Koalitionsverhandlungen - „Christian Lindner und Annalena Baerbock haben Druck“

In Sondierungsgesprächen loten die Parteien derzeit ihre Gemeinsamkeiten aus. Doch was ist die beste Verhandlungsstrategie? Und wie setzt man am Ende seine Ziele und Ideen durch? Ein Gespräch mit der Verhandlungsmanagerin Uta Herbst.

Annalena Baerbock mit Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Christian Lindner (FDP) / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Charlotte Jost studiert Political- and Social Studies an der Julius-Maximilians Universität in Würzburg und ist Hospitantin in der Cicero Online-Redaktion.

So erreichen Sie Charlotte Jost:

Anzeige

Prof. Dr. Uta Herbst, unterrichtet Verhandlungsmanagement an der Universität Potsdam und leitet seit 2013 die Negotiation Academy Potsdam (NAP), eine gemeinsame Universitätsinitiative der Universität Potsdam und der Universität Stuttgart/Hohenheim. Die Akademie fokussiert sämtliche Verhandlungsbereiche im wirtschaftlichen und politischen Alltag und versucht eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen.

Frau Herbst, für wie klug halten Sie die Entscheidung der Parteispitzen von FDP und Grüne ein gemeinsames Selfie von sich ins Netz zu stellen, auf welchem sie beinahe wie Freunde aussehen? 

Ich hätte es an deren Stelle nicht gemacht, weil es  nach außen sehr viel Einigkeit signalisiert. Das harmonische Auftreten der beiden Parteien auf dem Bild hat eine hohe öffentliche Wirksamkeit, die Parteien stehen zusammen jedoch vor einigen Interessenkonflikten, die es zu lösen gilt. Sich direkt als „best Buddies“ zu präsentieren finde ich gefährlich, zumal niemand weiß, ob sie am Ende wirklich als solche aus den Verhandlungen herausgehen werden.

Welche Botschaft sendet dieses Bild? 

Sicher, die beiden Parteien werden dieses Bild gemacht haben, um eine gemeinsame Botschaft über ihre vereinigte Macht abzugeben. Sie wollen zeigen: „Wir sind pro-aktiv“, oder: „Wir haben das Zepter in der Hand“. FDP und Grüne wollen die Kontrolle über den Verhandlungsprozess erobern. Dass die Parteien zeigen, dass sie bereit sind für Gespräche und Verhandlungen, ist auch erst einmal ein gutes Zeichen. Allerdings muss man immer bedenken, dass es auch eine weitere Partei im Bunde geben wird.

Sind erste Vorsondierungsgespräche zwischen FDP und Grüne sinnvoll? 

An sich ja, es ist wichtig, dass die Parteien miteinander reden, aber dabei sollten keine faulen Kompromisse eingegangen werden, sonst fahren sich beide Parteien schon zu sehr fest und haben dann kaum noch Optionen offen, bevor anschließend mit der dritten Partei verhandelt wird. Am Ende haben sich Grüne und FDP schon zu sehr restringiert, ohne überhaupt mit Union oder SPD gesprochen zu haben.

Es müsste zu inhaltlichen Kompromissen zwischen FDP und Grünen kommen. So hat Anton Hofreiter bereits angekündigt, es müsse von den Grünen nicht unbedingt am Tempolimit von 130 km/h festgehalten werden. Das war aber mal ein festes Ziel der Grünen. 

Prof. Dr. Uta Herbst / Lehrstuhl für Marketing

Ja, ich sehe das als problematisch an, sowohl für die Parteien als auch für die Wähler, denn die Parteien liegen in ihren politischen Inhalten relativ weit auseinander. Nehmen wir in der Theorie das Beispiel Tempolimit: Hätten die Parteien auch mit SPD und Union verhandelt, bevor sie Kompromisse eingehen, hätte die FDP in diesem Thema vielleicht gar nicht gewonnen. Denn angenommen, die SPD wäre im Nachhinein auch für ein Tempolimit. Dann wäre dieses Thema jedoch gar nicht mehr zu Sprache gekommen, weil in den Gesprächen zwischen FDP und Grüne bereits darüber verhandelt wurde. Somit fallen Themen weg, die in Dreier-Gesprächen vielleicht eine bessere Chance gehabt hätten. 

Könnten die Wähler und Wählerinnen zu viele Kompromisse nicht gar als ein „Aufgeben“ der Parteien betrachten?

Ich befürchte, so ähnlich. Bei der Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu zweit, erhält der Wähler am Ende weder das Programm der Grünen, noch das der FDP, da sich die beiden Parteien jetzt schon homogenisieren.

Das heißt, ein Treffen zu dritt wäre schlauer.

Ja, aus idealer Verhandlungsperspektive ist es extrem ungeschickt, in einer Dreier-Verhandlung Kompromisse, die gar nicht win-win ausgehen können, mit nur zwei Parteien auszuhandeln. Bei stark unterschiedlichen Präferenzen, wie bei FDP und Grünen, gibt es immer nur win und lose. Optimale politische Einigungen, also eine Situation, in der einmal die FDP ihr Ziel durchsetzt, einmal die Grünen und einmal Union oder SPD, sind zu dritt besser realisierbar. Ein sinnvoller Ausgleich mit Nachgeben und Durchsetzten ist insgesamt immer besser.

Wo sollte man bei den Verhandlungen nachgeben und wo sich durchsetzen?

Am besten sollten die Parteien da nachgeben, wo es ihnen am wenigsten weh tut. Es sollte nach der sogenannten „Verlustaversions-Theorie“ von Amos Tversky und Daniel Kahneman verhandelt werden. Die Theorie beschreibt die Tendenz, eher Verluste zu vermeiden, anstatt gleichwertige, aber minderwertigere Gewinne zu erzielen. Zum Beispiel würde es der FDP kaum wehtun, dem Ziel der Grünen zuzustimmen, Lastenrädern einen Zuschlag zu gewähren.

Kommt es durch die Vorsondierungen aber nicht auch zu einem Machtvorteil der beiden kleineren Parteien gegenüber SPD und Union?

Die beiden kleineren Parteien nutzen die Gespräche natürlich auch für sich. Sie wollen zu zweit ihre Machtposition festigen, indem sie  ihre Alternativen erhöhen. Unter der Voraussetzung, dass sie kompromissbereit sind, haben sie zu zweit gegenüber SPD oder Union immer alternative Vorschläge.

Das ist sehr geschickt aus Verhandlungssicht.

Ja, und persönlich finde ich, am geschicktesten von allen stellt sich Christian Lindner an: Die FDP ist eigentlich die kleinste in dieser Runde und davon ist aktuell gar nicht mehr die Rede. Er wirkt, als hätte seine Partei viel mehr Stimmen erhalten. 

Wie sollten FDP und Grüne während der Verhandlungen verhalten?

Christian Lindner und Annalena Baerbock haben beide Druck. Lindner möchte, dass die FDP, anders als 2017, wieder Boden unter den Füßen gewinnt. Baerbock hat außerdem internen Druck, weil die Vorwürfe lauter werden, Robert Habeck hätte an ihrer Stelle einen besseren Wahlkampf gemacht. Beide müssen nun hoch professionell handeln, um ihre Ziele zu erreichen und deshalb auch vernünftig miteinander interagieren. Dazu gehört auch, sich auf alle Gespräche vorzubereiten und Aktivitäten zu planen. Die Vorbereitung auf die Verhandlung ist mindestens genauso wichtig, wie die Verhandlung selbst.

Die Parteien haben teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen, etwa in der Bekämpfung der Klimakrise. Deshalb müssen sie auch vorbereitet sein, wenn es zu Streitthemen kommt.

Sicher. Aber momentan ist Kompromissstimmung, damit der große Fang des Mitregierens nicht an ihnen vorübergeht. FDP und Grüne haben sich eher für den sicheren, als für den guten Weg entschieden.

Wie sollten sich Union und SPD, FDP und Grüne bei den Verhandlungen am Sonntag begegnen?

Ich finde Olaf Scholz hat sich bereits im Wahlkampf sehr ausgeglichen und ist ruhig gezeigt, ganz anders als Armin Laschet. Spannend ist jetzt: Wie geht die Union auf die potenziellen Koalitionspartner Grüne und FDP zu? Alles was in der Verhandlung passiert, hat mit Macht zu tun, und Macht ist immer abhängig davon, wie viele Alternativen einer Partei vorliegen. Zweitrangig ist, wie viele Stimmen eine Partei erhalten hat, wenn ihr anschließend bei den Verhandlungen die Alternativen ausgehen. Wenn sich Laschet jetzt zu sehr anbiedert, erhalten Grüne und FDP mehr Macht. Die Union sollte beiden Parteien deshalb lockerer begegnen, um den eigenen Machtanteil zu erhalten. Denn gewinnen Lindner und Baerbock zunehmende Macht, werden sie von Scholz relativ viel Spielraum bekommen, und werden erst recht nicht zu Laschet zurückgehen.  

Auf welcher Ebene sollten FDP und Grüne also SPD und Union begegnen? Gemeinsam? Oder sollten sie an den jeweils eigenen Interessen festhaltend?

Nach diesem Foto und seiner großen Wirkung bleibt den Parteien eigentlich nichts anderes übrig, als zusammen aufzutreten. Anders erscheinen beide in ihrer Kompromissbereitschaft als unglaubwürdig. Das geht nach dem Motto „mitgehangen, mitgefangen“, da müssen die beiden jetzt durch. 

Können Sie eine Prognose aus der Verhandlungsperspektive treffen, zu welcher Koalition es schlussendlich kommen wird?

Schwierig. Die Haupthemen sollten eigentlich nach den Präferenzen der Parteien angeordnet und nach Konsens sortiert werden. Aber so wie die Stimmung aktuell ist, werden sich Grüne und FDP in keinem Fall mehr auseinander dividieren lassen. Und es würde meiner Ansicht nach in Deutschland zu einem großem Aufruhr kommen, wenn es aufgrund des minimalen Vorsprungs der SPD nicht zu einer Ampel-Koalition kommen würde. 

Das Interview führte Charlotte Jost.

Anzeige