Klimawandel und Flutkatastrophe - „Die Wirkungskette ist komplexer als oft dargestellt“

Fassungslos verfolgt Deutschland die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Rufe nach einer strengeren Klimapolitik werden lauter. Ein Gespräch mit dem Klimaforscher Hans von Storch über die Frage, inwieweit der Klimawandel für die Überschwemmungen ursächlich ist.

Überschwemmungen - ein Phänomen, das wir wohl häufiger erleben werden Foto: Nicolas Armer/dpa
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Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Hans von Storch ist Klimaforscher, Meteorologe und ehemaliger Direktor des Helmholtz-Zentrum Geesthacht für Küstenforschung. Bis 2015 war er Professor am Institut für Meteorologie an der Universität Hamburg.

Herr von Storch, die Überschwemmungskatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW hat viele Menschen das Leben gekostet, viele stehen vor dem Nichts. Müssen wir uns darauf einstellen, dass so etwas häufiger passieren wird?

Das kommt ganz darauf an, was die Erklärung für diese Katastrophe ist. Zum einen wäre eine Erklärung der physikalische Anlass, also der starke Niederschlag, wenn dieser unvorbereitet stark gewesen und außerhalb des Erwartbaren gewesen wäre. Die andere Erklärung wäre ein unzureichender Katastrophenschutz. Ich erwarte, dass beide Erklärungen zusammen gültig sind. 

Was ist denn Ihre Erklärung, warum es aktuell in Westdeutschland zu so heftigen Niederschlägen gekommen ist?

Die Zahlen, die wir bis jetzt haben, sind noch nicht sehr belastbar. Aber bis jetzt scheint es, dass der Niederschlag in einer solchen Heftigkeit nicht völlig außerhalb des Vorstellbaren gelegen hat. In wenigen Wochen werden die Daten belastbarer sein, und es werden Einschätzungen von wissenschaftlichen Initiativen wie der World Weather Attribution vorliegen, inwiefern die Regenfälle vom eingetretenen Klimawandel verstärkt wurden.

Das hört sich so an, als ob das noch gar nicht klar wäre, ob die Überschwemmungen im Kausalzusammenhang mit dem Klimawandel stünden.

Solche Umweltkatastrophen haben schon etwas mit dem Klimawandel zu tun. Es handelt sich aber um eine komplexere Wirkungskette, als oft dargestellt wird. In letzter Zeit werden summarisch alle extremen Ereignisse dem Klimawandel zugeschrieben.

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Aber durch den Klimawandel werden solche Extremwetterlagen doch weiter verschärft?

Die Floskel, dass durch den Klimawandel alle Extreme extremer werden, halte ich für falsch. Kältewellen werden nicht extremer, und auch bei Stürmen ist das noch nicht geklärt. Plausibel ist, dass sich Hitzewellen, Starkregen und Sturmfluten aufgrund des steigenden Meeresspiegels verstärken und häufiger werden. Der Nachweis, dass Starkregen in Deutschland stärker ausfallen als früher, gibt es bisher nicht.

War die Überschwemmungskatastrophe menschengemacht?

Meines Wissens ja; die Verbindung zum Starkregen ist plausibel. Die unzureichende Anpassung an den schon eingetretenen Klimawandel und Katastrophenschutz scheint mir offensichtlich.

Kann das Risiko weiterer Überschwemmungen und Hitzewellen mit ehrgeizigerer Klimapolitik verhindert werden? Also 70 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030, und das Problem ist gelöst?

Hans von Storch / J. Xu

Nein, manchmal wird suggeriert, dass eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik solche Ereignisse verhindern würde, doch selbst die ehrgeizigste Klimapolitik eines Staates allein würde die unmittelbare Gefahr für Umweltkatastrophen erst einmal nicht mindern. Solche Diskussionen führen aber dazu, dass die dringend erforderlichen Anpassungen an die Gefahren des Klimas und des Klimawandels nicht ernst genommen werden. Eigentlich sollte aber das Gegenteil passieren: neben der notwendigen Klimaschutzpolitik sollten Anpassungen an die Folgen des Klimawandels mit gleicher Gewichtung erörtert werden.

Was wären weitere sinnvolle Schritte?

Das Klima ist eine globale Angelegenheit. Das heißt, wenn wir in Deutschland die Emissionen herunterfahren, bringt das nur etwas, wenn fast alle andere Staaten das auch tun. Das Pariser Klimaziel ist, dass die Erderwärmung die 1,5 Grad-Marke nicht überschreitet. Dafür wollen die 189 unterzeichnenden Staaten klimaneutral werden und nach 2050 negative Emissionen bewirken. Dies wäre ein wirklich sinnvoller Schritt im Kampf gegen den Klimawandel, aber an der Umsetzung hapert es fast noch überall.

Was sind negative Emissionen?

Das bedeutet, dass CO2 aus der Atmosphäre gefiltert wird. Wälder anzupflanzen ist eine Möglichkeit, reicht aber nicht aus. Ansätze für solche Technologien gibt es, diese sind aber noch weit entfernt von großtechnischen Umsetzungen und werden vermutlich auf öffentlichen Widerstand treffe – wie bei CCS.

Glauben Sie also nicht, dass das Pariser Abkommen eingehalten werden kann?

Nein. Ich halte es nicht für realistisch, da große, sich stark entwickelnde Staaten wie China und Indien die Klimaziele nicht ehrgeizig verfolgen. Auch Deutschland kann andere Staaten nicht zu strengeren Regeln zwingen. Die einzige Möglichkeit wäre es, klimaneutrale Technologien zu entwickeln, die dann wirtschaftlich so attraktiv sind, dass sie weltweiten Anklang finden.

Geht es bei solchen Klimamaßnahmen nicht auch um ein bestimmtes Menschenbild?

Ja, effektiver Klimaschutz wird sich nicht durchsetzen, wenn die Hauptmotivation dahinter moralische Überlegungen oder gutbürgerliches Verhalten sind. So funktionieren die Menschen in den diversen Kulturen diese Welt nicht, und das muss man einplanen. Ein moralisch getriebener Klimaschutz zeigt auch eine sehr postkolonialistische Haltung: „Manche westliche Länder wie Deutschland haben verstanden, was wichtig und richtig in puncto Klima ist und können anderen Länder, die noch nicht so weit sind, belehren.“ Sowas haben wir schon einmal gesehen, nur ging es damals um Religion und nicht um Klimaschutz.  

Das hört sich so an, als ob es gar nichts bringen würde, wenn ich als Einzelperson auf einen klimafreundlicheren Lebensstil achte?

Ein klimafreundlicher Lebensstil ist nichts Schlechtes, bringt aber wenig. Das Pariser Ziel kann nur erreicht werden, wenn wir wirtschaftlich attraktive und klimaneutrale Technologien ausbauen. Dies kann durch freiwillige Abgaben der Wohlhabenden geschehen, die die Entwicklung von Technologien finanzieren. Andererseits kann man auch Technik kaufen, die noch nicht zu Ende entwickelt ist und somit die Produkte mitentwickeln, damit sie sich dann am Markt als wirtschaftlich attraktiv durchsetzen können. E-Auto-Käufe wären da ein Beispiel oder in der Vergangenheit der Einsatz energiesparsamer Glühbirnen.

In einer Erklärung warnten 11.000 Wissenschaftler aus 153 Ländern vor einem Klimanotstand, der schlimme Folgen weltweit hätte ...

Zunächst, 11.000 Wissenschaftler aus 153 Länder sind nicht viele. Zumal nur wenige von ihnen Klimawissenschaftler sind. Die spannendere Frage ist aber die, was solche Erklärungen erreichen sollen. Wissenschaft ist nicht besonders gut geeignet vorzugeben, was politisch geschehen muss. Sollten die Millenniumsziele der Vereinten Nationen, die Armut und Hunger als dringendste Probleme weltweit aufführen, um des Kampfes gegen den Klimawandel niederpriorisiet werden?  Würde in diesem Falle nicht wieder eine kulturkonditionierte elitäre Schicht aus Wissenschaftlern vorgeben, was die wirklichen Probleme sind und was nicht?

Aber würde der Kampf gegen den Klimawandel nicht auch zur Armuts- und Hungerbekämpfung beitragen?

Nein, das halte ich für sehr verkürzt. Armut und Hunger lösen sich nicht auf, nur weil das Klima besser geschützt wird.

Aber wenn das Klima immer extremer wird, zerstört das doch auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Das ist ein beliebtes rhetorisches Mittel und einige, vielleicht viele Verhältnisse können sich schon zum Negativen verändern durch den Klimawandel. Doch ständig mit solchen Weltuntergangsszenarien zu arbeiten, ist unproduktiv. Zudem lernen wir auch viel dazu; auch die technischen Möglichkeiten der Anpassung an die Folgen des Klimawandels wird sich laufend verbessern. Sehen Sie sich Arizona an, ein Wüstenstaat in den USA, in dem früher kaum Menschen leben konnten. Jetzt aber leben immer mehr Menschen dort, da es Klimaanlagen und andere Technologien gibt. Das gleiche gilt für Israel. Heute können wir auch Küstenstädte wesentlich besser schützen als noch vor 100 Jahren. Aber dafür brauchen wir mehr technologische Entwicklungen, und diesen steht der derzeitige Zeitgeist sehr skeptisch gegenüber.

Wie meinen Sie das konkret?

Es wäre schon einmal hilfreich, wenn nicht gegen jede Modernisierung, die in der Nähe des Grundstücks oder Zuhauses passiert, geklagt oder gestreikt wird. In Niedersachsen wehrten sich Einwohner erfolgreich gegen eine bessere Anbindung Hamburgs an das Schienennetz, oft mit dem Verweis auf Naturschutz oder anderes. Ebenso der Ausbau der Schienenanbindung von Hamburg nach Skandinavien. So eine skeptische Haltung verhindert den Ausbau von Technologie, die wir dringend brauchen.

Nun hat die Überschwemmungskatastrophe auch politische Auswirkungen. Die laschen Klimamaßnahmen wurden kritisiert, große Verfehlungen der Politik zugeschrieben. Wird die Überschwemmung einen Einfluss auf die Bundestagswahl im September haben?

Ja, das glaube ich schon. Dabei kommt es aber auf das Narrativ an, dass sich durchsetzen wird: Die Regierung ist an der Überschwemmung schuld, weil sie nicht genug gegen den Klimawandel getan hat. Oder die Regierung ist schuld, weil der Katastrophenschutz nicht funktioniert hat.

Die Fragen stellte Alissa Kim Neu.

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