Koalition in Österreich - Schwarz-grün ist die Haselnuss

Mit einer konservativ-grünen Koalition schreitet Sebastian Kurz mit Österreich in die 20er Jahre. Was bei unseren Nachbarn kommt, könnte bald auch hierzulande politische Realität werden. Aber sollte dieses Modell zweier so gegensätzlicher Parteien überhaupt auf Deutschland übertragen werden?

Schwarz-grün - ist das auch die Zukunft Deutschlands? / picture alliance
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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„Es ist gelungen, uns nicht gegenseitig auf Minimalkompromisse herunterzuverhandeln“, sondern „das Beste aus beiden Welten zu vereinen.“ Das sagte der ehemalige und wohl auch der neue österreichische Kanzler Sebastian Kurz am Mittwochabend, als er zusammen mit dem Grünen-Chef Werner Kogler Vollzug bei den Koalitionsverhandlungen meldete: Geben die österreichischen Grünen auf dem Parteitag am Samstag ihr Placet, wird Österreich in den nächsten fünf Jahren von einer konservativ-grünen Koalition regiert. 

„Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen". Dieser Zweisatz, auf den Kurz sein Regierungsprogramm brachte, klingt das nicht nach einem Modell für die nächste deutsche Regierung? Zumal die ideologischen Gräben zwischen der – wie es Kurz immer wieder betont – „rechtskonservativen“ ÖVP und den linken österreichischen Grünen – denn im Alpenland fehlt eine Linkspartei – größer sind als zwischen den möglichen Koalitionspartnern in Deutschland.

Die Grünen haben auch in Deutschland Regierungsfähigkeit bewiesen

Die Umfragewerte geben es schon seit einigen Monaten her: CDU/CSU und Grüne kommen stabil auf etwas weniger als 50 Prozent der Stimmen, was für eine Regierungsbildung ausreichend ist. Und wie in Österreich haben die Grünen schon in mehreren deutschen Ländern ihre Koalitions- und Regierungsfähigkeit, auch mit der CDU, unter Beweis gestellt – ohne, dass in diesen Bundesländern die Welt unter einer linksgrün-versifften Verbotslawine untergegangen wäre. 

Klar, die Grünen sind nicht überall so kretschmannig-realpolitisch wie in Baden-Württemberg. Es gibt da auch den ideologisch hartnäckig-nervigen Berliner Landesverband, der etwa am vergangenen Wochenende „aus Prinzip“ dagegen gestimmt hat, die Internationale Autoausstellung IAA nach Berlin zu holen, was jeder klar denkende Mensch doch eher als Chance begreifen würde. 

Aber unter dem Realo-Führungsduo Baerbock/Habeck sind die Grünen so weit in die bürgerliche Mitte gerückt wie noch nie. Klar, auch sie sprechen gerne vom Sozialen, das sie mit dem Ökologischen versöhnen wollen, und bei Bundeswehreinsätzen im Ausland grummelt ihnen der Magen. Aber die Wollpulli-strickenden Friedensengel mit über die Schulter geworfenem Palästinensertuch wandeln auf ihren Parteitagen eben nur noch als Relikte der 80er Jahre umher.

Stärkt schwarz-grün den rechten Rand?

Schwerer tun mit dieser Koalition wird sich die CDU, weil sie sich vor den Auflösungserscheinungen an ihrem rechten Rand fürchtet. Wird eine Koalition mit den Grünen nicht alle, die der Partei über die letzten Jahre in der Hoffnung auf eine wieder konservativere Post-Merkel-Ära trotz allem treu geblieben sind, endgültig vergrätzen und zur AfD treiben?

Das muss nicht sein. Sebastian Kurz hat bei den letzten Wahlen 250.000 Stimmen von der rechtsnationalen FPÖ zurückgeholt.
Zum einen, weil die FPÖ nach dem Ibiza-Skandal moralisch am Boden lag, zum anderen, weil das Wahlvolk wusste, wofür Kurz steht – für einen politischen Neuanfang, für einen konservativ ruhigen Regierungsstil, für eine Politik im Interesse des „kleinen Mannes“ - und nicht zuletzt für eine restriktivere Migrationspolitik. Auch wenn seine erste Kanzlerschaft in Koalition mit der FPÖ mit dem Ibiza-Debakel endete, war der ideale Schwiegersohn Sebastian Kurz auch noch im Herbst 2019 eine Figur, auf die viele Österreicher (in Stimmenanteilen 38 Prozent) ihre Sehnsüchte projizierten.

Die CDU muss Profil zeigen, dann kann sie Profil gewinnen

Der CDU fehlt derzeit eine solche Figur. Ebenso fehlt ihr nach Jahren der merkelschen Vermittung ein klares Programm. Das müsste sie haben, um überhaupt in einen Wahlkampf zu ziehen, das müsste sie auch haben, um die Wahl so deutlich zu gewinnen, dass sie als klar stärkerer Partner in Gespräche mit den Grünen gehen kann. Ganz sicher aber müsste die Partei dieses klare Programm haben, um Koalitionsverhandlungen zu führen.

Wenn es aber so läuft wie jetzt in Österreich, dann könnte daraus sogar eine Profilierung der CDU folgen. Der Wähler könnte sich den Koalitionsvertrag anschauen und erkennen: Gut, die Punkte stehen drin, weil die Grünen mit dabei sind. Aber in diesen Punkten hat sich klar die CDU durchgesetzt, das mussten die Grünen schlucken. In der von Minimalkompromissen geprägten Koalition mit den Sozialdemokraten wusste der Wähler zuletzt überhaupt nicht mehr, wer denn nun für was stand. Der Mensch ist enttäuscht, wenn sich die Nuss, die er knackt, als leer erweist. Das gilt auch für das Verhältnis des Wählers zu einer Partei.

„Erkennbarkeit“, das ist das Zauberwort, das seit Jahren die politischen Debatten in diesem Groko-geschädigten Land dominiert. Und das über den Ausgang der nächsten Bundestagswahl entscheiden wird. 

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