahles für das Arbeitsministerium immer wieder auf. Den Posten hatte sie schon von 2013 bis 2017 inne.

Ungeachtet der grünen Querschüsse und des unausweichlichen Ministergeschachers – momentan zweifelt niemand ernsthaft am angedachten Zeitplan: Am Mittwoch werden die Abschlusspapiere präsentiert, in der Woche ab dem 6. Dezember wählt die Ampelkoalition dann Olaf Scholz zum Kanzler. Zuvor müssen allerdings noch Parteitage der FDP und der SPD den Koalitionsvertrag abnicken. Bei den Grünen – und das ist ihr Problem – entscheidet eine Mitgliederbefragung über Wohl und Wehe der Koalition. Deshalb das Störfeuer der Grünen auf den letzten Metern. Auf dass Baerbock und Habeck ab übermorgen vor ihre Mitglieder treten und verkünden können: Wir haben gekämpft wie die Tiger.

 

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