Klimawandel und Politik - Die Klimadebatte – eine Diskurskritik

Auch beim Petersberger Klimadialog mit Angela Merkel wird wieder gesagt, dass in der Klimapolitik „endlich“ gehandelt werden muss. Stattdessen wird in Deutschland vor allem geredet, aber von allen Seiten auf nahezu beschämende Weise. Als rationaler Mensch kann man da verzweifeln

Baerbock, Habeck: Missionarswut, die in der DNA der Grünen liegt / picture alliance
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Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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Es geht schon längst nicht mehr um das „ob“ der Klimapolitik, sondern um das „wie“. Aber so läuft der Diskurs in Deutschland über Umwelt und Klima keineswegs. Er läuft vielmehr ideologisch und kategorisch. 

Die „Fridays for future“-Protagonistin Luisa Neubauer etwa ist im Grunde in der Wiederholungsschleife ihrer Erweckungsansprache an die Politik: Ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst endlich euren Hintern hochbekommen. Dafür wird ihr vor allem aus den linksliberalen Medien sanft über den Kopf gestreichelt: Die junge Frau hat ja Recht.

Eine Diskussion über das „Wie“ ensteht nicht

So läuft die Debatte: Wir müssen, wir müssen. Aus der rechtskonservativen Ecke kommt nur die Gegenparole: Wir müssen nicht. Eine Diskussion über das „Wie“ kommt so kaum in Gang. Entweder hält man Ökologie für das Thema aller Themen und twittert anständig, dass es 5 vor 12 sei, oder man begibt sich wie Don Alphonso, ein rechtskonservativer Blogger der Welt, in den reaktionären Backlash und ruft: Guckt euch nur die alberne Öko-Bourgeoisie an, die widersprechen sich ja nur selbst diese „#langstreckenluisas“. Luisa Neubauer hat in ihrem jungen Leben schon etliche Fern-Flugreisen unternommen, was aus Sicht von Don Alphonso nicht ökorein ist und er die junge Frau so mit Hashtags an den Pranger stellt. Rechtskonservative Identitätspolitik ist das. 

Aber der linksliberale Teil der Publizistik ist nicht sehr viel besser. Dieser Teil und durchaus ebenfalls der in der Politik – vor allem bei den Grünen – scheint sich im Wesentlichen auf Stimmungspolitik verlegt zu haben. Im Sinne von: Wir verbreiten gute Laune, Optimismus, reden davon die Welt zu retten und sagen den Leuten, warum die AfD unwählbar ist. Vor allem die Grünen unter dem Ästheten Robert Habeck und der scheinbar stets gut gelaunten Annalena Baerbock sind gut in Sonntagsreden und im sich selber gut finden. Die Grünen-Chefs sind gut in PR, aber inhaltlich Gehaltsvolles haben sie bislang nicht geliefert. Vor allem widersprechen sie sich im Wochentakt und geben dem jeweiligen Publikum das, was es verlangt. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein bisschen Lob für Ludwig Erhard und Marktoptimismus und kurze Zeit darauf sind Umwelt-Regulierungen und mehr Klimanationalismus wieder im Repertoire, selbst Enteignungen von großen Wohnungsfirmen kann man sich dann vorstellen. 

Die Vielspurigkeit der Grünen

Was diese Grünen wollen, weiß keiner so richtig. Trotzdem werden sie heiß und innig von Teilen der Presse geliebt, wie zuletzt ein völlig distanzloses Stück Groupie-Journalismus im Stern demonstrierte, welches voll von Liebesbrief-Prosa über das Spitzenduo der Grünen war. Die „Geschmeidigkeit der Grünen“ bleibe „im Moment komplett unter dem öffentlichen Radar“, urteilte taz-Journalist Ulrich Schulte folglich gerade. Damit hat er recht. Man darf aber auch etwas härter nicht nur von „Geschmeidigkeit“ reden, sondern schon von Vielspurigkeit, Opportunismus und Jargon des Ungefähren. Aber der grüne Sonnenscheinliberalismus überstrahlt das noch alles. Vielleicht blendet er auch. So genau kann man das nicht sagen. 

Auf der Seite des CDU-Konservatismus hingegen gibt es keine gute Laune. Da gibt es vor allem eins: Müdigkeit. Die CDU ist so intellektuell ausgelaugt und verstörend behäbig, dass schon längst nicht mehr von einer Krise des Konservatismus gesprochen werden sollte, sondern nur noch von einem Zombie-Konservatismus, der durch das politische Berlin torkelt. Annegret Kramp-Karrenbauer ist dabei nur das TV-Gesicht der konservativen Sprachlosigkeit. Die konservative Publizistik ist auch eher am Rumnörgeln und Kritisieren. Sie kann eher nur sagen, was sie nicht will, anstatt was eigentlich konservative Klimapolitik ist. 

Konzeptlose SPD

Und auf Seiten der politischen Linken, insbesondere der SPD? Eine Konzeptionslinke, eine Verantwortungslinke gibt es hier gerade nicht. Ich frage mich, warum von der SPD kein elaborierter „Green New Deal“ kommt. Die SPD hatte genug Zeit, mitanzusehen wie das Thema der Ökologie hochgeschrieben wurde und medial durch „Fridays for Future“ wichtiger wurde. Franz Müntefering oder Oskar Lafontaine hätten da schon vor Wochen, wenn nicht vor Monaten ein Konzept in Auftrag gegeben. Die SPD-Referenten hätten unter Schweiß und langen Abenden innerhalb kürzester Zeit liefern müssen. Es wirft ein Schlaglicht auf die SPD-Spitze der Stunde und die Arbeitsfähigkeit des Willy-Brandt-Hauses, dass die einstige progressive Partei Deutschlands ebenso müde erscheint wie die Kanzlerpartei CDU.

Die deutsche Öko-Debatte ist nahezu beschämend, und das eigentlich von fast allen Seiten. Insbesondere der eigene Bias in Lektüre und Kommentierung wird oft gar nicht mehr begriffen. Die „Vernunft“ wohnt jeweils nur auf einer Seite und niemals auf der anderen. So teilen sich SZ-Leser und Welt-Leser immer mehr in Parallelwelten. Und vor allem: Die politischen Lager reden kaum über die Sache und Konzepte, sie sind vielmehr daran interessiert, die Deutungshoheit für eine Seite herbeizureden. Sie sind wie diese Kinder, die ihre Finger in die Ohren stecken und laut „la la la“ rufen, wenn sie nicht machen wollen, was ihre Eltern von ihnen wollen. Die „Don-Alphonsorisierung“ der medialen Debatte links, rechts und in der angeblich so „liberal-abwägenden“ Mitte ist die Schattenseite einer Überforderung mit der Komplexität. Es gibt ja so viele Studien und Meinungen. Wir müssen uns einfach für eine Seite und Haltung entscheiden. 

Die Vordenker des grünen „Klimarealismus“

Wissen Sie was: Das ist Unsinn. Wer die Komplexität nicht meistern will, der hat es weder verdient, als Politiker ein Ministerium zu leiten noch als Journalist einen Journalistenpreis zu bekommen. Die Wirklichkeit ist nicht dehnbar. Meist sind die besten Lösungen auch nicht die Naheliegendesten. Die Klimadebatte braucht eine realistische Diskussion über die richtigen Instrumente. Und nicht diesen Popanz des „Wir müssen“ und „Wir müssen nicht“. 

Klimarealismus also. Was ist darunter aber zu verstehen? Der Politik-Chef der Wochenzeitung Die Zeit, Bernd Ulrich, veröffentlichte im vergangenen Jahr ein Monstrum von einem Essay, in dem er im globalgalaktischen Überflug nahezu den Status Quo komplett beschreiben und für Journalismus und Politik den – progressiven – Ausweg liefern wollte. „Wie radikal ist realistisch?“ hieß das Stück. Wer Bernd Ulrich kennt und regelmäßig von ihm liest, weiß, dass er es schafft, in beinahe jeden dritten Text das Thema „Ökologie“ hineinzubekommen. So war auch in diesem Text Ökologie wieder ein dominierendes Thema. Die „Schere zwischen ökologisch Gebotenem und ökologischem Tun“ ging, so Ulrich, in den vergangenen Jahrzehnten „immer weiter auseinander“, sodass es nun endlich an der Zeit sei das „sehende Verdrängen“ zu beenden und die „existenziellen Oberthemen Ökologie, Ernährung, Natur, Landwirtschaft“ mal härter anzugehen. 

Es ist etwa genau dieser Klimarealismus, den auch die Grünen-Chefs denken. Wahrscheinlich ist Ulrich mittlerweile auch nicht weniger als der Spiritus Rector der neuen Realo-Grünen. Man könnte bissig sogar behaupten, dass Baerbock und Habeck Bernd Ulrich nur nacherzählen. „Radikal ist das neue realistisch“ heißt es nämlich seit jüngstem bei den Grünen. Was „radikal“ und „realistisch“ ist, bleibt zwar im Dunkeln. Aber es ist schon eine neue Agenda – das kann man schon sagen. Ulrich ist dabei ein Vordenker dieses neuen Klimarealismus.

Bernd Ulrich hat diese heideggerische Schwere und auch jene Missionarswut, die in der DNA der Grünen liegt. Das macht ihn zu einem Versteher der grünen Seele. Die Grünen kann man im Grunde nur verstehen, wenn man den deutschen Philosophen Martin Heidegger versteht. Beide eint dieses irrationale Sorgenmachen mit Blick auf einen Verlust der Heimlichkeit und einer geborgenen Behausung in der Welt. Die Sorge wird dabei zugleich als optimistisches Entwerfen umgedeutet. So kommt es auch, dass die Grünen zwar viel von „Mut“ und „Optimismus“ reden, aber im Grunde eine sehr ängstliche Partei sind. Der Mut dient ihnen, um sich ihre Angst auszureden. Er ist also ihre Therapie, aber nicht ihr Charakter. Die Ökologie ist für die Grünen der Weg zur „Eigentlichkeit“. Darunter geht es bei den Grünen nicht. 

Spalt zwischen ernsthaftem Wollen und Therapiesitzung

Die Grünen gerieten in ihrer Rhetorik und ihrem Utopieüberschuss aber bislang eigentlich immer in jenen Spalt zwischen ernsthaftem Wollen und Therapiesitzung. Mit dem „Klimarealismus“ haben sie nun aber zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte einen Begriff gefunden, der verdeckt, dass ihr Wirken auch immer Therapiesitzung ist, und der im Gegensatz ihnen nun vielmehr die Freiheit gibt, ihren Ökologismus als rational begreifen zu können und nicht heimlich als irrational begreifen zu müssen. Die erstmals reine „Realo“-Führung unter Baerbock und Habeck ist da nur das letzte Zeichen dieser Wendung und folglich auch Zeichen ihrer eigenen Befreiung.

Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock schrieb im vergangenen Jahr jedenfalls konsequenterweise in der Frankfurter Rundschau ein Plädoyer für einen „Klimarealismus“. Klimarealismus heißt für Baerbock eher, dass man genau hinsehen müsse, weil es eben 5 vor 12 sei und daher nun sehr viel mehr Klimapolitik nötig sei. Ihr Klimarealismus verbleibt so auch nur weitgehend auf der Ebene des „Wir müssen“ – und zwar jetzt: „Um dieser Krise zu begegnen, brauchen wir einen neuen Klimarealismus. Das heißt: Wir müssen den Klimaschutz jetzt konkret umsetzen und nicht mehr nur behaupten – wir müssen die Klimaanpassung verstärken.“ 

Unter „Klimarealismus“ stelle ich mir, ehrlich gesagt, aber etwas Anderes vor, als nur ein neues Wort für die eigenen Erweckungsreden und Muss-Sätze zu haben. In Baerbocks Sinne meint der Begriff nur, dass wir unsere Anstrengungen verstärken müssen. Über das „Wie“ ist da allerdings noch nicht umfassend gesprochen. Vor allem eine Deutung des „Klimarealismus“ würde ihr aber wohl nicht in den Sinn kommen: Nämlich in einem Hype nicht den Verstand zu verlieren. Realismus heißt auch nüchtern zu bleiben – so selbst im größten Hype „down-to-earth“ zu sein. Politik ist nicht nur Definition von Zielen und Zwecken, sondern auch Diskussion und Erfindung von Mitteln und Wegen. Wer das nicht versteht, soll keine Politik betreiben. 

Warum ist Rationalität so schwer?

In der Klimadebatte ist jetzt über Mittel und Wege zu reden. Instrumente gilt es zu diskutieren. Und den unsäglichen Kulturkampf in der Klimadebatte endlich zu beenden. 

Man wünscht sich in diesen Tagen Leute wie Hermann Scheer zurück. Klimarealisten halt. Vielleicht finden sich da demnächst ein paar mehr. Vor allem in der Sozialdemokratie sollten sich welche finden. Denn wenn eine Partei die Widersprüche dieser Zeit – auch in der Klimadebatte – zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen könnte, dann diese SPD. Dafür braucht es aber eine neue SPD. Diese aktuelle SPD schafft es jedenfalls nicht. Diese Grünen aber auch nicht. Man wünscht sich neue Leute. Klimarealisten, die auch welche sind und sich nicht nur so nennen. 

Vor allem wünscht man sich wirtschaftspolitisch fundierte Personen, die den Diskurs der Klimapolitik weglenken können von Moral zu politischer Ökonomie. Klimaökonomen und grüne Industriepolitiker sind gesucht. Klimamoralisten braucht es hingegen nicht. 

Als rationaler Mensch verzweifelt man dieser Tage an der deutschen Politik. Man kann sich nur wünschen, dass sich das ändert und Debatten über das „Wie“ zurück ins Zentrum jeder Debatte kommen. Deutschland ist das Land der Denker. Warum ist Rationalität eigentlich gerade in diesem Land so schwer?

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