Klimastreik - Warum verhängen die Schulen kein Bußgeld, Herr Piazolo?

Vor zwei Tagen hatte Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) Schülern noch mit einem Bußgeld gedroht, wenn sie am Klimastreik teilnehmen. Jetzt rudert er zurück. Weil die Schulen Angst haben, eine Sache zu sanktionieren, die von der Politik für „gut“ befunden wird?

Schule schwänzen für ein Sonnenbad ? Der Klimastreik lockte Tausende Jugendliche auf die Straßen / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Herr Piazolo, seit Monaten schwänzen Schüler bundesweit den Unterricht, um freitags für mehr Klimaschutz zu streiken. Jetzt haben Sie die Schulleiter in Bayern aufgefordert, Sanktionen wie ein Bußgeld oder Schulverweise zu verhängen. Warum?
Meine Position hat sich nicht verändert. Ich begrüße sehr, dass sich die Schülerinnen und Schüler politisch engagieren – gerade bei einem so wichtigen Thema. Aber wir haben nun mal eine Schulpflicht, nicht nur in Bayern, auch in den anderen Bundesländern. Deshalb gilt: Wer demonstrieren möchte, sollte dies außerhalb der Unterrichtszeit tun. Für Schüler, die während des Unterrichts demonstrieren, sieht das Gesetz eine Reihe von Maßnahmen vor, die im Verantwortungsbereich der Schulleiter liegen. Ich habe den Eindruck, dass unsere Schulleiter in den vergangenen  Monaten sehr angemessen reagiert haben.

In welcher Form?
Das Schulgesetz sieht pädagogische und erzieherische Maßnahmen vor. So gibt es in vielen Fällen Projektunterricht zu den Themen des Umweltschutzes. Ebenso gibt es die Möglichkeit, den ausgefallenen Unterricht nachzuholen oder auch einen Verweis zu erteilen. 

Hat es schon Verweise gegeben?
Ja, wobei ein Verweis kein Verweisen der Schülerin oder des Schülers von der Schule ist. Es handelt sich um einen schriftlichen Hinweis an die Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Es wird sehr viel über das Thema gesprochen innerhalb der Schulfamilie. Es gibt Eltern, die sich an die Schule wenden und gemeinsam nach einer Lösung suchen. Auch die Schülerinnen und Schüler suchen immer häufiger das Gespräch.

Über die Konsequenzen fürs  Schulschwänzen?
Ja, und das durchaus mit Erfolg. In vielen Fällen hat man sich darauf geeinigt, dass die Demonstrationen außerhalb der Schulzeit stattfinden.

Gab es schon Bußgelder?
In Bayern nicht.

Kein Wunder. Die gibt es nur bei unentschuldigtem Fehlen. Wer schlau ist, lässt sich von seinen Eltern eine Entschuldigung schreiben. 
Mag sein, dass dies eine theoretische Möglichkeit ist, aber es würde dem widersprechen, was uns in der Schule wichtig ist: gegenseitiges Vertrauen. Es ist fraglich, ob die Eltern damit ein gutes Vorbild abgäben. Aber auch da habe ich wahrgenommen, dass Eltern eher das Gespräch suchen und man versucht, sich gegenseitig zu überzeugen und eine Lösung zu finden, die allen entgegenkommt.

Sie meinen, die Eltern versuchen, die Lehrer zu überzeugen?
Ja, die einen Eltern unterstützen das Engagement ihrer Kinder, die auf die Demonstration gehen wollen. Die anderen machen sich eher Sorgen. Letztere vertrauen darauf, dass die Kinder während der Unterrichtszeit in der Schule sind. Man versucht dann, eine Lösung zu finden, die allen entgegenkommt. Und die gibt es auch. So zum Beispiel Demonstrationen, die bewusst in die Zeit nach dem Unterricht gelegt wurden.

Fridays for Future ist aber gerade deshalb so erfolgreich geworden, weil die Bewegung mit dem Reiz des Verbotenen spielt. Kämpfen Sie  vor diesem Hintergrund nicht einen aussichtslosen Kampf?
Mir haben Mitglieder von Fridays for Future gesagt, sie begingen den Regelverstoß, um Aufmerksamkeit in den Medien zu bekommen. Das ist auch gelungen. In den ersten Wochen hat man allerdings beinahe mehr über die Verletzung des Schulgesetzes geredet als über das eigentliche Anliegen. Aber die mediale Aufmerksamkeit ist jetzt da. Die Schüler werden auch zur Kenntnis genommen, wenn sie außerhalb des Unterrichts demonstrieren. Ich persönlich glaube, dass man auf diesem Weg sogar eine höhere Legitimationskraft erlangt.

Die Veranstalter der Demonstrationen argumentieren damit, dass es um ihre Existenz geht. Was ist wichtiger, Klimaschutz oder ein Unterrichtstag?
Beides ist wichtig. Ich kann voll nachvollziehen, dass der Klimaschutz für viele Schüler von fundamentaler Bedeutung ist. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren diese Thematik immer verstärkter in den Unterricht aufgenommen. Das erfolgt schulartspezifisch und abhängig vom Alter in unterschiedlichen Fächern. Beispiele wären unter anderem Biologie, Geographie oder Sozialkunde. An den Gymnasien beschäftigen sich zudem immer mehr unserer Projektseminare der Oberstufe mit Themen des Klima- und Umweltschutzes.  

 

Michael Piazolo / picture alliance

Aber wie wollen die Schulen ein Bußgeld verhängen, wenn sie nicht wissen, ob die Schüle den Unterricht wegen der Demos geschwänzt haben?
Ein Bußgeld für die Teilnahme an den Klimastreiks steht nicht im Fokus. Schule ist eine pädagogische Einrichtung. Lehrerinnen und Lehrer suchen das Gespräch und ergreifen pädagogische Maßnahmen. Genauso kennen Schulleiter die Möglichkeiten der gesetzlich vorgeschriebenen Ordnungsmaßnahmen und wissen entsprechend zu reagieren.

Aber Sie haben in Zeitungsberichten selber von Bußgeldern gesprochen. Warum rudern Sie jetzt zurück?
Keinesfalls. Ich habe in Interviews über die Bandbreite von Ordnungsmaßnahmen gesprochen. Ich wurde gefragt, ob dazu auch Bußgelder gehören. Diese Frage habe ich bejaht.

Sind Sie gegen ein Bußgeld?
Ich halte mich bewusst damit zurück, den Schulleitern  vorzuschreiben, wie sie auf Verstöße zu reagieren haben. Damit würde nämlich auch ich einen Verstoß begehen, schließlich ist rechtlich klar geregelt, dass ein Schulleiter hier eigenverantwortlich und souverän entscheidet. Unsere Aufgabe ist es, die Schulleiter nicht alleine zu lassen und zu beraten, und auch in der Abstimmung der Schulen untereinander zu unterstützen. Wichtig ist immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf den Einzelfall, den der Schulleiter vor Ort am besten kennt.

Ihre baden-württembergische Kollegin Susanne Eisenmann (CDU) war die erste Kultusministerin, die sich offen für Bußgelder ausgesprochen hat. Warum haben sich die Kollegen aus den anderen Bundesländern in dieser Frage noch nicht positioniert?
Wir haben uns darüber in der Kultusministerkonferenz ausgetauscht. Ich hatte den Eindruck, dass die Kollegen eine ähnliche Linie verfolgen. Natürlich ist es möglich, dass unterschiedliche Minister auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

Hängt das davon ab, ob das Land  – wie Baden-Württemberg – von Grünen mitregiert wird?
Ich würde es nicht so zuspitzen. Mein Eindruck war, dass wir vom Grundsatz nicht weit auseinanderliegen. Zum einen wäre es ja auch seltsam, wenn Kultusminister nicht sagen würden, sie freuten sich, wenn Schüler politisch aktiv werden. Zum anderen müssen wir sicherstellen, dass der Unterricht gewährleistet wird. Denn wir tun sehr viel, um diesen Unterricht sicherzustellen.

Nachdem Susanne Eisenmann sich für Bußgelder ausgesprochen hatte, hatte die Stadt Mannheim die bereits angekündigten Sanktionen gegen einige Gymnasiasten wieder zurückgezogen. Es hatte bundesweit Proteste dagegen gegeben. Kann es sein, dass sich jetzt  kein Kollege mehr traut, die Schulen zu ermutigen, Bußgelder verhängen zu lassen?
Nein, das glaube ich nicht. In Bayern regelt der Artikel 86 im Schulgesetz die Ordnungsmaßnahmen. Darin ist ein Satz ganz wichtig: „Alle Maßnahmen werden nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgewählt.“ Das heißt, der Anlass und das Mittel müssen in einem Verhältnis zueinander stehen. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb in Bayern und in den anderen Ländern noch kein Bußgeld verhängt worden ist.

Wäre es nicht auch ein Offenbarungseid, wenn ein Schulleiter zugeben müsste, dass er ein Bußgeld beantragen muss, weil er mit pädagogischen Maßnahmen keinen Erfolg gehabt hat?
Der Begriff der Schulfamilie ist hier wohl der passendste. Man versucht die Dinge möglichst einvernehmlich zu regeln und Verständnis füreinander zu gewinnen. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Schüler schon an Unterricht interessiert sind und um dessen Wert wissen. Fridays for Future ist nach meiner Auffassung auch keine Provokation der Schulen. Es ist ein Zeichen, dass viele in der Politik in den vergangenen Jahren nicht genug gemacht haben für den Klimaschutz. Das sollte man unterscheiden, und auch weil es eben nicht gegen die Schulen gerichtet ist, gelingt es vielen Lehrkräften und Schulleitungen, hier eine gewinnbringende Gesprächskultur aufzubauen.

Aber von den 1,7 Millionen Schülern in Bayern gehen freitags tausende während des Unterrichts auf die Straße. Das sind doch tausende Verstöße gegen das Schulgesetz.
Es ist sehr schwer, hier Zahlen zu fassen, zumal nicht nur Schülerinnen und Schüler demonstrieren und die Veranstaltungen nicht jeden Freitag stattfinden. Von daher könnten wir hier nur schätzen. 

Kritiker der Bewegung sagen, die Schulleiter drückten beide Augen zu, weil sie das Anliegen von Fridays for Future unterstützen. Gibt es gute Gründe, gegen das Schulgesetz zu verstoßen – und schlechte Gründe?
Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Es gilt die Schulpflicht, da darf nicht die Frage nach einem guten oder einem schlechten Streik gestellt werden. Dann würde sich nämlich sehr schnell die Frage stellen: Wer entscheidet, was eine gute oder eine schlechte Demonstration ist? Diese Aufgabe können wir keiner Lehrkraft und keinem Schulleiter aufbürden. Das ist auch nicht die Aufgabe eines Ministers. Wir haben in den Schulen ein Neutralitätsgebot, das wir einhalten müssen. Für solche Fragen haben wir ein Gesetz und das sagt: Es gilt die Schulpflicht.

Würden die Schulleiter auch beide Augen zudrücken, wenn sich die Demonstrationen von Rechten gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung veranstaltet würden?
Ich glaube nicht, dass unsere Schulleiterinnen und Schulleiter beide Augen zudrücken. Im Gegenteil. Sie halten ihre Augen sehr offen und ziehen die nötigen Konsequenzen. Es handelt sich hier um erzieherische Maßnahmen. Die Bandbreite ist hier groß und wird angemessen eingesetzt. Entscheidend für den pädagogischen Nutzen ist, dass man sie erklärt.

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